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Über Laurel & Hardy
A Fine Mess:
Arthur Stanley Jefferson & Oliver Norvell Hardy
Wie geschieht Kulturgeschichte?
Einerseits werden fertige Objekte der ästhetischen Produktion weitergegeben.
Dazu haben wir Schulen, Medien, Gesten, Verpflichtungen und, von Klasse zu Klasse
unterschiedlich, eine Heimeligkeit des überlieferten guten Geschmacks.
Da ist stets zugleich mit der Sache der ideologische Apparat zu ihrem Erkennen
da. Aber wir haben auch inoffizielle Traditionen, eine „Erbschaft des Geistes"
ebenso wie eine konspirative Vermittlung von Genuß, geheimes Wissen, geheime
Lust, die weiterzugeben ist, bedeutender vielleicht als jene Schätze, die
mit dem Ableben oder dem Siechtum ihrer Besitzer ein gefährliches Eigenleben
entwickeln, und denen das Bürgerliche Gesetzbuch, nebenbei: vergebens,
den größten Teil seiner ordnungssuchenden Richtlinien widmet, einen
Ausgleich suchend zwischen der Idee familiärer und kultureller Kontinuität,
dem Eigen-Interesse, der staatlichen Macht und der Stabilität sozialer
Strukturen: Erbschaft, ein Vermächtnis des Feudalismus an das Bürgertum,
produziert Feindschaft, ein unlösbares Problem, das gleichwohl zur Dynamik
dieser Gesellschaft gehört. Es ist mit der Erbschaft von Gütern nicht
sehr viel anders als mit der Erbschaft von Ideen und Mythen; um den Besitz wird
gerungen, und zugleich um dessen Legitimation. Stan Laurel und Oliver Hardy
sind fester Besitz des „fortschrittlichen" Feuilletons geworden; eine harmonische
Linie zieht sich aus Kindertagen, in denen „Dick & Doof“ schlichtes, „proletarisches"
Vergnügen war (geadelt durch die Wonnen des halbwegs „Verbotenen"),
über eine historische Einordnung, Studien zur Technik des Gag bis zu jener
alles oder nichts sagenden Inthronisation der beiden als „Anarchisten",
der prompt im hippen Feuilletonismus wieder gehuldigt wird, als sei solch kindischer
„Anarchismus" die Absolution für eine kleinbürgerliche Linke,
die sich nicht einmal richtig als solche zu definieren wagt (richtig nicht im
Gegensatz zu falsch, sondern im Gegensatz zu bloßer Affirmation), und
als sei man mit seinem Lachen schon zumindest Teil einer Rebellion, zu der man
sich politisch nicht für den Augenblick bekennen mag.
Zu diesem Besitz gehört der
Mythos, die Kultur ihrer Arbeit erst einem bösartigen und verständnislosen
Apparat entrissen zu haben, so wie man mit der wachsenden „Authentizität"
des Materials sich selbst zur kritischen Ernsthaftigkeit verpflichtet hat. Das
Feuilleton wird nicht müde zu betonen, daß Stan Laurel & Oliver
Hardy „mehr als dick und doof“ gewesen seien; ein Kindervergnügen (das
viel Philosophie und wenig Feuilleton-Geschwätz verträgt) soll da
geweiht werden. Stets erhält eine unselige deutsche Verleih- und Vermarktungsmaschinerie
eine Schuldzuweisung, als sei etwa die amerikanische populäre Kultur respektvoller
und verständnisinniger mit ihrem Erbe umgegangen, als hätten sich
amerikanische Zuschauer über Mr. Laurel und Mr. Hardy, und nicht über
„fats" und „skinny" kaputtgelacht, als habe man dort nicht ebenso
wie bei uns mit Vorliebe die „besten" Szenen aus den Filmen geschnitten,
ihren Rhythmus zerstört und sie mit schauerlichen Zwischenkommentaren zugedeckt.
Zu warnen wäre also vor der
Wiederholung jener rituellen Veranstaltung, die stets das Echte, das Wahre zu
restaurieren vorgibt. „Laurel & Hardy im Original" – das klingt ein
wenig, als sei nun die Versöhnung von Kindheit und Kultur, von Anarchie
und Feuilleton endgültig gelungen: langweilig (und die bislang zum Thema
erschienenen Artikel übertreffen die schlimmsten Befürchtungen).
