zur startseite

zum archiv

zu den essays

Let’s dance!

Acht unvergessliche, grundverschiedene und jeder für sich und auf seine eigene Weise einzigartige Filmtänze.

 

Die Idee zu diesem Text kam mir bei der Sichtung von Christian Petzolds großartigem Prignitz-Noir Jerichow. Vom Tanzen an sich habe ich – offen gesagt – keine Ahnung, und so will dieser Text nicht etwa untersuchen, wie genau Tanz im Film inszeniert wird, sondern sich eher damit auseinandersetzen, wie bestimmte Filme, die, mit einer augenzwinkernden Ausnahme, übrigens ausdrücklich keine Tanzfilme sind, den Tanz als narratives Mittel einsetzen.

 

Als Ritual des Kennenlernens und (vor allem) Sichnäherkommens steht der Tanz in so unterschiedlichen Filmen wie Petzolds Jerichow oder De Palmas Scarface am Beginn einer Beziehung und wer da mit wem und wie tanzt, sagt viel aus, sowohl über die im Film dargestellte Welt als auch über den weiteren Verlauf der Beziehung, die mit dem Tanz ihren Anfang nimmt. Manchmal ist der Tanz aber auch das Ende vom Lied, bzw. Film. Wird mit dem letzten Tanz in Dirty Dancing nun wirklich alles gut (deshalb hat dieser Text, so düster einige der behandelten Filme auch sein mögen, schließlich auch ein Happy End), markiert er, in Y tu mamá también und Carrie – auf ganz unterschiedliche Weise – einen Wendepunkt, nach dem alles, was bisher entstand – wiederum auf ganz unterschiedliche Weise – zerbrechen wird. Hebt der Film im Rausch des Tanzes gesellschaftliche Konventionen auf? In Carrie gelingt es schließlich nicht, die Regeln der High School-Popularität zu verkehren. Hier folgt auf den Rausch der Kater, respektive auf das kurze Glück der Protagonistin das Blutbad als Rache der Ausgestoßenen, die die Welt, die sie nicht erobern konnte, schließlich nur noch zerstören will. Und auch für Hanna, die Protagonistin in Roehlers Die Unberührbare, dauert das Glück nur so lang, wie Elvis’ Devil in Disguise spielt. In Tim Burtons Batman allerdings, einem Big-Budget-Hollywoodspektakel, ertanzt sich das Böse schließlich, dem äußeren Verlauf des Plots zum Trotz, seinen heimlichen Sieg über das Gute. Und in Malles Zazie finden sich im Tanz des kleinen Mädchens mit der großen Stadt alle Regeln der Erwachsenenwelt, die aus der Sicht eines Kindes vor allem eins ist: nämlich ziemlich dämlich, aufgehoben. 

 

Die Filmauswahl ist so subjektiv wie nur irgendwas. Es sind acht Filme, die mir, auf unterschiedliche Weise, jeder für sich sehr am Herzen liegen. Sollte irgend jemand diesen Text lesen, der zufällig dieselben Filme mag wie ich, und sollte diesem jemand dann durch meine Fokussierung auf den Tanz vielleicht eine neue Perspektive auf einen seiner Lieblingsfilme eröffnet werden, auf einen Film, den er schon etliche Male gesehen hat, dann wurde er nicht umsonst geschrieben.

 

Jerichow (Deutschland 2008, Regie: Christian Petzold)

Benno Fürmann – Nina Hoss – Hilmi Sözer

„Du tanzt ja wie’n Grieche,“ sagt Thomas (Fürmann) zu Ali (Sözer) am Ostseestrand. Gleichzeitig ein Witz auf Kosten Alis, da sich Türken und Griechen, so will es zumindest das Klischee, nicht riechen können und Zeugnis der Leichtfüßigkeit, mit der Petzolds Film mit seiner literarischen Vorlage tanzt. In John M. Cains The Postman Always Rings Twice nämlich, war der nicht mehr allzu junge und nicht sonderlich attraktive Mann, dem es schließlich zum Verhängnis werden wird, sich eine schöne junge Frau gekauft zu haben, ein Grieche. Der Ehemann, der hintergangen werden wird, inszeniert den Tanz seiner Frau (Hoss) mit seinem Angestellten zu türkischer Pop-Musik aus dem Ghetto-Blaster selbst und Petzold inszeniert den Beginn der Dreiecksbeziehung, die tödlich enden wird, als Tanz im gleißenden Sonnenlicht am Ostseestrand.

