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Wo,
bitte, geht’s zur Front?
Anmerkungen zur
Politik im aktuellen Hollywood-Film
Steht Hollywood links oder rechts? Wirkt sich die
zweite Amtszeit von George W. Bush lähmend auf die Kultur aus oder nicht?
Klar ist: Das amerikanische Kino hat die Politik wiederentdeckt. Steven Spielbergs
München, das Drama um Terror und Gegengewalt, das in den
USA eine heftige Debatte ausgelöst hat, führt eine ganze Phalanx von
Produktionen an, mit denen Amerika sich im kommenden Jahr selbst unter die Lupe
nimmt – fast so wie in den Siebzigern.
In kaum einer demokratischen Gesellschaft der Welt
ist der Pendelschlag zwischen einer liberalen und einer reaktionären Tendenz
so regelmäßig zu beobachten wie in der US-amerikanischen. "Die
amerikanische Gesellschaft scheint stark bewegt", notierte 1840 Alexis
de Tocqueville, "weil die Menschen und die Dinge ständig wechseln;
doch sie erscheint auch einförmig, weil es stets die gleichen Veränderungen
sind". Und Hollywood hat diese ständige Wiederkehr der Veränderung
treulich begleitet und bekräftigt, in einer stetigen Pendelbewegung zwischen
liberaler Aufsässigkeit und sentimental konservativem Konsens. Manchmal
war die Traumfabrik den politischen Veränderungen ein wenig voraus, manchmal
ein wenig hinterher, immer aber verbargen sich Kritik wie Propaganda in den
gleichen Erzählformen, den gleichen Bildern, den gleichen Genres. Im Code
einer mehr oder weniger imaginären Amerikanität der Welt.
Die Kritik an der Traumfabrik hinkte dem allen stets
noch einmal hinterher. Der rechten Kritik war Hollywood immer politisch zu kritisch
und sittlich zu liberal, der linken Kritik dagegen war Hollywood ein Hort der
Bilderverschwörung im militärisch-technologischen und im politisch-ökonomischen
Komplex. Natürlich ist beides richtig, und beides ist falsch, nicht erst
in der Zeit der globalen Bilderströme, in der Hollywood sich längst
nicht mehr auf einen funktionierenden amerikanischen Binnenmarkt verlassen kann
und der Erfolg eines Filmes neben Los Angeles und New York ebenso bestimmt wird
in Frankfurt oder Tokio. Mit der Globalisierung der Produktion und des Konsums
federn sich die Zyklen zwischen kontroversen und konsensuellen Amerika-Bildern
nicht nur ab, sie verstärken sich auch: Hollywood-Filme definieren nicht
zuletzt, wie die USA in der Welt gesehen werden, und an die Bilder von Pearl Harbor (2001) oder Rules
– Sekunden der Entscheidung (2000)
wollte sich die Welt nicht recht gewöhnen. Anders gesagt: Der Code der
Amerikanität als globale Filmsprache hat auch eine Grenze im amerikanischen
Fundamentalismus selbst. Ungeschminkte (oder schlimmer: schlecht geschminkte)
Propaganda öffnet keine Märkte.
Einfache Wahrheiten
Stattdessen scheinen die Metaphern von Politik und
Meta-Politik in Hollywood eher Strategien für den Umgang des Individuums
mit einer sinnlos gewalttätigen Welt zu entsprechen. Die Stimmungs-Zyklen
der Traumfabrik ließen sich wohl in die Kapitel einteilen:
– Patriotischer Fundamentalismus (flagwaving &
Feindbilder)
– Rückzug ins Private (family values & Freundschaftsbilder)
– Grandioser Eskapismus (Fantasy & Comic-Bilder)
– Kritische Distanz und böse Satire (Hollywood
leftism & zynische Bilder der Macht).
