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Renaissance-Mann

Zum Tod des Fotografen, Malers, Schauspielers, Regisseurs, Sammlers und Enfant terrible Dennis Hopper

 

Mitte der fünfziger Jahre saß ein damals blutjunger Dennis Hopper dem legendären Studioboss Harry Cohn gegenüber. Cohn galt unter Kollegen nicht gerade als angenehmer Zeitgenosse. An Hopper allerdings hatte er einen Narren gefressen, er sah in ihm bereits einen neuen Montgomery Clift. Hollywood befand sich in einem Jugendwahn; die Erfolge von „Der Wilde“ und „Jenseits von Eden“ hatte ihre Stars Marlon Brando und James Dean über Nacht zu Teenie-Idolen gemacht, und der gerade boomende Rock’n’Roll lieferte den passenden Soundtrack. Frische Gesichter waren gefragt, aber die eher bürgerliche Theaterausbildung Hoppers in Shakespeare-Ensembles passte nicht so recht zum Rebellen-Image, das Cohn vorgeschwebt haben mag. Der wollte Hopper erstmal zurück zur Schauspielschule schicken, um ihm die Theater-Marotten auszutreiben. Hoppers entschiedenes „Fuck You“ hätte Cohn als Antwort eigentlich gefallen müssen, stattdessen landeten er und sein Manager im hohen Bogen auf der Straße.

 

Drei Jahre später geriet er beim Dreh von „From Hell to Texas“ erneut mit einem von Hollywoods ‚Old Boys’, dem Regieveteranen Henry Hathaway, aneinander. Hopper ging schließlich entnervt nach New York, um bei Lee Strasberg zu studieren. Strasbergs Method Acting sollte sich für Hoppers unberechenbares Temperament als richtige Schule erweisen. Nach seiner Rückkehr an die Westküste kam Hopper noch ein paar Mal mit den alten Hollywood-Garden in Berührung (John Wayne machte sich schon damals über Hoppers liberale Anwandlungen lustig), aber seine Arbeiten mit den B-Movie-Auteuren Curtis Harrington und Roger Corman ließen bereits erahnen, wohin für ihn die Reise gehen würde.

 

Heute kann man sich kaum mehr vorstellen, dass Dennis Hopper jemals als Jungstar gehandelt wurde – auch weil man leicht übersieht, dass seine Hollywood-Karriere fast sechs Dekaden zurückreicht. Hopper wird uns nicht als Jugend-Idol in Erinnerung bleiben. James Dean, der so etwas wie ein Mentor des jungen Hopper wurde, machte sich durch seinen frühen Tod unsterblich. Hopper erlangte einen Ruf von Unsterblichkeit allenfalls, weil er in all den Jahren härtester Exzesse einfach nicht kaputtzukriegen war.

 

Das hat er mit Marlon Brando gemein, dessen Privatleben und berufliche Laufbahn ähnliche Extreme durchlitten. Auch wenn der Vergleich vermessen erscheint, sind Brando und Hopper die großen versehrten Ikonen ihrer Ära. Beide haben für ihre künstlerische Überzeugung ihre Karrieren aufs Spiel gesetzt und sind nach deren grandiosem Scheitern (Brando 1961 mit „Der Besessene“, Hopper zehn Jahre später mit „The Last Movie“) von Hollywood mit Liebesentzug bestraft worden. Auf der Leinwand kreuzten sich ihre Wege nur einmal, doch wie nicht anders zu erwarten, wenn zwei solche Naturgewalten aufeinandertreffen, waren die Umstände entsprechend katastrophal. Ihre gemeinsame Szene in Coppolas Chaos-Produktion „Apocalypse Now!“ klärte ganz nebenbei auch das Verhältnis der beiden gefallenen Stars: im Halbdunkel der kahlköpfige, schwitzende Brando, durch Mythos und Statur ein Gigant, in eine andere Ecke gekauert der zugedröhnte Hopper. Sie wechseln kein Wort miteinander, Hopper fungiert eher als Sprachrohr des irre gewordenen Kurtz/Brando, der ihn schließlich wie einen Hund aus seiner Höhle scheucht. Brando spielte in einer anderen Liga als Hopper. Niemand spielte mit Hopper in einer Liga.

 

Sein Alleinstellungsmerkmal war nicht zuletzt eine selbst für Hollywood-Verhältnisse schillernde Lebensgeschichte. Hopper verschlug es immer wieder zur rechten Zeit an die richtigen Orte. Er erlebte James Deans kurze, intensive Sternstunde aus unmittelbarer Nähe (die Nebenrollen in “… denn sie wissen nicht was sie tun” und “Giganten” hatte Dean ihm persönlich verschafft). Anfang der Sechziger war er dabei, als die amerikanische Pop Art-Szene um Warhol, Rauschenberg und Ruscha ihre Geburtsstunde feierte. Und mit “Easy Rider” begründete er maßgeblich die Ära New Hollywood. Wäre er damals gestorben – und eine Zeit lang sah es ganz danach aus – welches Bild hätten wir heute wohl von Dennis Hopper? Vielleicht würde man sich an ihn als eine Schlüsselfigur der sechziger Jahre erinnern. Seine Fotos von Martin Luther King, Warhol, Jane Fonda als Amazone mit Pfeil und Bogen und unzähligen Alltagsgesichtern sind Dokumente eines anderen Amerika, dessen Ausfallslinien in der Biografie Hoppers zusammenliefen.

