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„A house that was born bad“*

 

Inszenierungsstrategien anthropomorpher Gebäude im Haunted-House-Film

 

*das Zitat stammt aus: The Haunting, Robert Wise, 1963

 

Zunächst eine kurze Klärung des Begriffs: Es wird im Folgenden viel die Rede sein von „haunted houses“ – das klingt vielleicht kapriziös, hat aber seinen Sinn: Ich vermeide bewusst den deutschen Ausdruck „Spukhäuser“, der von vornherein eine ironisch-skeptische Distanz suggeriert. Mit dem Wort „Spuk“ liefert er die Benennung für das, was im Englischen nicht ohne Grund unbenannt bleibt. „Haunted“ bedeutet zunächst einmal „verfolgt“. Ein „haunted house“ ist ein heimgesuchtes Gebäude, ETWAS geht darin um. Möglicherweise wird das Haus aber auch selbst zur Heimsuchung derer – das Wortspiel drängt sich auf – die darin ein Heim suchen.

 

 

The Haunting

In Robert Wises Verfilmung von Shirley Jacksons Roman The Haunting of Hill House aus dem Jahr 1963 – dem Flaggschiff des Genres – strafft sich der Titel zu: The Haunting. So gewinnt der Vorgang an sich an Gewicht, während das Agens im Ungewissen bleibt. Wises Film betont inszenatorisch, was auch Jacksons Roman nahe legt: Dass der Herrensitz „Hill House“ selbst das fehlende Subjekt, die handelnde Kraft ist. Um Gebäude wie Hill House soll es im Weiteren gehen.

 

Mein Thema sind also Gebäude, die im unheimlichen Film/ Horrorfilm als handelnde Subjekte und lebende Körper inszeniert werden. Wie aber passt das in den thematischen Rahmen der „Falschen Fährten“? – Nachdem in praktisch jedem Haunted-House-Film am Ende eine Lösung gefunden wird, die das Haus wieder zurückstuft auf den Status des passiven Schauplatzes – Gebeine werden im Keller gefunden, der Spuk als Inszenierung eines Schwindlers enttarnt , etc. – schien mir die vorherige Inszenierung des Gebäudes als Körper eine bewusst gelegte, falsche Fährte. Und weil diese angenommene Falsche Fährte in gar nicht so wenigen unheimlichen und Horror-Filmen mal mehr, mal weniger explizit vorhanden ist, mit einem ganz eigenen, kleinen Kanon der Stilmittel, haben mich deren Hintergründe interessiert.

 

Tatsächlich gibt es derzeit so etwas wie eine Renaissance des Subgenres Haunted-House-Film: The Haunting wurde ebenso neu verfilmt wie der Haunted-House-Klassiker The Amityville Horror aus dem Jahr 1979. Angekündigt sind bereits einige weitere Produktionen: Ringu-Regisseur Hideo Nakata, von dem auch Dark Water stammt, hat gerade das Remake des kanadischen Body-House-Horrors The Entity abgedreht. Auf der Apple-Trailer-Seite findet man die Ankündigung von An American Haunting, eines based on a true story Haunted-House-Films. Robert Zemeckis und Steven Spielberg haben die in 3D animierte Horrorkomödie Monster House produziert, die gerade in ihrer Übersteigerung als Genre-Spoof Merkmale sichtbar macht, die andere nur andeuten.

 

 

1. Haunted-House-Filme: Ein Merkmalskatalog

 

In welcher Weise kann nun die Körperlichkeit eines Gebäudes inszeniert werden?

Beginnen wir mit der Erzählung selbst: Häufig haben Gebäude, in denen es umgeht, einen Namen, der schon allein durch seine häufige Nennung individuierend wirkt. Man denke etwa an das „Hill House“ in Wises The Haunting, dessen Name immer wieder gemeinsam mit dem der weiblichen Hauptfigur Eleanor genannt wird – als seien die beiden von vornherein für einander bestimmt.

