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Die Kinoschauer

Interview mit Barbara Albert und Antonin Svoboda

von Jens Hinrichsen

 

Bereits mit "Nordrand" (1999), ihrem ersten Spielfilm, erregte Barbara Albert einiges Aufsehen. Für dieses Spielfilmdebüt konnte die österreichische Regisseurin in Venedig den Kritikerpreis entgegennehmen. Während in "Nordrand" eine weibliche Hauptfigur die Geschichte bindet, löst Barbara Albert ihre neue Filmerzählung "Böse Zellen" stärker in Einzelepisoden auf – die doch gemeinsam von einer mysteriösen Unterströmung vorangetrieben werden. Ab 1.April 2004 wird der Film in deutschen Kinos anlaufen. Doch Barbara Albert glänzt nicht nur als Regisseurin oder Drehbuchautorin – so schrieb sie das Buch für Nina Kusturicas "Auswege", der im Berlinale-"Forum" 2004 auffiel – sondern sie bringt sich auch als Produzentin in die österreichische Szene ein. Die Filmemacherin ist Mitglied einer Kooperative von vier jungen Filmemachern, zu denen auch Antonin Svoboda gehört. Er arbeitet ebenfalls in unterschiedlichen Funktionen, zudem beschäftigt ihn gerade die Finanzierung seines ersten Langfilms.

 

Was ist coop 99?

SVOBODA: Eine Produktionsgesellschaft, die wir vor vier Jahren mit Jessica Hausner und Martin Gschlacht gegründet haben. Davor sind wir acht Jahre auf der Filmakademie in einem Jahrgang gewesen und haben dort begonnen, miteinander, füreinander zu arbeiten. Aus diesem Prozess gegenseitiger Unterstützung heraus entschlossen wir uns zur Gründung einer Firma. Denn für das Kino, das wir gerne machen wollten, gab es zu wenig Unterstützung in Österreich. Wir haben die Sache also selber in die Hand genommen.

 

Was haben die Filme gemeinsam, die coop 99 produziert?

ALBERT: Wir sind nicht „Dogma", wir haben keine Regeln. Allerdings verbindet uns die Bereitschaft, uns intensiv mit dem Hier und Jetzt auseinander zu setzen, mit der gesellschaftlichen Realität, in der wir leben. Sei es aus dem Bedürfnis, die Wirklichkeit besser zu verstehen oder sie zu hinterfragen. Trotzdem lassen sich die einzelnen Filme, die wir produzieren, nicht in einen Topf werfen.

 

Bleiben wir einmal bei Ihren Eigenheiten, Barbara Albert – wie sah Ihre filmische Sozialisation aus?

ALBERT: Fragen Sie mich nicht nach Vorbildern, damit tue ich mich schwer. Ich bin groß geworden mit Filmen von Truffaut und Fellini, die mich schon als Kind beeindruckt haben, ebenso wie der italienische Neorealismus. Später, auf der Filmakademie, sind mir Filme von Kaurismäki oder Jane Campion sehr nahegegangen. Überhaupt mag ich Filme, die wehtun. Ich weine gerne im Kino. Aber in puncto Filmgeschmack sind wir in der Gruppe sehr unterschiedlich, oder?

SVOBODA: Ich würde lieber über das reden, was uns verbindet. Wir begreifen uns nicht nur als Kinomacher, sondern auch als Kinoschauer. Und als solche haben wir eine Abneigung gegen die ständige Abfütterung mit Banalitäten, nicht nur im Kino. Außerdem stört uns, wie mit Wahrheit umgegangen wird, in der Berichterstattung des Fernsehens oder der Zeitschriften. Auch in der österreichischen Politik wird heute diese Wahrheit verbreitet und morgen das Gegenteil für wahr verkauft – selbstredend immer „geprüft" und mit tausend Attesten.

 

Abseits der Politik – haben Sie im Kino etwas gegen Unterhaltung?

SVOBODA: Da stelle ich die Gegenfrage: Was ist Unterhaltung? Kino ist für mich vor allem Emotion. Ich möchte bewegt werden.

ALBERT: Oder zu einem Aha-Erlebnis angestoßen werden, das kann ja auch intellektueller Art sein. Ich stimme Antonin zu, dass die Hauptsache wirklich Bewegung ist, dieses „Es geht weiter".

SVOBODA: Genau. Um mich zu unterhalten gehe ich mit Freunden ein Bier trinken. Für leichte Kost ist das Kino einfach nicht geschaffen, dafür ist das Medium zu magisch. Wir wollen bewahren, was an Potential in diesem Schwarzen Kasten „Kino" drin steckt, in dem irgendwo ein Fenster aufgeht und dann beginnt ein Tagtraum. Wenn Sie das Unterhaltung nennen, habe ich nichts dagegen.

 

Sie, Antonin Svoboda, haben sich während der vergangenen anderthalb Jahre vorwiegend um die Produktion der coop-99-Filme gekümmert. Ist die Beschaffung von Geldern einfacher geworden?