 

Y tu mamá también (Mexiko 2001, Regie : Alfonso Cuarón)

Maribel Verdú – Gael García Bernal – Diego Luna

Und noch ein Dreieck und wieder am Strand. Diesmal nicht an der Ostsee, sondern am Pazifik. Eng umschlungen tanzen zwei Jugendliche und eine Frau zur Musik aus der Jukebox unterm Palmfaserdach. Dieser Tanz ist vielleicht die wichtigste Szene des Films. Beim Aneinander- Schmiegen der Körper im Tanz wird sein Thema buchstäblich enggeführt. Stand die Frau von Beginn der gemeinsamen Reise an zwischen den beiden Jungs, so tut sie es nun bei diesem Tanz zu dritt, der Sex aus allen Poren schwitzt, ganz wortwörtlich, ganz physisch, als Körper zwischen zwei Körpern. Solange dieser Körper zwischen den beiden steht, beschützt er sie voreinander, er beschützt sie, als Projektionsfläche ihres Begehrens, davor, zu erkennen, dass sie nicht nur die Frau, sondern auch einander begehren. Beim Sex zu dritt aber, auf den der Tanz hinausläuft, wird sich genau das ändern. Das Geheimnis dieses Begehrens muss, einmal gelüftet, in einer machistischen Gesellschaft, wie sie Cuaróns Film schildert, doch Geheimnis bleiben und es ist ein Geheimnis, das die beiden Jungs fortan nur alleine, jeder für sich, werden behüten können. Der Sex als Ende des Tanzes und als Ende der Reise. Das Ende der Reise, das Ankommen, als Ende der Freundschaft für die beiden Jungs und als Ende des Lebens für die Frau. Mit der Freundschaft und dem Leben endet der schönste, traurigste, komischste, ehrlichste und ohne sich jeglicher falscher Illusion hinzugeben, auf seine ganz eigene Art und Weise hoffnungsvollste Film über das Erwachsenwerden, den ich kenne.  

 

Batman (USA 1989, Regie: Tim Burton)

Jack Nicholson – Kim Basinger

„Have you ever danced with the devil by the pale moonlight?“ Das Thema von Tim Burtons Film – meiner Meinung nach die beste Comic-Verfilmung überhaupt – ist der Sieg der Faszination des Bösen über das Gute. Batman kämpft, schwingt sich durch die Luft, hadert, zweifelt, verzweifelt fast, aber dann doch nicht. Sein Gegenspieler aber, der Joker, The artist formerly known as Jack N. (unübertroffen: Nicholson), lacht und tanzt. Im Rhythmus des Prince-Soundtracks schändet er Galerien und droht die Bevölkerung ganz Gothams auszulöschen. Beim entscheidenden Walzer, den die schöne Batman-Geliebte Vicky (Basinger) in luftiger Höhe im blassen Mondlicht mit dem Teufel tanzt, wird Batman einmal mehr zum bloßen Spielverderber degradiert, zur Kenntlichkeit entstellt zum Spießer, der er, Doppelleben hin, Trauma her, nun einmal ist. Burton inszeniert den Triumph des Bösen über den Tod und den Hollywoodzwang zum Sieg des Guten hinaus, denn – wer zuletzt lacht, tanzt am Besten.  

 

Carrie (USA 1976, Regie: Brian de Palma)

Sissy Spacek – William Katt

In einem Tanz kulminiert das kurze Glück der Carrie White. Von Creepy Carrie, dem Mädchen, das im Sportunterricht niemand in seiner Mannschaft haben möchte, das, per mütterlicher Verordnung, von allen Dingen, die Teenager sonst so interessieren, keinen Schimmer hat, mausert sie sich zur prom queen. Diese Entwicklung hat das Mädchen mit den telekenetischen Kräften vor allem einem Emanzipationsprozess ihrer evangelikal-fundamentalistischen Mutter zu verdanken. Nun scheint es geschafft und im Freudentaumel dreht sich die Kamera, schneller und schneller, um das tanzende Ballkönigspaar. In De Palmas Werk wird sich diese Szene wiederholen, in Carlito’s Way, und hier wie dort wird das Glück des Paares, um das sich die Kamera dreht, von kurzer Dauer sein. Denn: mag man von Stephen King, von dem die Romanvorlage stammt, halten, was man will, für High School-Komödien ist er nicht bekannt. Und auch De Palmas Amerika-Bild war, von Hi Mom bis Redacted, wohl immer zu kritisch, als dass man dem trauten prom night-Glück trauen dürfte. Und so tanzt, in der vielleicht gelungensten von De Palmas Hommagen an den hitchcockschen Suspense, schicksalhaft ein Eimer Schweineblut über Carries Kopf. Und dieses Blut, in dem Carrie Whites Traum von High School-Popularität ertrinkt, wird nicht das letzte sein, das fließen wird in der Ballnacht.  

 

Scarface (USA 1983, Regie: Brian de Palma)

Al Pacino – Michelle Pfeiffer

“Rush-rush to the llello, freak-freak to the llello.” Und noch mal De Palma. Hier, im aufdringlichen Achtziger-Jahre-Disko-Interieur, tanzen all die Leute mit den hässlichen Klamotten und den hässlicheren Frisuren zusammen und dabei doch jeder für sich. Allein. Willkommen in der me-decade. Willkommen in der Welt der Ego-Droge Kokain. Unter den Tanzenden sind Tony Montana (Pacino) und Hancock (Pfeiffer). Er kommt, so sagt sie, direkt von einem Bananenboot, und sie hat, genauer gesagt: ihr Mann hat, als örtlicher Drogenbaron in Miami, alles, was er will. Er will das große Leben. Er will sie und die Welt und sie will, bereits hier, relativ zu Beginn des Films, eigentlich gar nichts mehr, außer die Leere des Lebens und der Welt, die er will, zu füllen mit Alkohol und Kokain. Später wird sie aufstehen und ein Luxusrestaurant verlassen und ihn und den Film. Er hingegen wird, noch später, so vollgekokst sein, dass er, am Ende seines kometenhaften Aufstiegs und nun endgültig und ganz und gar allein, nicht, wie Bonnie und Clyde, das Ballett des Blutes tanzt, sondern einfach stehen bleibt im Kugelhagel, wild gestikulierend und fluchend bis zum Schluss. 