Europäische Kritiker scheinen jedes Mal von
Neuem überrascht, von der schlichten Direktheit, mit der man der jeweiligen
Stimmung nachgibt, von den patriotischen Räuschen und ihren Hass-Bildern
ebenso wie von der sarkastischen Kritik, die weder Ämter noch Personen
schont. Die Übergänge sind natürlich fließend, die verschiedenen
Studios reagieren in verschiedenen Rhythmen auf die Veränderungen, immer
noch gibt es Menschen mit eigenen Ideen und eigenen Interessen in der Traumfabrik,
und nicht zuletzt verändern sich die Verhältnisse von eingesetztem
Kapital und Profiterwartung: Die politischen Zyklen des großen Kino-Entertainments
sind immer auch ökonomische Zyklen, Reaktionen auf Zuschauerkrisen und
Preisexplosion. Aber alles in allem wird man wohl die Geschichte Hollywoods
beschreiben können als eine Abfolge der Stimmungs-Zyklen. Enthusiasmus,
Rückzug, Flucht und Distanz.
Das Jahr 2006 nun steht, was Hollywood-Produktionen
anbelangt, ganz offensichtlich im Zeichen eines diesmal recht heftig ausfallenden
Pendelschlages vom militanten Konsens der Zeit nach 9/11 und des Kriegs gegen
den Terror zu einer kritischen Haltung gegenüber Regierung, Militär
und Medien. In diesem Jahr kommt nahezu jeden Monat mindestens ein Film heraus,
der sich mehr oder minder fiktiv auf eines jener Konfliktfelder begibt, die
von den Parteien eines tief gespaltenen Amerika umkämpft sind: Jarhead als eigenwilliger Rekurs auf den Irak-Krieg machte
den Anfang. Geisha, der einen Streit um die Darstellung von asiatischer
Kultur im Hollywood-Film auslöste (und vielleicht eher in seiner Wirkung
als in seiner Intention der "Politisierung" unterworfen ist), wird
gefolgt von George Clooneys Reise zurück in die Zeit der antikommunistischen
Hexenjagden McCarthys, Good
Night, And Good Luck, und dem
kritischen Film Syriana über die Wirkungen der CIA-Arbeit im Nahen
Osten. Der
ewige Gärtner, der die Ausbeutung
und Unterdrückung des afrikanischen Kontinents behandelt, scheint zunächst
noch in den jedenfalls teilweise bewährten Mustern einer John-Le-Carré-Verfilmung
zu funktionieren. Aber ihn zeichnet, wie mehrere Filme dieser "Welle",
ein Bemühen aus, nicht nur das Bild, sondern den Blick zu wechseln.
Ganz direkt beschreibt der Film auch einen Vorgang
des Aufwachens: Justin Quayle (Ralph Fiennes) muss nach der Ermordung seiner
Ehefrau seine Zurückgezogenheit überwinden, die Fixierung auf seinen
Garten – man kann bei diesem Garten durchaus an die letzten, zwiespältigen
Worte des Romans "Candide" von Voltaire denken: "Wir müssen
unseren Garten bestellen." Die Vorstellung eines Blickwechsels, für
den ein brasilianischer Regisseur, Fernando Meirelles, im englischen Auftrag
– aber zweifellos für Hollywood-Vermarktung – sorgte, trifft auf jede Einstellung
zu. Nicht die Bilder, die sie finden, zeichnen die meisten der neuen Filme aus
der Spannung von Film und Politik aus, sondern die Suche. Das macht ihre Unfertigkeit
aus, das Hybride, das Verzweifeln in dem Bemühen, nach alter Art zu unterhalten
und in neuer Weise zu sehen. Nicht nur bei Der
ewige Gärtner muss man sich
erst durch einen Kitsch-Verdacht gegenüber der Erzähl-Oberfläche
kämpfen, bevor man auf die schwere Aufgabe einer Arbeit des anderen Sehens
stößt.
Sehnsucht nach
Frieden
Ein Blickwechsel – der steckt auch in Steven Spielbergs
kontroversem München. Zwar erzählt der Film in den Codes einer geradezu
kindischen Amerikanität: Da ist das Münchner Olympiastadion wie ein
Nazi-Bau anzusehen, Franzosen kaufen vor dem Eiffelturm auf dem Markt die Zutaten
zu einem opulenten Mahl, in Italien sitzt man in lauten Straßencafés,
und alles endet an einem traurigen Herbsttag in Brooklyn. Amerika ist die letzte
Zuflucht für den gejagten Helden, aber sein gelobtes Land ist es nicht.
