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Narziss
und Erdbeermund
Am 18. Oktober 2006 wäre
der 1991 verstorbene Klaus Kinski 80 Jahre alt geworden. Dem fulminanten
Schauspieler war der Choleriker Kinski oft im Weg. Ein Portrait.
In seinen Memoiren fand Klaus
Kinski deutliche Worte für das Gros seiner Filme: „Ich drehe den Scheiß
in acht Tagen herunter, den Rest der Zeit spiele ich Tennis …“ So handelte
Kinski seine Titelrolle in „Jack the Ripper“ ab, der 1976 in den Kinos lief
und heute als Videotheken-Trash endgelagert ist. Zweifellos ist dieser Horrorstreifen
nicht mehr als ein Klaus-Kinski-Vehikel – allerdings auch nicht weniger als
das. Selbst in derart nebulösen Produktionen blitzt zuweilen Kinskis Genialität
auf: In der Rolle des Biedermanns und Triebtäters sitzt er in der Küche
seiner Zimmerwirtin, die von hinten an ihn herantritt und wie zufällig
seine Schulter berührt. Die Frau hat sich in ihren Mieter verguckt. Dem
Ripper behagt das gar nicht. Kinski explodiert nicht sofort, sondern dreht den
Kopf zuerst langsam zur Partnerin. Dann springt er jäh auf, fährt
herum, attackiert sie. Sein Timing ist perfekt, darstellerische Intensität
war von Klaus Kinski – gegen hohe Gage – immer zu haben.
Zwei Jahre und ein gutes Dutzend
Trash-Filme später bat die Cinémathèque Française
den Schauspieler um eine Liste von 25 Filmen, die man „ihm zu Ehren“ in Paris
zeigen könnte. Kinski nannte keinen einzigen. Man mag darin Koketterie
sehen oder auch Verachtung für die (wenigen) guten unter seinen Regisseuren
– für Helmut Käutner, Douglas Sirk, David Lean, Billy Wilder, insbesondere
für Werner Herzog. Fest steht, dass Kinski, gemessen an seinem Rang, unfassbar
viel Drittklassiges gedreht hat. „Sex in falschen Händen“, „Der Söldner“,
„Dracula im Schloss des Schreckens“: Die meisten der 130 Titel sprechen für
sich. Kinski betrachtete die Filmerei als Hurengeschäft und gab sich dem
jeweils meistbietenden Produzenten hin. War die Gage zu niedrig, spielte er
nicht mit, selbst wenn ihm der „Quark“ (O-Ton Kinski) von Fellini oder Spielberg
angeboten wurde. Kinski hat mutmaßlich aber auch Angst vor bedeutenderen
Aufgaben gehabt, und vor Regisseuren, die sich von ihm nicht so einfach das
Zepter entreißen ließen. Am 18. Oktober wäre Kinski, Kollegenschreck,
Despot, gefährdetes Talent und grandioser Schauspieler, 80 Jahre alt geworden.
Als Nikolaus Nakszynski 1926 im
polnischen Zoppot geboren, zieht Klaus Kinski 1931 mit der Familie nach Berlin
und wächst dort in äußerst ärmlichen Verhältnissen
auf. 1944 wird er eingezogen, gerät in den Niederlanden in britische Kriegsgefangenschaft
und absolviert erste Auftritte auf der Lagerbühne. Nach Kriegsende betätigt
er sich als Kabarettist und Rezitator, weigert sich, eine Schauspielschule zu
besuchen und arbeitet trotzdem bald mit großen Theaterregisseuren wie
Boreslav Barlog, Jürgen Fehling und Fritz Kortner zusammen. Mit Kortner
bricht er schon bei den Proben zu Schillers „Don Carlos“ und macht auch sonst
durch Streitsucht und cholerische Anfälle von sich reden.
Seine frühen Filmrollen loten
dementsprechend die Extreme aus. 1948 debütiert Kinski als KZ-Häftling
in „Morituri“, in Sirks Breitwand-Melodram „Zeit zu lieben, Zeit zu sterben“
spielt er einen SS-Untersturmführer. Sein markantes Gesicht mit den stechenden
Augen, den hohen Wangenknochen, dem herrischen Kinn und dem Riesenmund geisterte
durch zahllose Spaghettiwestern und war die Lieblingsfratze der deutschen Edgar-Wallace-Krimis.
Kinski gab darin den Nebenschurken vom Dienst und prägte den vulgär-expressionistischen
Flair dieser Serie entscheidend mit. Dass Kinski später als Vampir in Werner
Herzogs „Nosferatu“ (1978) wirklich wie ein elendes, todtrauriges Nachtwesen aus
einem Murnau-Film erscheinen konnte, war im Sechzigerjahre-Kintopp ansatzweise
schon zu ahnen.
Schon früh wusste Kinski
auf der Klaviatur der Publicity zu spielen: 1950 protestierte er scheinheilig
„gegen die Nuditäten in den deutschen Illustrierten“, indem er Zeitungsstände
stürmte. Ausgerechnet Kinski, der später in seiner Autobiographie
„Ich bin so wild nach deinem Erdbeermund“ mit tausendundeinem sexuellen Abenteuer
prahlt und die Liebesakte mit pornographischer Detailwut ausmalt. Mit dem Buchtitel
erweist er seinem Idol François Villon Reverenz, mit dessen Gedichten
er 1952 erste Rezitations-Erfolge in Berliner Kabaretts und Künstlerkneipen
feierte. Kinski konnte balsamisch-verführerisch klingen oder klirren wie
ein Charaktertenor. Mit dieser Stimme habe er Gläser zersingen können,
behauptete Werner Herzog später. Kinskis letzte Auftritte als Rezitator
geraten zu seine skandalträchtigsten: Im November 1971 schnarrt, brüllt
und flüstert Kinski in der ausverkauften Berliner Deutschlandhalle seine
provokativen Ansichten über Jesus und das Neue Testament: „Ich spreche
von dem Abenteurer, dem furchtlosesten, freiesten, modernsten aller Menschen,
der sich lieber massakrieren lässt, als lebendig mit den anderen zu verfaulen.“
Während des Happenings wird Kinski angehimmelt, bedroht und ausgelacht.