Das Urmodell eines ver-persönlichten Hauses ist aber E.A. Poes nach seinen siechen Bewohnern benanntes „House of Usher“. Oder vielleicht heißt auch das Geschlecht der Usher nach seinem Stammsitz? In der Erzählung und zahlreichen Verfilmungen wird diese Möglichkeit angedeutet. Usher – der Name scheint den Moder der Mauern lautmalerisch schon vorwegzunehmen, während etwa der Klang von „Manderlay“ – ein Name, der ganz ohne den Zusatz house, castle oder mansion, wie der einer Person genannt wird – in Hitchcocks DuMaurier-Verfilmung Rebecca durchklingen lässt, dass es sich um einen aristokratischen Ort handelt, ein Haus, das hohe Ansprüche an seiner Bewohner stellt.

„High Hopes“ heißt (und hieß ironischer Weise wirklich) das Haus, in dem sich die Amityville-Morde abgespielt haben. Das „Overlook Hotel“ spielt die Hauptrolle in Kubricks The Shining.

Und „Cabrini-Green“, ist der Eigenname jenes Social Housing Projects in Chicago, in dem der Slasher „Candyman“ sich seine Opfer sucht, und dabei mit dem Tatort eins zu werden scheint.

 

Eine Subjektivierung findet aber auch in der Art des Sprechens-Über statt. „It knows my name!“, ruft Eleanor voll Entsetzen in The Haunting, als über Nacht ein Graffito an der Wand erscheint, das sie auffordert, „heim“ zu kommen. „It knows“, das Haus kennt. In The Legend of Hell House, einem nicht unspannenden, wenn auch in vieler Hinsicht unterlegenen, offensichtlichen Ripp-Off von Wises Film, heißt es parallel dazu: „This house, it knows, we’re here“ und später: „The house tried to kill me. It almost succeeded.“

 

Das zentrale Zitat in dieser Hinsicht ist wohl aber das, welches ich dem Titel meines Vortrages beigestellt habe: „A house that was born bad“, lautet eine Beschreibung des Hill House aus Wises Haunting, dem mit der Geburt die zentrale Eigenschaft lebender Wesen zugestanden wird.

Eine geläufige Metapher namentlicher Subjektivierung ist die des Beobachtens und Beobachtet-Werdens: „I found myself within the view of the melancholy House of Usher“, heißt es bei Poe und im Voice Over von Jan Svankmajers kongenialer Stop-Motion-Trick-Verfilmung.

 

Vom unterstellten Blick möchte ich gleich zu Kameraarbeit und Montage übergehen: Wiederum erweist sich hier Robert Wise mit The Haunting als konsequent, wenn er immer wieder unmögliche Perspektiven von Giebeln und Türmen hinunter auf die menschlichen Protagonisten einbaut, die von uns – vor allem dann, wenn sie in einer Schuss-Gegenschuss-Syntax montiert sind – automatisch als Subjektiven des Hauses gelesen werden.

 

 

Zainik domu Usheru

Solche Konstruktionen, in denen ein Gebäude den Blick zu erwidern scheint, gibt es in fast jedem Haunted-House-Film – Slavoj Zizek hat diese Vorgehensweise ausführlich an seinem All Time Favorite Film Psycho exemplifiziert.

 

Svankmajer treibt das Ganze wiederum auf die Spitze, wenn er in seinem Zánik domu Usheru (The Fall of the House of Usher, 1981) einen Schuss-Gegenschuss- Blickwechsel zwischen einem Türrahmen und einem Stuhl inszeniert.

 