 

Die Unberührbare (Deutschland 2000, Regie: Oskar Roehler)

Hannelore Elsner – Vadim Glowna

Die gesamte Struktur des Films ist ein letztes Aufbäumen, ein letzter Fluchtversuch vor dem, was als einzige logische Konsequenz am Ende eines gescheiterten Lebens zu stehen scheint. Bereits in der ersten Einstellung, die Bilder von der deutschen Wiedervereinigung laufen im Fernsehen im Hintergrund, hält Hanna (Elsner) das Fläschchen mit dem Arsen in der Hand. Aus München flieht Hanna, die linke Schriftstellerin, für die mit der DDR auch ihre letzte Projektionsfläche zusammengebrochen ist, für ein Leben außerhalb der Welt, in der sie gescheitert ist, nach Berlin. Tatsächlich gab es dort, im Osten, so stellt Hanna fest, Menschen die anders waren, weit davon entfernt, aufrechte Kommunisten im Sinne Lenins zu sein, waren sie doch einfach, aufrecht und herzensgut und kontrastieren damit vortrefflich mit der emotionalen Vergletscherung, die die Schriftstellerin umgibt. Doch was fängt eine wie Hanna mit solchen Menschen an? Richtig: Nichts!

Und so flieht Hanna aus Berlin zurück nach München, Stationen abklappernd, die sie schon zu oft abgeklappert hat. Jede der Situationen im letzten Drittel des Films, das sehen wir, ohne dass man es uns sagen müsste, hat sie genauso schon viele Male durchlaufen. Wie für Carrie ist auch für Hanna in einem einzigen Tanz alles Glück gebündelt, das ihr das Leben gönnt. Für wenige wunderschöne Minuten tanzt Hanna mit Bruno (Glowna), einer Liebe aus längst vergangenen Tagen, zu Devil in Disguise im Wohnzimmer. Für wenige wunderschöne Minuten ist sie ausgelassen und glücklich, scheint ihre Flucht zu gelingen und alles einen Sinn zu machen. Dann kommt, was kommen muss.   

 

Zazie dans le métro (Frankreich 1960, Regie : Luis Malle)

Catherine Demongeot – Paris

Paris ist die Stadt. 1960 ist das Jahr. Und Zazie (Demongeot), die Protagonistin, ist ein Kind. Weil die Metro streikt, muss sich das kleine bunte Mädchen die große graue Stadt, in der allerlei ziemlich beknackte Erwachsene allerlei ziemlich beknackte Erwachsenendinge tun, zu Fuß ertanzen. Der Film, ein Tanz. Ein Tanz, die Stadt. Und zwischen den Beinen der Tanzenden geht, neben Wohn-und Restaurantkulissen, so ziemlich jede Regel zu Bruch, die wir kennen. Die Regeln der Schwerkraft etwa (mit der es beim Tanzen ja bekanntlich immer so eine Sache ist) oder die des räumlichen Denkens oder die filmischer Illusionserzeugung. Malle inszeniert diese Zerstörungsorgie mit aller Lässigkeit, im Vorbeitanzen wenn man so will, so als ob nichts dabei wäre, außer ein riesengroßer Spaß und, beim Teutates, genau das ist es dann auch. Von der ganzen Tanzerei ist die kleine Zazie schließlich so erschöpft, dass sie die Metro, in der der Titel sie ja ausdrücklich verortet und die sie schlussendlich auch erreicht, glatt verpennt. Wir aber, wir bleiben zurück mit dem kaum zu ermessenden Glück, unsere ach so erwachsene Welt in all ihrer Lächerlichkeit anderthalb Stunden lang durch die Augen eines ebenso klugen wie phantasievollen Kindes gesehen zu haben.

 

Dirty Dancing (USA 1986, Regie: Emile Ardolino)

Jennifer Grey – Patrick Swayze

Damals (ach, waren wir klein und ach, war Patrick cool und ach, war Jennifer schön und ach, wie die Zeit vergeht und überhaupt) und Heute (ach, sind wir groß geworden und ach, ist das lange her und Patrick hat Bauchspeicheldrüsenkrebs und Jennifer? und ach, wie die Zeit vergeht und überhaupt). Mehr fällt mir dazu nun wirklich nicht ein, außer natürlich: „I’ve had the time of my life / No I never felt this way before / Yes I swear it’s the truth / And I owe it all to you…”

 

Nicolai Bühnemann

 

zur startseite

zum archiv

zu den essays