Die deutschlandweit geplante „Jesus-Christus-Erlöser-Tour“ ist schon nach
dem zweiten Auftritt beendet, weil der Veranstalter Insolvenz anmelden muss.
Als Kinski kurze Zeit später mit Werner Herzog in Südamerika „Aguirre
– Der Zorn Gottes“
zu drehen beginnt, spricht er in Bibelzitaten, steckt noch „vollkommen in der
Jesus-Rolle“, wie Herzog berichtet hat: „Man musste ihn hinüber bugsieren
in diese ganz andere, dämonischere Rolle“. Irgendwann „war“ Kinski dann
Aguirre, wie er zuvor Villon, Rimbaud oder Torquato Tasso „gewesen“ war. Dieser
Verschmelzung mit der jeweiligen Figur, solchen „Inkarnationen“ schien sich
Kinski absoluter hinzugeben als jeder andere Schauspieler. Herzog sah Parallelen
„höchstens bei dem jungen Brando“ und nahm die Schattenseiten jener Gratwanderung
zwischen Wahn und Schauspielerei in Kauf. Kinski konnte gemeingefährlich
werden. Herzog wusste und wollte das. Beim „Aguirre“-Dreh im peruanischen Urwald
strangulierte sein Hauptdarsteller Statisten und verletzte einen Mitakteur am
Kopf – beides ist im fertigen Film zu sehen. Dass Kinski während einer
Drehpause mit seiner Winchester wild um sich schoss, was ein Crewmitglied seinen
Finger kostete, konnte Herzog nicht verhindern. Ansonsten war die Engführung
von realem Risiko (vor laufender Kamera) und Kinoabenteuer offenbar ein gemeinsames
Anliegen. Auf vergleichsweise sanfte, reflektiertere Art war Herzog letztlich
ähnlich extrem wie Kinski. Immerhin gibt er in seinem Dokumentarfilm „Mein
liebster Feind“
Morddrohungen gegen seinen Hauptdarsteller zu und räumt einen missglückten
Anschlag auf Kinski ein.
Fünf Filme drehten sie miteinander.
Es war die mit Abstand fruchtbarste Zusammenarbeit des Schauspielers mit einem
Filmregisseur. Letzter Höhepunkt: „Fitzcarraldo“, ein zweites Beinahe-Himmelfahrtskommando im Amazonasgebiet.
Kinski brilliert in der Titelrolle als großes, alt, aber nicht müde
gewordenes Kind, das Berge versetzen will und dies irgendwie auch schafft. Sisyphus
im Glück. Die Dreharbeiten gerieten zum verzweifelten Kampf. Das Boot,
das sich nicht über den Berg ziehen lassen wollte, war hier noch renitenter
als Kinski, der am Drehort in einem von Yves Saint-Laurent geschneiderten Kampfanzug
posierte und auch sonst sein Naturburschen-Image pflegte, das er zeitlebens
vor sich her trug. „Wenn es regnet, mache ich mir ein Bett aus Blättern
und decke mich mit Zweigen zu“, dichtete er in der 1991 erschienenen Neuauflage
seiner Memoiren. Dessen Titel „Ich brauche Liebe“ erklärt manche Attitüden
Kinskis mit einem unstillbaren Geltungsbedürfnis.
Wer den authentischen Kinski sucht,
findet ihn in seinen besten Kinorollen, vor allem im „Woyzeck“, der 1978 in lächerlich wenigen Tagen abgedreht wurde –
für Kinski, der eine Heidenangst vor dieser Rolle hatte, eine Tortur. Wem
beim Anblick des gequälten Kinski-Woyzeck nicht das Herz blutet, hat keins
mehr; wenn Herzog die Jammergestalt fast ans Kameraobjektiv stoßen lässt,
ragt Kinskis tragische Maske förmlich aus der Leinwand heraus. Nach dem
Mord an Marie geht Kinski derart aus sich heraus, dass einem nur noch ein Pendant
aus der Kunst einfällt: Edvard Munchs Gemälde „Der Schrei“.
Kinskis Tendenz zur Zügellosigkeit
konnte einem Film allerdings auch den Garaus bereiten: „Cobra Verde“, der fünfte und letzte Film des Gespanns Kinski-Herzog
war ein Abgesang, weil der Regisseur seinen Star hier nicht bändigen konnte.
Kinski identifizierte sich am Set schon zu sehr mit Paganini, dem „Teufelsgeiger“,
dem er in seiner einzigen Regiearbeit ein Denkmal setzen wollte. „Paganini“
kam erst 1999, acht Jahre nach Kinskis Herztod in die Kinos und erwies sich
als wüst-obsessives Montage-Hackfleisch, „Experimentalkino“ der üblen
Sorte, mit einem Kinski im Zentrum, der nur mehr als Schatten seiner selbst
agierte. Die Kerze, die stets an beiden Enden gebrannt hatte, war endgültig
verglüht.
Mag sein, dass die Kerze nur in
wenigen Filmen wirklich hell aufflackerte, weil der Mensch Kinski dem Schauspieler
allzu oft im Weg war. In die Filme Werner Herzogs hat Klaus Kinski, mit Nietzsches
Wort, das schönste Licht gebracht.
Jens Hinrichsen
Dieser
Text ist zuerst erschienen im: film-dienst 21/06
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