Aber Gebäude können nicht nur blicken, sie geben auch Laut. In einer der unheimlichsten Szene von The Haunting liegen die beiden jungen Frauen, Theo und Eleanor, aneinandergeklammert, mit rasendem Herzen in einem Raum. Es ist Nacht, und durch den Flur nähert sich ein dröhnendes Pochen. Dieses Pochen, ein Klopfen könnte man auch sagen, ist mehrfach konnotiert. Eleanor, die einen Schuldkomplex hat und glaubt, ihre Mutter getötet zu haben, weil sie das Hilfe-Klopfen der Kranken überhörte, liest darin eine Anklage. Tatsächlich klingt dieses Pochen aber auch wie Herzrasen, anschwellend wie der Puls der beiden Frauen (und tatsächlich ist im Film mehrfach vom Herzen des Hauses die Rede). Es scheint, als würde das Haus wie ein Verstärker die Körpergeräusche der Frauen spiegeln. Bevor das Pochen jedoch endgültig verstummt, ist ein kurzes, hysterisches Lachen zu hören. Nachdem es verstummt ist, wird es von beiden Frauen aufgegriffen, die in ein verkrampftes, scheinbar erleichtertes Lachen ausbrechen und mit dieser mimetischen Geste unbewusst Teil eines kommunikativen Prozesses werden. Die menschlichen Körper imitieren hier den „Körper des Gebäudes“.

 

In Bernhard Roses Candyman (Candymans Fluch) existiert die markante Bassstimme der gleichnamigen Erscheinung lange Zeit als „voix acousmatique“ im Sinne Chions und wird so mit dem Gebäude assoziiert, noch bevor wir den Körper des Slashers Candyman zu sehen bekommen.

 

Um in diesem Punkt nicht zu weit auszuufern sei nur noch kurz an jenes prägnante Geräusch aus Ju-on – The Grudge erinnert, jenes kehlige Knarren, das zugleich einem menschlichen Hals und einer nicht-geölten Türangel, also dem Gebäude selbst, zu entstammen scheint.

 

Ein bereits klischiertes Symptom spukender Häuser ist der sich selbst erneuernde Blutfleck, wie ihn Oscar Wilde in seiner Erzählung The Canterville Ghost parodiert. Mit getupften Flüssigkeiten wie dieser gibt sich das Horrorkino heute allerdings kaum noch ab: So besteht einer der Alptraummomente von Janghwa, Hongryeon (A Tale of Two Sisters), einem übersinnlichen Thriller aus Korea, ganz in der Tradition von Carrie darin, dass ein junges Mädchen ihre erste Regelblutung bekommt. Unvorbereitet auf das Ereignis tritt sie auf eine Dielenplanke, unter der Blut hervorquillt – eine Vorausbedeutung des anstehenden „Ereignisses“.

 

Aber Häuser können auch mit einem fünften Sinn ausgestattet sein, dem Tastsinn: Die zugreifenden Kerzenhalter im Schloss von Cocteaus La Belle et la Bête sind ein bekanntes Bild. Möglicher Weise hat sich Roman Polanski an sie erinnert, als er in Ekel die Wände nach Catherine Deneuve greifen lässt. Von Wes Craven weiß man wiederum, dass er ein Fan Polanskis war: In einer der Schlüsselszenen von A Nightmare on Elmstreet, bleibt Freddy Krugers markante Visage ungesehen. Stattdessen ist es die Wand – inszeniert als sich dehnendes, von hinten beleuchtetes Tuch über dem Bett eines Teenagers – die sich nach vorne wölbt und stülpt, und letztlich doch durch ein an dieser Stelle befestigtes Kreuz zurückgehalten wird.

 

Auch wenn die Nightmare-Serie aufgrund der markanten Hauptfigur vorwiegend als Slasher-Film, weniger über den Raum als Haunted-House-Film wahrgenommen wird, ist der erste Teil in dieser Hinsicht interessant. Immer wieder tun sich in A Nightmare on Elmstreet (1984) gähnende Höhlungen innerhalb des Hauses auf: im Bett, im Abfluss der Badewanne, Körperöffnungen, so scheint es, die die Teenager in eine alptraumhafte Unterwelt saugen wollen, und dabei in ihrer ironisch hyperralistischen Darstellung an Objekt-Körper-Konstruktionen eines David Cronenberg erinnern. Darum meine ich, dass man hier von einem Sub-Sub-Genre des House-Body-Horrors sprechen kann.