Innerhalb dieses Codes der Welt als System der einfachen Zeichen bemüht
sich Spielberg, die Welt nicht mehr in die Guten und die Bösen einzuteilen.
Vielmehr sehen wir Menschen zu, die, wenn sie nicht ohnehin ihr Leben lassen,
allen Boden unter den Füßen verlieren. Das letzte Drittel von München
zeigt so viel Trauer und Ratlosigkeit, wie man es in einem Film aus Hollywood,
USA, kaum erwarten würde.
Von der anderen Seite zu sehen, ohne die eigene zu
verlieren, das ist auch das Erzählziel von Clint Eastwoods Flags of Our Fathers.
Die Entscheidung, das Kriegsgeschehen, das der Film beschreibt, noch einmal
und nun von der japanischen Seite aus aufzunehmen, ergab sich erst im Verlauf
der Arbeit. Der Blickwechsel ist dabei wie ein Akt der Selbstkritik in der Traumfabrik,
die Auflösung des Codes der Amerikanität, die als notwendiger Schritt
für eine andere Sichtweise der Geschichte dient. Am Leitfaden des Mitleids.
Man kann die Geste dieses Versuches, auch von der anderen Seite zu sehen, pathetisch
als anti-imperial betrachten.
Die Filme müssen zum Teil ihre Sprache erst
wieder finden in dem Bewusstsein eines Konsens-Verlustes. Sam Mendes wurde bei
Jarhead
die übliche Unterstützung mit Material und Beratung durch das Militär
verweigert, obwohl sein Studio Universal sich beeilte zu betonen, dies sei kein
Antikriegsfilm im Allgemeinen und schon gar kein Film gegen den Irakkrieg im
Besonderen. Nachdem er die Forderungen nach Veränderungen des Drehbuches
abgelehnt hatte, blieb dem Regisseur nichts anderes übrig, als das meiste
Kriegsgerät aus dem Computer zu zaubern und die direkte Aktion nur mit
einem einzigen Panzer zu drehen, der permanent im Kreis fahren musste. "Erstaunlicherweise",
so Mendes, "hat das gut funktioniert." Auch auf diese Weise müssen
die Filme lernen, anders als im technologischen Überschuss zu erzählen.
Eine zweite Konstante scheint die Zeichnung von Helden,
die als typische Männer der Tat und voller Einverständnis mit großen
Aufgaben beginnen und die dann vergeblich versuchen, aus dem Karussell der Gewalt
auszusteigen. Der Rächer im Staatsdienst in München, der "ewige Gärtner", der Waffenhändler
in Lord
of War, der kaputte CIA-Mann:
Es ist der ermattete Held mit seiner Sehnsucht nach Frieden (die andere Seite
des amerikanischen Archetyps des erfolgreichen Mannes der Tat); es ist der Mensch,
der im "Krieg gegen den Terror" jeden Halt und jede Zuversicht verloren
hat.
Und eine dritte Konstante ist der Zweifel an der
Manipulation der Bilder durch die Macht. In München ist Eric Bana am Ende so von der Krankheit des Terrorismus
zerfressen, dass er in seiner Bedrohung nicht einmal mehr in einem gewöhnlichen
Bett schlafen kann. Die Szene erinnert an die ähnlich deprimierenden Einstellungen
am Schluss von Francis Ford Coppolas The
Conversation aus dem Jahr 1974.