Aber Kulturgeschichte geschieht
noch anders, nämlich durch Neubegegnungen, die nicht nur von Generation
zu Generation nötig sind, sondern für Menschen mit einigermaßen
offenen Augen und Herzen auch ein paar mal innerhalb eines Lebens: radikal (das
heißt an die Wurzeln gehend) und im Widerstand gegen jene kulturellen
Apparate, die uns verstehen lassen, bevor wir gedacht, ja, bevor wir gesehen
und gehört haben. Wie aufregend kann Hölderlin sein, wenn man nur
weit genug entfernt ist von allen Klassenzimmern und Seminaren, wie garstig-schön
klingt Schubert nach Père Ubu?
Sind Laurel und Hardy nach einer
infantilen, nach einer nostalgischen, nach einer technischen, nach einer psychologischen,
nach einer zivilisationstheoretisclren, nach einer strukturalistischen Entdeckung
noch einmal, neu zu entdecken? Jetzt, da sie uns dankenswerterweise einmal so
präsentiert werden, wie ihre Filme wirklich gedacht waren? Kümmern
wir uns zunächst einmal um unser Vergnügen, dann können wir weitersehen.
Sehen wir uns die beiden einmal
an. Da ist Stan. Er ist zu klein, und alles an ihm ist dementsprechend zu groß,
die Jacke, der Hut, sogar die Fliege, eine sonderbare Alternative zum Schlips.
Wenn er lächelt, lächelt er für andere. Meist vergebens ist sein
Versuch, sie zu gewinnen. Der rare Moment des Glücks kommt, wenn er sich
ganz auf sich besinnt; da ist er zu Dingen fähig, die keiner außer
ihm zuwege bringt. Aber das ist nicht seine Bestimmung. Und da ist Ollie. Er
ist zu dick, und alles an ihm geht in die Breite. Er macht seinen Hut, seine
Jacke, sogar seinen Schlips breit. Wenn er lächelt, lächelt er für
sich, so, als habe er schon gewonnen. Seinem Triumph folgt fast immer die Niederlage.
Sein Glück kommt, wenn er sich um jemanden kümmern kann, der ihn annimmt;
da macht seine Breite Sinn. Aber das ist nicht seine Bestimmung.
So ist im doppelten Sinne ihre
Komik ein Widerspruch der Formen. Sie kommen gegen ihr Schicksal, ihre Körper,
nicht an; Stan, dem alles schief geht, obwohl er nur so sein will, wie er, ist,
und Ollie, dem alles schief geht, weil er etwas außer sich, ein respektables
Mitglied der Gesellschaft, sein will. Anpassung oder Natürlichkeit, die
Zivilisation unterlaufen oder ihr voraneilen – es ist beides grundverkehrt.
Keiner von ihnen hat die geringste Intention, gegen die Gesellschaft zu opponieren;
Aggressionen entstehen nur durch ihr ständig verletztes Gerechtigkeitsempfinden,
und doch leben sie in einem permanenten Kriegszustand. Wenn doch etwas zu verstehen
wäre!
Die Versöhnung von Gesellschaft
und Körper, die nicht gelingen kann, setzt sich als Kette von Mißverständnissen
fort im Scheitern der Sexualität. Ollies Bemühen, den Formen Rechnung
zu tragen, endet immer in einer Obszönität; Stan ist da direkter.
Daher erhält Ollie, wenn er mit seinem Schlips wedelt, einen Nasenstüber;
vor Stan müssen die Frauen fliehen, oder ihn gleich k.o. schlagen.
Der Dicke wähnt sich auf
der Höhe der Zeit, was die Technologie anbelangt. Angesichts einer Maschine
muß er beweisen, daß er sie beherrscht. Er versucht das lächelnd
und mit großer Geste; ein Schauspiel soll das werden. Stan dagegegen möchte
alles ausprobieren, ein Kind, ja freilich, aber auch ein Zauberlehrling, der
Knöpfe drückt, die sonst niemand drücken würde. Und wieder
erfahren wir: Es ist gleichgültig, ob wir die Maschine als etwas unter
uns oder über uns ansehen, ob wir sie als das durch und durch Bekannte
oder das durch und durch Unbekannte betrachten – sie wird dem Menschen kein
Freund. Aber genauso wenig taugt sie zum Feind; wenn man sie kaputt gemacht
hat, beweist das gar nichts. Laurel und Hardy sind nur erschöpft.
Es liegt auf der Hand: Laurel
& Hardy-Filme kommentieren, zeitlos, wie man so sagt (ich ziehe neu-entdeckbar
vor) Prozesse sozialen, kulturellen und technologischen Übergangs. Die
beiden leben zugleich das Alte im Neuen und das Neue im Alten; sie haben das
neue Tempo, die neue Wahrnehmung, das neue Gerät, aber sie wissen nicht
damit umzugehen. Sie haben kein Ziel, außer in all dem Trubel zur Ruhe
zu kommen, und gerade das ist nicht zu erreichen; wenn sie sich bewegen, scheint
die Welt still zu stehen, wenn sie still stehen, rotiert die Welt schneller
als je zuvor.