 

 

2: Zwei Filme als Fallbeispiel

 

Zwei Filme scheinen mir hinsichtlich ihrer allegorischen Darstellung von Gebäuden als Körpern besonders interessant und ergiebig: Es handelt sich um Candyman, Regie: Bernhard Rose, aus dem Jahr 1992, und Hideo Nakatas Dark Water, aus dem Jahr 2002, das 2005 von Walter Salles für den amerikanischen Markt wiederverfilmt wurde. An ihnen lässt sich die These von der Falschen Fährte im Detail weiterverfolgen.

 

Bezeichnender Weise wurden beide Stoffe nicht als Haunted-House-Filme vermarktet – man kennt die Plakate und DVD-Hüllen auf denen ein einsames Psycho-eskes Haus in Untersicht auf einem Hügel steht. Solche Bilder wären hier auch gar nicht möglich gewesen, es gibt keine Gothic Mansion mehr. Stattdessen sind beide in desolaten Appartement-Häusern angesiedelt, die bereits bessere Tage gesehen haben. In beiden Filmen ist die Hauptfigur jeweils eine Frau, die dem Haus verfällt, sich ihm ergibt, dabei ihr Leben lässt, zugleich aber einen Status der Unsterblichkeit – als Widergängerin in den Mauern des Hauses – erlangt.

 

In Candyman setzt das Forschungsprojekt zweier Studentinnen den Plot in Bewegung: Sie spüren der urbanen Legende des Candyman nach, von dem es heißt, wenn man vor einem Spiegel fünf mal seinen Namen sage, käme er und risse einem mit einem Enterhaken den Leib auf. Helen, gespielt von Virginia Madsen, ist eine blonde, ehrgeizige Doktorandin, nicht ohne Abenteuerlust und einen Hang zur Romantik. Als ihr zu Ohren kommt, dass die Legende ihren Ursprung in Cabrini-Green, einem Gettowohnblock in Chicago hat, beschließt sie, der Sache vor Ort nachzugehen.

 

Cabrini-Green existiert tatsächlich unter diesem Namen. 1955 wurde die Siedlung in einer, an den Stil Mies von der Rohes angelehnten Betongerüstweise errichtet und war damals das größte zusammenhängende Housing Project der Welt. Heute ist es vor allem berüchtigt für seine Mordstatistik, und ein Teil der Gebäude wurde bereits wieder abgerissen. Es mischen sich also Fact und Fiction, wenn Helen im Zuge ihrer Recherche, auf Zeitungsberichte stößt, die belegen, dass ihr eigenes, nobles Appartementhaus, in dem sie lebt, den exakt gleichen Bauplan hat, wie Cabrini-Green. Als Social Housing Project errichtet, entschied man sich letztlich gegen diese Verwendung, lag doch das Gebäude zu nah an einer wohlhabenden Wohngegend (siehe Fußnote 13). So wurde aus dem Sozialbau eine vorwiegend von Weißen bewohnte, propere Doublette der Gebäude im schwarzen Getto. Helens Wohnhaus hat einen „dunklen“ Doppelgänger.

 

Auch, wenn die Figur des Candyman mit der markanten Stimme und dem langen weiten Mantel auf Anhieb dominant wirkt; in Wirklichkeit ist sie nicht mehr als ein Platzhalter. Sie definiert sich als Helens Antipol, in allen Punkten möglichst verschieden von ihr, vor allem aber: männlich und schwarz. Ihr Gegenstück, wie Cabrini-Green das Gegenstück, der dunkle Zwilling, ihres Appartementgebäudes ist. Wenn Helen mit auffälliger Penetranz dabei gezeigt wird, wie sie auf ihren Forschungsgängen durch das Gettohochhaus durch Wandöffnungen kriecht, liegt die Vereinigungsmetapher der Gegensätze nah.