 

Er hat uns diesen Gefallen nicht getan. Zum Dank erinnern wir uns an Dennis Hopper nun als diesen (größen)wahnsinnigen Schauspieler, der er auch – aber eben nicht nur – gewesen ist. Denn im Grunde war Hopper der letzte Renaissance-Mann Hollywoods: Fotograf, Maler, Schauspieler, Regisseur, Kunstexperte, Sammler, Enfant Terrible. Joanne Woodward, die Frau seines langjährigen Freundes Paul Newman, soll über den jungen Hopper gesagt haben: “Dennis ist ein Genie. Ich bin nicht sicher in was, und ich bin nicht mal sicher, ob Dennis es genau weiß.” Genie ist für Hopper nie eine Frage von Können oder Virtuosität gewesen, sondern von schierem Instinkt; etwas, das der Amerikaner als ‘gut feeling’ bezeichnet. Bei Hopper kam alles aus den Eingeweiden, seinem Innersten. Auch deswegen waren seine besten Figuren manchmal so schwer erträglich. Denn Hopper war in all ihnen gegenwärtig.

 

Dieses Genie hat sich im Laufe der Zeit in einem Nebel illegaler Substanzen verloren (die siebziger Jahre waren die große Leerstelle in seiner Karriere), aber etwas von dem frühen Hopper hat in seinen späteren großen und kleinen Paraderollen überlebt: dem australischen Outlaw "Mad Dog" Morgan in Philippe Moras gleichnamigem Western, dem Psychopathen Frank Booth in David Lynchs alptraumhaften “Blue Velvet” und den vielen Alkoholikern und Drogenfreaks aus “Out of the Blue”, “Rumble Fish”, “White Star” oder “Das Messer am Ufer”. Alle diese Figuren führen auf Umwegen zurück zu “Easy Rider”, Hoppers Vermächtnis, und damit auch zu seinem verkannten Meisterwerk “The Last Movie”, mit dem er seine Amerika-Kritik und die romantische Sehnsucht nach einem Leben außerhalb zivilisatorischer Grenzen auf die Spitze trieb. Hopper verkörperte das dunkle, unkontrollierbare Amerika, das (wie er selbst) aus den turbulenten siebziger Jahren hervorgegangen war. Das machte ihn zu einem Archetyp des post-klassischen Kinos. Vielleicht haben seine europäischen Verehrer – Wim Wenders in “Der amerikanische Freund”, Roland Klick in “White Star” – ihn auch darum gerne als Typus des “Amerikaners” besetzt.  

 

Diese rohe, selbstzerstörerische Energie zog sich durch fast alle seine Figuren und Regiearbeiten. Gewalt war seit dem Todesschuss am Ende von “Easy Rider“ ein zentrales Motiv seiner Filme. Er schien von ihr geradezu angezogen: ob in der amerikanischen Provinz (“Blue Velvet”, “Das Messer am Ufer”), in den Innenstädten (“Colors – Farben der Gewalt”), selbst die individuelle Freiheit gründete sich bei ihm auf Gewalt. Besonders deutlich zeigte sich das in “Out of the Blue” (1980), seinem fulminanten Regie-Comeback über eine hochgradig dysfunktionale Familie, sexuellen Missbrauch und das Ende von Rock’n’Roll, das ständig auf diesem für ihn so charakteristischen, schmalen Grat zwischen schmerzlicher Melancholie und explosiver Wut balancierte. Der deutsche Verleihtitel brachte diesen Dennis Hopper-Zustand auf unnachahmlich plakative Weise auf den Punkt: “Dynamit Punk”. Ein paar Jahre später versuchte Hopper dann tatsächlich, sich für eine Kunst-Performance mit Dynamit in die Luft zu jagen. (Zu sehen (bei youTube) in der Installation “Life After on Canvas" )

 

Aber Hopper hat jede Phase seines an einen Selbstversuch erinnernden Lebens heil überstanden. Darum entbehrte es nicht einer gewissen Ironie, als letztes Jahr bei ihm Prostatakrebs diagnostiziert wurde. Profaner hätte diese exzessive Existenz gar nicht ausklingen können. Hopper war in den letzten zwanzig Jahren allerdings auch ruhiger geworden. Durch “Speed” kam er in den Neunzigern sogar noch einmal zu Blockbuster-Ehren. Mit Hollywood ist er dennoch nicht mehr warm geworden. Eine Skepsis, die auf Gegenseitigkeit beruhte: Ein Vierteljahrhundert lagen zwischen seiner letzten Oscar-Nominierung für das Basketball-Drama “Hoosiers” (1986) und seinem Stern auf dem Walk of Fame. Sein Engagement für Ronald Reagan und die Republikaner hat man ihm, dem einstigen Posterboy der Gegenkultur, nie richtig verziehen. Diesen politischen Wandel korrigierte Hopper erst spät, aus Enttäuschung über die Politik Bushs; seine Karikatur eines Proto-Kapitalisten in der Zombie-Satire “Land of the Dead” widmete er Dick Cheney. Dass er in einer seiner letzten Rollen, in Wenders “Palermo Shooting”, den Tod persönlich spielte, fügt sich perfekt in die Hopper-Folklore aus Hollywood-Gossip, Selbstmythifizierung und Todespoetik.

 

Dennis Hoppers Nachlass ist gewaltig. Er wollte Zeit seines Lebens schaffen, Produktivität ging ihm stets über Qualität. Er wusste, am Ende würde genug herumkommen, das vor der Nachwelt Bestand hat. Sein Gesamtwerk bezeichnte er kurz vor seinem Tod einmal als Fluss aus Scheiße, aus dem er ein paar Krümel Gold gewinnen konnte. “Kreativ sein oder sterben”, das war seine Lebensphilosophie. Hopper hat sich bis zum Schluss daran gehalten. Er hat sich seine Ruhe verdient. Dennis Hopper erlag am Samstag, den 29.Mai 2010, nur wenige Tage nach seinem 74. Geburtstag, seinem Krebsleiden.

 

Andreas Busche

 

Dieser Text ist zuerst erschienen in der taz vom 31.05.2010        

 

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