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Die
vierte Dimension
Wie
viele Züge und wie viele Waggons passen in eine Einstellung von 2 Minuten
30? James Bennings Kalifornien-Trilogie gibt Aufschluss
Das
Erste, was man bei James Bennings aus genau 35 Einstellungen à 2:30 Minuten
komponierten Filmen über Kalifornien spürt, sind die unterschiedlich
lang gefühlten Sekunden. Entweder springt man unangespitzt in das versponnene
Geflecht einer Mandelbaumplantage und ist entsetzt, so schnell wieder herausgeworfen
zu werden, oder man sucht das Bild zweier stillgelegter Atommeiler tatsächlich
pflichtschuldig nach kleinen Ereignissen ab, gerät in interpretatorische
Schlaufen, warum es gerade hier so still ist, und hat schließlich noch
zu viel Zeit, sich über ihre Form zu ärgern, die irgendwie so stumpf
und total ist, dass die ganze sensible Seherei, in die man so schön eingestiegen
war, hängen geblieben ist.
Zur
Rezeption der begeistert aufgenommenen Kalifornien-Trilogie von James Benning
gehört das Auflachen des Publikums, wenn etwas geschieht. Denn wenn etwas
geschieht in ansonsten fixen Bildern, ist das fast immer komisch: Frachtschiffe
durchqueren einen Binnenland-Kanal. Vor zwei Jahren zeigte Benning "El
Valley Centro" in Berlin. Dieser Film konzentrierte sich auf Landwirtschaft,
das von großen Konzernen betriebene Corporate Farming. Seine politisch
verstandene Konfrontation von Bildern, die an klassisch moderner Malerei und
Erhabenheitsästhetik orientierten waren, mit Konkreta wie dem Sound der
spanischsprachigen Landarbeiter war da ebenso konsistent wie die strukturelle
Konzeption. Der zweite Teil "Los"
konzentrierte sich auf die Metropole L. A., ist aber von einem Blick gesteuert,
der Landschaftsbilder auch im Urbanen findet. Komplettiert werden sollte diese
Serie von einem dritten, nur in unberührter Natur gedrehten Film, "Sogobi",
der aber dann auch zur Dokumentation menschlicher Spuren in der Wildnis hin
geöffnet werden musste.
Zunächst
ist es in "Sogobi" oft nur dem aus dem Off androhenden Sound gedankt,
dass man hier nicht alleine ist, mit Wasserfällen und unverschämt
majestätischen Bergmassiven. Mähdrescher oder Lastwagen machen sich
bemerkbar. Schon in einem der schönsten Bilder von "El Valley Centro"
liegt ein Feld im Nebel, die abstrakte dunkle untere Bildhälfte gegen das
milchige Hell der oberen, wie ein Gemälde des späten Braque. Dann
kommt ein fahles Licht auf. Sonnenaufgang? Ein Sound wie von tausend Francisco-Lopez-CDs
schwillt Ligeti-haft, die Sonne ist ein Doppelscheinwerfer geworden. Es war
nur eine Landwirtschaftsmaschine, die jetzt am vorderen Bildrand, leicht spurversetzt,
umkehrt. Später künden in "Sogobi" nicht nur die krispen
O-Töne von der Anwesenheit des Menschen, auch die Bilder werden buchstäblich
durchkreuzt. Von Schiffen und Güterzügen etwa, die sich immer parallel
zum Horizont bewegen, während Mähdrescher und Düngeflugzeuge
vertikal das Bild durchschneiden und schon mal den Mut des Regisseurs auf die
Probe stellten: "These people are cowboys!" In der Mitte der Filme
haben Ordnungskräfte ihre Auftritte: als endloser Militär-Konvoi in
der Wüste bei Twentynine Palms oder als Riot Squad bei der Demokraten-Konvention
in Los Angeles. Polizei und Militär, tierische und menschliche Opfer, Transportmittel,
Werbeflächen der Firma "Outdoor Systems" und Gefängnisse
haben alle jeweils parallele Auftritte in den drei Filmen. Und fast jedes Bild
hat Geschwister.
Bennings
Arbeiten haben auf den ersten Blick alle möglichen Kennzeichen konzeptueller
Kunst kalifornischer Herkunft: man denkt an die Sozialreportagen von Alan Sekula,
Christopher Williams` Reflexionen klassifikatorischer Fotografie, Stephen Prinas
Arbeiten zu Standards und Formaten und auch an dessen Schülerin Sharon
Lockhart, deren "Teatro Amazonas" im Forum vor zwei Jahren so enthusiastisch
von der Kunst-Crowd begrüßt wie von den Cineasten abgelehnt wurde.
Doch anders als bei bildender Kunst sind bei Benning die konzeptuellen Elemente
nicht für die Legitimation und Kommentierung des Visuellen zuständig.
Die Bilder sollen nicht durch ihre Rahmenbedingungen begründet werden.
Benning will ganz kinematografisch die äußere Wirklichkeit erretten.
Die vielen stilistischen Entscheidungen, die er getroffen hat, um Bilder auszuwählen
und zu kadrieren, haben – im Gegensatz zu bildenden Künstlern – keine höheren
Gründe. Auch die an konventionellen Erhabenheitskriterien orientierte Schönheit
dieser Bilder, die Benning mit Meisterwerken in Museen vergleicht, rechtfertigt
sich dadurch, dass das alles wirklich ist, was wir da sehen. Im Kino scheint
das Bildermachen aus der bloßen Konfrontation einer genauen Untersuchung
seiner objektiven Mittel und einer persönlich begründetetn Auswahl
von Gegenständen einen politischen Anspruch ableiten zu können. Die
Mittel sind objektiver als die der Kunst, die sie jedes Mal neu zusammenstellen
muss. Und Benning hat mit seinen 2:30 so etwas wie einen Standard für die
vierte Dimension der Zeit beschlossen, den man als Grenze des bewegten Bildes
genauso hinnimmt wie die Abmessungen der Leinwand für das starre. Man weiß,
was geht und was zu viel ist. Ein Güterzug mit fünf Lokomotiven und
98 Wagons schafft es exakt (in "El Valley Centro"), ein anderer, mit
elf Lokomotiven und zu vielen Wagons, sprengt in "Sogobi" das Format.
Diese entspannte Vertrautheit mit dem Standard, der bewusst bleibt ohne sich
als Thema in den Vordergrund zu drängen, lässt den Wirklichkeitseffekt
der Filme explodieren.
Diedrich
Diederichsen
Dieser
Text ist zuerst erschienen, anlässlich der Berlinale 2002, am 11.02.2002
in der: taz
El
Valley Centro
USA
1999 – Regie: James Benning – Autor: James Benning – Kamera: James Benning –
Format: 16mm, Länge 91 min.
LOS
USA
2000 – Regie: James Benning – Autor: James Benning – Kamera: James Benning –
Format: 16mm – Länge: 90 min. – Start (D): 15.10.2009
Sogobi
USA
2001 – Regie: James Benning – Autor: James Benning – Kamera: James Benning –
Format: 16mm – Länge: 91 min.
Verleih:
James Benning c/o California Institute of the Arts 24700 McBean Parkway Valencia,
CA 91355, USA T 661 253 7825 F 661 253 7824
Produzent:
James Benning c/o California Institute of the Arts 24700 McBean Parkway Valencia,
CA 91355, USA T 661 253 7825 F 661 253 7824
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