 

 

Candyman

Der weibliche, weiße Körper, der hier in das männlich und schwarz dominierte räumliche Areal eindringt, begeht einen Tabubruch. Helens forsche Art, die in den über Jahrhunderte gewachsenen Legenden der afroamerikanischen Getto-Bewohner nichts weiter sieht als ein Informationsfeld, das sie zur eigenen akademischen Profilierung beliebig abernten kann – wird von Bernard Rose immer wieder in der Situation der allegorischen Penetration gezeigt: Während sich ihr Körper in einem der Spannungshöhepunkte durch eine Maueröffnung schiebt, sich zubewegt auf jenes mythische Mordappartement des Candyman, zeigt uns ein Gegenschuss schon die andere Seite der Wand: Sie ist bedeckt von einem gigantischen Graffito, einem schwarzen Gesicht mit zum Schrei aufgerissenem Mund. Im Zentrum des Mundes, aus dem Mauerbrocken wie Zähne ragen, ist jene Öffnung, durch die Helen ihren Körper schiebt, ein Akt der Penetration und zugleich ein Akt des Verschlingens, der in dieser Doppeldeutigkeit den Tod der Protagonistin in der tödlichen Umarmung des Monsters vorwegnimmt.

 

Einen gemauerten Zwilling gibt es auch in Dark Water. In Original und Remake bezieht eine frisch geschiedene Mutter mit ihrer kleinen Tochter eine Wohnung in einem heruntergekommenen Appartementhaus (in der US-Version wird betont, dass es sich ehedem um ein Vorzeige-Sozialprojekt gehandelt habe). Alle Wohnungen in diesem Haus haben den gleichen Bauplan, so auch die Wohnung über ihnen, aus der, obwohl offiziell leer stehend, Geräusche zu hören sind. Sorgen macht der Frau aber vor allem ein Wasserfleck an der Decke, der von Tag zu Tag größer wird.

 

Als sie sich in die darüber liegende Wohnung begibt, um nachzusehen, findet sie alles unter Wasser stehen, die Hähne aufgedreht, die Tapeten halb abgelöst und verschimmelt: die albtraumhafte Verdoppelung der eigenen, liebevoll hergerichteten Räume.

Zwei Verbindungskanäle bestimmen die Raumkonstruktion von Dark Water. Da ist zum einen der Aufzug, dessen Schacht mit den Stockwerken man als eine Art Wirbelsäule lesen könnte. Vor allem aber die Wasserleitungen, die das Gebäude wie ein Netz von Blutgefäßen durchziehen. Doch der Organismus ist krank, das Wasser brackig, es leckt aus „Wunden“ hervor, statt gleichmäßig zu fließen. Aus den Leitungen sprudelt es menschliche Körperpartikel. Und selbst, wenn deren Herkunft am Ende logisch erklärt wird, hat doch das Bild in seiner surrealen Kraft Bestand: Die von den Verhältnissen überforderte Alleinerzieherin, die ein Glas Wasser für die Kopfschmerztablette braucht. Das gurgelnde Geräusch, das aus der Leitung kommt. Die menschliche Strähne, die plötzlich wie eine Alge im Wasser treibt. Lang und schwarz wie ihr eigenes Haar, und wie das ihrer Tochter.

 

Asiatische Horrorfilme vermitteln in jüngster Zeit oft das Gefühl, die Autoren hätten ihre Freudlektüre 1:1 umgesetzt. So auch Dark Water, dessen Leitmotiv, das Verlassenwerden des Kindes durch die Mutter, Freud als eine der Ur-Ängste gilt. Eine parallel zur Handlung montierte Serie von Rückblenden lässt uns wissen, dass vor nicht allzu langer Zeit in diesem Haus ein anderes kleines Mädchen von seiner Mutter verlassen wurde, sich zu weit nach oben wagte (auf das Flachdach), sich zu weit nach vorne beugte (über die Öffnung des Wasserreservoirs) und in dem großen, mutterbauchartigen Behälter ertrank.

Das Verlassenwerden des Kindes durch die Mutter erfährt im Film diverse Spiegelungen, beide Inszenierungen (Original und Remake) heben aber vor allem jene des verlassenen Hauses hervor. In Walter Salles Version wird es sogar explizit ausgesprochen. Eine Maklerin erklärt Jennifer Conolly, dass dieser soziale Wohnbau einmal ein Vorzeigeprojekt war, von der Stadt aber aus Geldmangel „im Stich gelassen“ wurde.