Es ist ein ähnliches Empfinden, das die Paranoia-Filme damals wie heute
bestimmt: das Gefühl, von einem System betrogen und getäuscht worden
zu sein. Während der europäische Film in seiner Gesellschaftskritik
auf einem System von Tätern und Opfern beharrt, scheint der politische
Film aus Hollywood in den Projektionen von Tätern zu revoltieren. Es sind
daher Filme, die auf direkte oder indirekte Weise um das Problem der Schuld
kreisen, und dabei geraten auch Arbeiten in den Diskurs, die auf den ersten
Blick gar nicht auf einen aktuellen politischen Konflikt bezogen scheinen wie
Woody Allens Match
Point oder Terrence Malicks Reise
zum amerikanischen Gründungsmythos Pocahontas in The
New World. Um an das fundamentale
Problem der Schuld zu gelangen, muss zunächst eine Bilderverabredung durchbrochen
werden, jene verhängnisvolle Vermischung von Wunschtraum und Blendung,
gegen die die Aufklärer in Hollywood, wie Robert Altman oder Tim Robbins,
von jeher gewettert haben. American
Dreamz von
Paul Weitz macht sich über die Vermischung von Politik und Entertainment
her, und schon im Februar ist Steven Zaillians Neuverfilmung von Robert Rossens
All the King’s Men über die Korruption in der amerikanischen Politik
in den amerikanischen Kinos programmiert, in denen noch die Enttäuschung
über das Einspielergebnis von Filmen wie King
Kong oder Aeon
Flux liegt. George Clooney sorgt
bei Good Night, And Good Luck für den Star-Appeal eines Filmes, der an eine
ganz ähnliche Krise der amerikanischen Demokratie zurückführt,
wie man sie im Zeichen des Krieges gegen den Terror erlebt, zur "Hexenjagd"
des Senators McCarthy und seiner Gefolgsleute in den fünfziger Jahren.
Politik und Film
Der Verdacht liegt nahe: Die "Politisierung"
ist vor allem ein Reflex Hollywoods auf die Krise der Blockbuster im Kino –
wenn das Popcorn-Publikum wegbleibt und sich die Filme lieber im technologisch
aufgerüsteten Heimkino ansieht, wenn die Familien sich die Kinonachmittage
nicht mehr leisten können, wenn die Kids lieber Computerspiele spielen,
dann ist vielleicht ein kontroverses Programm für ein aufgeschlossenes
liberales Publikum erfolgversprechend, das über Filme gerne diskutiert.
Ein "erwachsenes" Publikum, das sich von den anderen Medien, dem Fernsehen
und der Presse, umfassend desinformiert fühlt. Aber umgekehrt auch: ein
Publikum, das ein paar unbequeme Wahrheiten ansehen möchte, wenn sie nur
in die unterhaltsame Form eines Melodrams oder eines Thrillers verpackt sind.
In der Bilderwelt der Manipulation und Unterdrückung von Information mag
in der Fiktion die letzte Chance der Wahrheit liegen.
George Clooney hat bemerkt, dass die Produzenten
die Stoffe, die in diesem Jahr zu Filmen geworden sind, keines Blicks gewürdigt
hätten. Bei den langen Wegen freilich, die Film-Projekte in der Traumfabrik
zurücklegen müssen – ein Film, der "neu" ins Kino kommt,
dürfte im statistischen Mittelwert vor zwei Jahren als Idee und Strategie
geboren sein -, können die Schwankungen wohl nicht so recht als direkte
Symptome angesehen werden, wie man es vielleicht gerne hätte. Die Übertragungen
zwischen Politik und Film verlaufen in seltsamen Kreisen und Vermittlungen:
Da ist die direkte Einflussnahme der Repräsentanten einer Administration
– und nicht zuletzt des Pentagon – durch Berater, durch technologischen Transfer,
durch mehr oder weniger demokratische Formen der Zensur. Auch da muss eine Administration
zuerst ihr Beziehungsgeflecht errichten und verliert gegen Ende der Amtszeit
eines Präsidenten an Einflusskraft. Da gibt es auf der anderen Seite die
Stimmung des Publikums, das in der prekären Balance zwischen dem liberalen
und dem fundamentalen Teil des amerikanischen Traums so unberechenbar bleibt
wie der Wechsel unausweichlich ist. Es gehört wohl nicht allzu viel Prophetie
dazu, für den Zeitraum nach der Bush-Administration zumindest zeitweise
einen anderen Geist im Land zu wähnen. Ein Zufall ist es gewiss nicht,
dass die politischen Filme des Jahres 2006 innerlich so verwandt erscheinen
mit dem politischen Paranoia- und Verzweiflungskino, das Hollywood sowohl am
Ende der Ära Nixon als auch am Ende der Ära Reagan hervorbrachte.