Diese Ungleichzeitigkeit ist nicht
zu verstehen ohne ihre problematische Klassenlage. Sie sind häufig Vertreter
des Handwerks oder in traditionellen Dienstleistungsgewerben; Kellner, Friseure,
Verkäufer. Aber dazu fehlt ihnen bereits die Geschicklichkeit, die eine
Mischung aus praktischer Intelligenz, Erfahrung und Disziplin ist. Es ist ihnen
gewissermaßen versagt, in ihren Berufen vernüftige Erfahrungen zu
sammeln – zum einen hindern sie sich selbst daran, weil sie kein ökonomisches
Gleichgewicht von Aufwand und Wirkung erzielen, und weil sie sich insgeheim
andauernd gegenseitig sabotieren, zum anderen behindert sie eine übermächtige
industrielle Konkurrenz. Der Kunde wird also zum Gegner, denn der kann mit der
Ware so wenig zufrieden sein wie Laurel und Hardy je wirklich einen Kundenwunsch
erfüllen können. Die beiden fühlen sich konsequenterweise stets
ungerecht behandelt; wenn der Kunde sie nicht bezahlen will, wenn er sie gar
angreift, setzen sie sich energisch zur Wehr, da sie ihre Anstrengungen und
nicht das Resultat ihrer Arbeit in Rechnung stellen. Mehr noch, jeder Auftrag,
den sie erfüllen wollen, wird zu einer direkten Aggression gegen das Funktionieren
übergeordneter technologischer, soziologischer und architektonischer Pläne;
die beiden widersetzen sich der Vernünftigkeit einer bestimmten ökonomischen
Organisationsform, hinter die sie klammheimlich zurückwollen, vielleicht
bis zu einem ländlichen Ursprung ihres Lebens: die bukolischen Idyllen
im Werk von Stan Laurel und Oliver Hardy, und ihr Versuch, die Stadt zu verlassen.
Wenn sie ein Haus bauen, eine
Botschaft überbringen, einen Weihnachtsbaum verkaufen wollen, dann kostet
es sie so viel Anstrengung, dann geht schon so viel Energie bei allereinfachsten
Verrichtungen wie dem Öffnen einer Tür verloren, daß sie sich
von einer Welt verachtet fühlen müssen, in der mit Leichtigkeit gigantische
Projekte verwirklicht werden. Ollies Lachen, das so fehl am Platze ist, ist
unter anderem das eines Meisters, der auf sein Werk stolz sein möchte (da
ist Stan, der „Lehrling", schon skeptischer).
Stan Laurels und Oliver Hardys
Welt befindet sich gewissermaßen in einer Wachstumskrise, und da fügen
sich wundersam die biologischen, sozialen, seelischen, ästhetischen, ökonomischen
und technologischen Strukturen zusammen: in einer wachsenden Welt ist es schwieriger,
erwachsen zu werden als in einer statischen (so wie eine rückschreitende
Welt die Privilegien des Jung-seins abschafft). Laurel und Hardy sind die Kinder
des Kapitalismus, die weder das schnelle Wachstum, noch die darauf folgende
ökonomische Katastrophe verstehen können.
Insofern mögen Stan Laurel
und Oliver Hardy vielleicht nicht ganz in unsere Welt passen, denn in allem
ihren Leiden daran bestätigen sie doch die Idee des Fortschritts. Freilich
betrifft dies auch nur eine Facette in ihrem Werk, in dem auch Raum für
Pessimismus, für ein Lachen angesichts des Entsetzens ist, an das wir uns
gewöhnen.
Das „Problem" für Laurel
und Hardy ist weder die Materie, noch das Bewußtsein; weder sind die Maschinen
noch ist die Sprache in sich komisch. Das Entscheidende passiert, anders als
etwa bei Buster Keaton, beim Aufeinandertreffen von beidem. Die Handhabung von
Sprache und Maschine ist im Prinzip klar, nur die Kommunikation darüber
funktioniert nicht richtig. Wie zwei richtige Handgriffe noch kein sinnvolles
Teamwork ergeben, so sind auch zwei für sich richtige Sätze noch kein
sinnvoller Dialog. Daher ist in jedem Problem, das Laurel und Hardy mit ihrer
Umwelt haben, ein zweites Problem verborgen, nämlich jenes, das sie mit
sich selber haben.