 

Richard Sennett, ein Chicagoer Historiker und Soziologe, beschreibt in seinem Essayband Fleisch und Stein das Hauptmerkmal heutiger Raumwahrnehmung als „fragmentarisch“. Auf eine Stadt bezogen, wenn man mit der U-Bahn fährt. Auf weite Reisen, wenn man fliegt. Auf ein Appartementhaus aber, indem man einen Aufzug nimmt. Man bewegt sich durch den Raum, ohne die Möglichkeit, ihn wahrzunehmen. Zugleich aber auch ohne die Möglichkeit, Kontakt zu anderen Menschen zu knüpfen: „Ordnung“ schreibt Sennett, „bedeutet heute das Fehlen von Kontakt. (…)Wenn wir etwas berühren, könnten wir Gefahr laufen, etwas oder jemanden als fremd zu empfinden. Unsere Technologie gestattet uns die Vermeidung dieses Risikos.”

 

Was Sennett beschreibt, könnte man Vereinsamungsarchitektur nennen: In einem Appartementhaus wie dem von Dark Water lässt sich die Präsenz ähnlich oder gleich strukturierter Kleinfamilien in ähnlich oder gleich strukturierten Wohnungseinheiten lediglich ahnen. Auf diese Weise werden die Nachbarn, nur durch eine Wand getrennt, zu unseren geheimnisvollen Doppelgängern.

 

Interessant ist, dass beide Filme, Candyman, Dark Water – wie im Übrigen auch der Klassiker The Haunting, auf ein ganz ähnliches Ende hinauslaufen. Das Haus „fordert“ den Menschen für sich, vereinnahmt ihn, behält ihn in einem Zwischenraum zwischen Leben und Tod. Man denke an das Ende von The Shining, die Fotografien mit Jack Nicholson und den Satz, auf den alles hinausläuft: „You’ve always been the caretaker.“

 

 

3. Der Versuch, ein paar Türen aufzustoßen; soziologische, psychoanalytische, ästhetische Überlegungen anzustellen, wie sich diese Beobachtungen weiterentwickeln lassen

 

An dieser Stelle möchte ich wieder ans eigentliche Thema der „Falschen Fährte“ anknüpfen. Meine Ausgangsthese war, wie gesagt, dass die Inszenierung von Häusern als Körper an sich eine Irreführung, eine Ablenkung sei.

Meine Annahme lautet jetzt aber ganz im Gegenteil, dass der manifeste Spuk, das geisterhafte kleine Mädchen in Dark Water oder der Candyman, ja, möglicher Weise sogar Freddy Kruger „Falsche Fährten“ legen. Dass sie uns als Platzhalter davon ablenken, wo der wahre Horror lebendig ist. Im verfremdeten uns Vertrauten, der Unheimlichkeit des eigenen Heims.

 

In einem Aufsatz zum Film Candyman stellen Aviva Briefel und Sianne Ngai unter anderem die These auf, dass in den so genannten Neo-Stalker-Filmen der Neunziger die Position des „haunters“ völlig austauschbar sei, während die Opfergruppe (weiß, wohlhabend) homogen bleibt. Briefel/Ngai sehen die Angst vor dem „haunt“, die in der Begegnung mit dem Monster in gerichtete Furcht umgewandelt und so überwunden werden kann, als Mechanismus der Aneignung. Sie schreiben: „Our thesis is that because all horror or Gothic narratives derive from this point of private proprietorship, one that produces anxieties about proprietorship in general, these narratives subsquently establish anxiety as a form of emotional property. (…) Anxiety constitutes property.“ Ein Haus zu besitzen, oder wie die Teenager im Genre der Teen-Slasher-Filme, Anwärter auf dieses zu sein, berechtige sie zu der Erfahrung von Furcht.

 

Diese These bleibt interessant, wenn Briefel/Ngai weiter ausführen, dass ein Spuk häufig im Keller seinen Ausgangspunkt nimmt, der ehemaligen Dienstbotenetage, und sich so die arbeitende Klasse (auch Freddy Kruger war ja einmal Hausmeister) ins Bewusstsein der Upper-Floor-Class dränge.