Die Zyklen von Politik und Fantasy, Reaktion und
Liberalität scheinen also eher jenen tief in der amerikanischen Gesellschaft
wirkenden Veränderungen zu entsprechen, von denen schon Tocqueville so
melancholisch gesprochen hat: als einer direkten Reaktion oder gar einem Prozess
der mählichen Aufklärung und Selbstaufklärung in der Traumfabrik.
Freilich gibt es auch in den großen Zyklen der Hollywoodproduktion Methoden
der Feinabstimmung. Als sich im Golfkrieg Hollywood einmal mehr auch nach der
Propagandaseite drehte, nahm man einen gerade fertig gedrehten Action-Film wie
Shield of Honor,
nannte ihn nun Desert Storm und machte aus bösen Libyern kurzerhand finstere
Iraker. Bekannt sind die Reaktionen der Traumfabrik auf den Terroranschlag auf
die Twin Towers: Bilder wurden verändert oder mussten verschwinden, Filme
wurden zurückgehalten und andere hastig auf den Markt geworfen. Bedeutender
aber wohl ist es, wie man einen Film einsetzt. Ein durchaus kontroverser Film
wie Syriana
wäre vermutlich vor einem Jahr nicht mit der Macht ins Zentrum der Kinokultur
gepusht worden. Und er hätte dabei wohl auch nicht so viel Erfolg gehabt
und an der Kasse todsichere Popcorn-Projekte weit übertrumpft. Es ändert
sich also nicht nur die langfristige Produktion der Filme, sondern auch die
Bewertung und die Aufnahme der Filme in der Öffentlichkeit. Was vor einem
Jahr im Arthouse-Kino gelaufen wäre, das ist nun im Multiplex-Kino zu sehen,
und was zuvor Stoff für intellektuelle Debatten abgegeben hätte, besitzt
nun Mainstream-Appeal.
Es steckt eine Meta-Metapher in den so unterschiedlichen
Filmen: Man ist es leid, sich betrügen zu lassen, aber man weiß,
dass die Systeme des Betruges umfassend sind – und man ist selber Teil davon.
Man ist des Sterbens und Tötens müde, und man weiß, dass die
Kette der Gewalt nicht ohne weiteres zu durchbrechen ist. Spielbergs München
ist denn auch sogleich als Reflex auf den Irak-Krieg gedeutet worden, und Lord of War
beschreibt die andere Seite dieser Kette, den Waffenhandel, ohne den diese Gewalt
so wenig denkbar ist wie ohne die Verflechtungen der internationalen Pharma-Konzerne
(Der ewige Gärtner), den Öl-Hunger (Syriana), die ideologische Paranoia
in den Parallelwelten des Geheimdienstes, wie sie Robert De Niro in seiner neuen
Regiearbeit The Good Shepherd anspricht, oder die politische Hysterie, die Good Night, And Good Luck als
Bild der nicht wirklich überwundenen Vergangenheit zeigt.
Die Meta-Metapher freilich geht oft auch wieder zu
Lasten der Genauigkeit. Der Blickwechsel erscheint so abrupt, dass es dann doch
wieder eher das eigene Spiegelbild als der Blick der anderen ist, der auf das
sieht, was in den letzten Jahren so entsetzlich schief gelaufen ist, in der
Welt und im Code ihrer Amerikanität. So wie er zuvor bedenkenlos und in
gewissem Sinne ebenso imperial wie infantil auf die Welt projiziert wurde, so
wird er nun bedächtig und inkonsequent. Von der Absicht, "das Bewusstsein
des Publikums zu schärfen", spricht Fernando Meirelles, und er verliert
doch in Der ewige Gärtner die präzise Ambivalenz der Vorlage aus dem
Blick. In Jarhead
bekommt der Soldat am Ende einen Heulkrampf, weil er nie die Gelegenheit bekam,
zum Schuss zu kommen, und doch kann Mendes nie so direkt die Lust im Grauen
des Krieges beschreiben, wie es die zitierten Vorlagen von Apocalypse
Now und Full
Metal Jacket tun. Das ist der
Preis der Hollywoodisierung politischer Aufklärung, wenn Meirelles sagt:
"Die Wirklichkeit ist viel schlimmer, als wir es zeigen."