Laurel und Hardy verkörpern
alles, was es an widersprüchlichen, nie ganz zu harmonisierenden Zweierbeziehungen
gibt: ein Ehepaar, ungleiche Brüder, Lehrer und Schüler, Robinson
und Freitag, Meister und Lehrling, Vater und Sohn (in ferner Ahnung gar Mutter
und Tochter), Stadtmaus und Landmaus. Es ist offenkundig, daß keiner ohne
den anderen sein kann, sie sind sich, wiederum, Schicksal. Gewiß ist dabei
Ollie der Repräsentant des „Oben", der Gesellschaft, der Autorität,
des Mannes, des Wissens (der weiße Clown), und Stan der Repräsentant
des „Unten", des Kindes, der Frau, des Menschen, der Natur (der dumme August)
– aber ganz so einfach sind in ihrer Wachstums-Welt die Verhältnisse nicht
mehr. Ollie hat zu Stan selten das Verhältnis eines Ausbeuters oder Despoten
(vom Scheitern solcher Versuche scheint er stets schon vorher überzeugt,
und wenn er sie dennoch gelegentlich unternimmt, so meistens aus Zorn darüber,
daß sich andere Formen des Zusammenlebens als untauglich erwiesen haben).
Er versucht vielmehr zu erziehen. Stan ist ja immer so etwas wie ein Fremder,
der von Ollie an „seine" Kultur assimiliert werden soll. Dabei wird Ollie
von dieser seiner Kultur stets schmählich im Stich gelassen. Ollie will
Stan vormachen, wie es geht – und es geht nicht. Stan grinst. Er kratzt sich
am Kopf, seine „Philosophie" setzt ein (gerade weil er „dumm" ist,
denkt er ja viel mehr als Ollie, der bloß Überzeugungen hat). Dann
macht er etwas Anderes. Dieses Andere offenbart den Abgrund zwischen beiden
und ihrer Umwelt, den Ollie doch nicht wahrhaben will. Nun heißt es flüchten
oder standhalten. Ihre Körper bleiben in der Gefahr solidarischer als ihr
Wille. Je mehr sie sich trennen wollen, desto mehr ketten sie sich aneinander.
Aber Oliver ist ja auch ein Baby,
und Stanley ein Greis. Und Ollie mag eine Frau sein, die ein Mann sein will,
wie Stan ein Mann, der eine Frau sein will. Sie sind unendlich verlängerbar;
einmal heiraten sie sich wechselseitig, ein andermal stehen sie sich selbst
als Kinder gegenüber, und ein drittes mal begegnen sie ihren Doppelgängern;
und alle ihre Beziehungen sind überkreuz. Wenn Ollie eine Frau oder ein
Kind für sich vereinnahmen will, drängt Stan sich dazwischen, und
wenn Stan seinen wilden Begierden freien Lauf lassen will, ruft ihn Ollie zur
Ordnung (wann immer Imitatoren den sexuellen Aspekt in der Beziehung der beiden
aufnehmen, etwa in Robert Aldrichs THE KILLING OF SISTER GEORGE oder Federico
Fellinis LA CITTÀ DELLE DONNE bahnt sich eine Tragödie, ein Scheitern
an der Sexualität an).
Wie also Stan Laurel & Oliver
Hardy neu entdecken? Wahrscheinlich so wenig durch die Zuflucht zur ungeheuren
künstlerischen Meisterschaft der beiden, von der hier nicht mehr die Rede
sein muß, wie durch die Konstruktion eines kindhaften Parallelmythos von
Anarchie und lustvoller Zerstörung. Für den Moment möchte ich
für Neuentdeckung einer verschütteten Qualität des Eigen-Sinns
plädieren. Die Wiederaufführung ihrer Filme, so authentisch wie möglich
und so strukturiert wie nötig (dafür sei dem „Kinowelt"-Verleih
Anerkennung und Dank ausgesprochen) wird, so schätze ich einmal, weder
philosophisch noch filmästhetisch, weder historisch noch im Bereich praktischer
Anwendung bemerkenswerte neue Einsichten vermitteln. Dazu sind Stan
Laurel und Oliver Hardy schon zu sehr vermessen, dokumentiert, analysiert und
interpretiert. Wichtig und notwendig ist für diesmal aber vielleicht die
Neuentdeckung durch Einzelne, die fats und skinny, Dick und Doof, Laurel &
Hardy ganz für sich entdecken und haben wollen. Sie werden den einen oder
anderen guten Tag haben. Und ein ganz persönlicher Tip: Es ist das Musikalische
im Werk der beiden kaum so recht gewürdigt worden: neben dem Text die Melodie,
und neben der physischen Konfrontation der Tanz.
Georg Seeßlen
Dieser Text ist zuerst erschienen in epd Film 8/88
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