 

Über die Unheimlichkeit des anthropomorphen Gebäudes geben diese Überlegungen uns allerdings noch nicht wirklich Aufschluss. Ein Standardwerk zur Unheimlichkeit moderner Architektur ist Antony Vidlers The Architectural Uncanny , an dem mich allerdings stört, dass seine Thesen auf Architektur-Konzepten fußen, die mit einer gelebten Realität wenig zu tun haben. Der Bau der Nationalbibliothek in Paris oder das Centre Pompidou mögen Beispiele für transparentes Bauen sein. Im privaten Wohnbereich sehe ich dagegen keine Entwicklung in Richtung Transparenz. Im Gegenteil, wie Sennett beschreibt, eher eine Architektur die Wahrnehmung ausschließt, eine Architektur der Vereinzelung, die zugleich – Stichwort Genossenschaftswohnung, Stichwort Fertigteilhaus – überall ihre Doppelgänger hat.

In solchen und ähnlichen Wohnformen nehmen möglicher Weise die Zwillingsgebäude der Fiktion ihr Vorbild: In Analogie zur Besessenheit des 19. Jahrhunderts, dem aufkommenden Zeitalter der maschinellen Fertigung, mit Doppelgängern an sich. Nun eben die Verdoppelung der Heimstatt, die im Zeitalter der technischen Reproduzierbarkeit ihre Aura verloren hat.

Aber nicht nur ihre Aura, sondern auch – man denke an aktuelle Verschalungsbauweisen, wo Gebäude aus Beton gegossen und später mit Dämmmaterialien und Blenden verschalt werden – auch seiner solid-körperlichen Substantialität. Wenn Sennett bemerkt, dass man, „in hundert Jahren von Hadrians Rom mehr greifbare Spuren wird sehen können, als vom heutigen New York mit seinen Glas- und Kunststofffasern“ , hat er wahrscheinlich recht. Vidler beschreibt die Fassaden moderner Gebäude als „thin & insubstantial“, sie besäßen keine „bodily substantiality“. Es sei eine „monumental dissolution“, eine monumentale Auflösung zu beobachten, die zugleich eine „projection of the disappearing subject“ sei. Dies sei der Grund, warum der (leere) Raum seinen Bewohnern als verschlingende Kraft erscheinen könne: „Space persues them, encircles them, digests them.“ Zudem gehe den modernen Gebäuden einer Großstadt die urbane Erinnerungsfähigkeit („urban memory“) ab, die zur Schaffung einer sozialen Einheit („social entity“ ) notwendig sei: Viele dieser Tage errichtete Gebäude, resümmiert Vidler, könnten nicht mehr als Monumente und somit als Träger der Erinnerung funktionieren.

 

Hier mag auch der Schlüssel liegen zu jenem ALWAYS, zur Ewigkeit, die Häuser wie das Overlook Hotel, wie das Hill House oder Cabrini-Green verheißen: Vielleicht drängt sich in der filmischen Albtraumvision, gemeinsam mit dem Haus zu einem ewigen Körper zu verschmelzen, ganz einfach der unterdrückte Wunsch nach einer dauerhaften und körperlichen Qualität unseres Heims ins Bewusstsein?

 

Freuds Aufsatz über „Das Unheimliche“ ist in der Horrorliteratur oft genug zitiert wurden. Die Grundthese ist bekannt: das Un-heimliche ist das verfremdete Altbekannte, wobei sich der zweite Wortteil von „Heim“ herleiten lässt. Unheimlich ist laut Freud aber auch, „wenn ein Symbol die volle Leistung und Bedeutung des Symbolisierten übernimmt und dergleichen mehr“, wobei er als Beispiel eine Pulp-Geschichte aus dem Strand-Magazin anführt, in der ein Tisch mit Krokodilsschnitzereien nachts zu leben und sich zu winden beginnt.

Robin Wood denkt diese These in gewisser Weise für das Horrorgenre weiter, wenn er schreibt: „One might say that the true subject of the horror genre is all that our civilization represses and oppresses.“ Ein Gedanke, den wiederum Steven Schneider aufgreift und entwickelt: unheimlich wirke eine „reconfirmation of the surmounted belief“ .