SVOBODA: Es ist sicherlich förderlich, dass ein Film wie Jessica Hausners „Lovely Rita" im Wettbewerb in Cannes  gelaufen ist. Das ist sicherlich schon ein Erfolg. Aber du bist immer noch ein „No-Name". Für kaum jemanden ist bewiesen, dass du ein seriöser Ansprechpartner bist. Man rennt keine offenen Türen ein. Immerhin hat sich mit jedem Film, durch viele Gespräche und viele Reisen ein Netz gesponnen, aus dem sich Möglichkeiten ergeben. Die bedeuten aber nicht gleich bare Münze.

ALBERT: Alle meinten zwar, nach dem Erfolg meines „Nordrand", zum Beispiel 1999 auf den Filmfestspielen in Venedig, würde es leichter, Geld für einen neuen Film zusammenzubekommen –  aber bei „Böse Zellen" hat es auch Budget-Schwierigkeiten gegeben.

 

Haben Sie sich in dem Fall vorgenommen: Jetzt mache ich einmal einen aufwändigen Film?

ALBERT: Überhaupt nicht. Ich wollte eine ganz bestimmte Geschichte erzählen. Mit 2,2 Millionen Euro Produktionskosten – das ist im europäischen Vergleich unterdurchschnittlich – war er auch gar nicht so teuer, wie er vielleicht ausschaut mit seinen vielen Figuren, den Außenaufnahmen in Rio und mit seinen Unfallszenen.

 

Die Anfangssequenz von „Böse Zellen" legt nahe, dass ein Schmetterling einen Sturm auslöst und damit indirekt einen Flugzeugabsturz verursacht. Damit zitieren Sie ein populäres Beispiel aus der Chaostheorie. Würden Sie dieses Feld als Hauptthema ihres Films bezeichnen?

ALBERT: Nein, für mich war das ein eine Art Spielerei. Aber an der Chaostheorie hängt sich nicht der ganze Film auf. Ich finde es allerdings spannend, dass die Wissenschaft mit der Chaostheorie zugibt, nicht alles berechnen oder kontrollieren zu können. So ist für mich das Leben: dass man nicht alles kalkulieren kann. Du weißt nicht, was passiert, wenn du aufs Glatteis gehst.

 

Diese Momente von Überraschung, die häufig befremdend oder erschreckend sind, kommen ja mehrfach in „Böse Zellen" vor. Will das Publikum mit diesen Momenten von hereinbrechendem Chaos überhaupt konfrontiert werden?

ALBERT: Das Publikum wird oft unterschätzt und für blöd verkauft. Ich bin mir sicher, dass die Zuschauer viel verkraften. Die meisten sind gelangweilt von den großen Hollywood- Produktionen, von dieser „leichten Kost". Ich höre oft von Jugendlichen, dass sie den neuesten Blockbuster eher fad fanden. Trotzdem gehen sie nur in die Filme, die ihnen „vorgesetzt" werden. Man kann und darf nicht sogenannte „schwierige Filme" mit solchen vergleichen, hinter denen eine irrsinnige PR-Maschinerie steht.

SVOBODA: Das sind Filme, die geschickt dort platziert werden, wo unser öffentliches Leben stattfindet. Boulevardblätter und Fernsehen mischen dabei kräftig mit. Wer dagegen Kino als Kulturgut betrachtet – das ist im Alten Europa vielfach noch Konsens –, müsste sich eigentlich so etwas wie Gegenbilder davon erhoffen. Aber das stört den Betriebsablauf, der sich vorzugsweise mit Image, Styling, Look beschäftigt. Was ist, wenn dieser Oberflächenglanz ausbleibt, weil es dem Filmemacher womöglich um andere Dinge geht? Dann müssten sogar die Menschen in den Chefetagen zu denken anfangen. Und das ist aus der Mode gekommen.

 

Barbara Albert, „Böse Zellen" geht als österreichischer Kandidat ins Rennen für die Oscar-Nominierung als bester ausländischer Film…

ALBERT: Wir peilen so etwas nicht an, der Oscar ist nicht unser Ziel. Trotzdem ist es gut zu wissen, dass eine Gruppe von Juroren an den Film glaubt.

 

Stellen Sie sich vor, Sie bekämen einen Academy Award, dann müssten Sie der verhassten Unterhaltungsbranche auch noch Dankeschön sagen.

ALBERT: Mir fehlt die Phantasie, vorwegzunehmen, was ich da sagen würde. Aber wenn man die Plattform so nützt, wie Michael Moore es in der Oscarnacht im letzten Jahr getan hat, dann macht es Sinn, den Preis anzunehmen. „Dankepapamama…" zu sagen, reicht nicht. Man muss Stellung beziehen, auch wenn´s wehtut. Diese Ausrede, dass alles so irrsinnig komplex sei, dass man daher nicht weiß, was für eine Meinung man vertreten soll: für mich ist das Propaganda.

                    

Das Gespräch führten Barbara Albert und Antonin Svoboda mit Jens Hinrichsen auf dem Braunschweiger Filmfest am 30.10.2003

Dieses Interview ist zuerst erschienen in: film-dienst 07/04, 1. April 2004

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