„Surmounted beliefs are horror film monsters.“ So betrachtet, könnte man die Belebung der Objekte oder des ganzen Hauses als Wiederkehr des so genannten magischen Denkens lesen, ein in gewissen Altersabschnitten sehr bestimmender Kindheitsglaube, der Objekten eine Handlungsfähigkeit und einen Willen unterstellt („Der Tisch hat mir weg getan“).

Es könnte Sinn machen, diese Theorie von der Rückkehr des „magischen Denkens“ in Bezug auf lebendig gewordene Häuser zusammenzudenken mit Briefel/Ngais natürlich auch umkehrbaren These „anxiety constitutes property“. Und, wenn man denn Häuser/Gebäude als Besitz denkt, könnte an dieser Stelle Karl Marx’ Theorie des Warenfetischismus ins Spiel kommen: die Herrschaft der Dinge über den Menschen, das Eigenleben des Produkts (Immobilie).

 

Ich glaube aber, dass Häuser, die als Monster inszeniert werden, aus einem ganz bestimmten Grund eine immense Bedrohlichkeit haben. Nicht nur, weil sie, wie ich ausgeführt habe, Doppelgänger unserer eigenen Heimstatt sind. Sondern, weil sie als diese nicht zu überwinden sind. In der Begegnung mit einem humanoiden Monster wie Freddy Kruger, wandelt sich ungerichtete Angst (englisch: Horror) in objekt-gerichtete Furcht (englisch: Terror). Und kann so überwunden werden. Gegenüber der unbestimmten Körperlichkeit eines Gebäudes, bleibt hingegen die Angst immer Angst. Eine Ahnung, in der wir gefangen sind.

Meine Annahme lautet, konträr zur Ausgangsthese, nun, dass die sichtbaren Geister in (Haunted-House-)Filmen oft vorgeschobene, falsche Fährten sind; ein Angebot an den Zuschauer, ihn aus seiner Angst zu befreien und ihm das kathartische Erlebnis zu ermöglichen. Denn: Monster können exorziert werden. Häuser stehen über unseren Tod hinaus.

 

Maya McKechneay

 

Dieser Text erscheint in einer Veröffentlichung des Instituts für Theaterwissenschaft / Wien (Datum unbekannt)

 

 

Referenz-Filmographie:

 

„The Haunting“ (Robert Wise, 1963)

„Candyman“ (Bernhard Rose, 1992)

„Honogurai mizo no soko kara“ („Dark Water“, Hideo Nakata, 2002), „Dark Water“ (US-Remake, Walter Salles, 2005)

„Rebecca“ (Alfred Hitchcock, 1940), „The House on the Haunted Hill“ (William Castle, 1959), „The Innocents“ (Jack Clayton, 1961), „Byt“ („The Flat“), „Tichy tiden v Dome“ („A Quiet Week in the House“), „Zánik Domu Usheru“ („The Fall of the House of Usher“, alle drei: Jan Svankmajer, 1968/69/81), Roman Polanski-Trilogie: „Repulsion“ („Ekel“, 1965), „The Tenant“ (1976), „Rosemary’s Baby“ (1968), „The Legend of Hell House“ (John Hough, 1973), „The Amityville Horror“ (Stuart Rosenberg, 1979; Remake Andrew Douglas, 2005), „The Shining“ (Stanley Kubrick, 1980), „The Entity“ (Sidney J. Furie, 1981; Remake Hideo Nakata, 2006), „A Nightmare on Elm Street“ (Wes Craven, 1984), „Thir13en Ghosts“ (Steve Beck, 2001), „Janghwa, Hongryeon“ („A Tale of Two Sisters“, Ji-woon Kim, 2003), „Into the Mirror“ (Seong-ho Kim, 2003), „Hotel“ (Jessica Hausner, 2004), „Hauru no ugoku shiro“ („Howl’s Moving Castle“, Hayao Myiazaki, 2004)

 

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