Natürlich haben wir einen möglichen Boom
der politischen Filme auch einfach dem Furor von Autoren, Regisseuren und Schauspielern
zu verdanken, die sich von den Produzenten nicht mehr zur Popcorn-Ware verdonnern
lassen wollen. Die Kino-Krise gibt ihnen paradoxerweise eine Chance, die sie
ansonsten nicht hätten. Da wiederholt sich ein wenig das, was in den siebziger
Jahren mit New Hollywood geschah, eine Öffnung des Produktionssystems angesichts
einer unwiderlegbaren Botschaft des Marktes: So weitermachen geht nicht. Diesmal
freilich geht der Riss nicht unbedingt durch die Generationen, es ist eine ideologisch
schärfere Zäsur: definitiv ein Bruch mit dem Bush-Amerika und die
Suche nach einer dissidenten Sprache jenseits der Holzhammer-Methoden der Michael
Moores.
Die Gegenverschwörung
läuft
Wenn man über so etwas wie eine Repolitisierung
Hollywoods nachdenkt, dann muss man wohl immer auch über zwei Leute sprechen,
die in ihrer Zusammenarbeit seit geraumer Zeit hartnäckig daran arbeiten,
kontroverse Themen in den Hauptstrom der populären Bilder zurückzubringen:
Steven Soderbergh und George Clooney. So etwa dachten sie sich eine TV-Serie
namens "K Street" für den Sender HBO aus, die in der Form der
Fiktion hinter die Kulissen der politischen Ranküne in Washington sah,
in der eine erfundene Beraterfirma wirkliche Politiker berät. In der Pilotfolge
berieten diese fiktiven Berater den Senator Orrin aus Utah bei der Frage, ob
man Ahmed Chalabi, Mitglied der irakischen Übergangsregierung, akzeptieren
würde oder nicht. Man wolle, so Clooney, dabei den Prozess darstellen,
durch den in Washington politische Entscheidungen getroffen werden. Die Kritik
empfand dieses Spiel als einigermaßen zynisch. Aber besser hätte
man wohl nicht zeigen können, dass die Beziehung zwischen Macht und Bildern
auch auf den Kopf gestellt werden kann. Die großen Filme, die die beiden
gemeinsam oder einzeln machen, als Regisseure, Darsteller, Produzenten oder
einfach als Anreger und Freunde, verfolgen ein ganz ähnliches Konzept,
wenn auch in den nachhaltigeren Formen der größeren Erzählungen.
Dabei haben die beiden in ihrer gemeinsamen Arbeit
ein zweites Leitthema, das auch in ganz anderem Zusammenhang bearbeitet wird.
Seit Soderberghs Debüt mit Sex,
Lies And Videotape im Jahr 1989
geht es da immer auch um die Welt als mediale Verdoppelung und Illusion, so
wie im Science-Fiction-Film Solaris oder in der Mediengeschichte Full
Frontal. Das kann sehr tief gehen,
und das spielt sich zugleich ganz direkt und alltäglich an der Oberfläche
ab. Tatsächlich kann man sich vermutlich die Frage nach dem Politischen
nicht mehr stellen, ohne zugleich die Frage nach dem Wesen der Bilder aufzuwerfen.
Und Soderbergh/Clooney setzen dabei ein Instrument der Aufklärung ein,
das dem Michael-Moore-Zorn so wenig eigen ist wie dem populistischen Humanismus
des Steven Spielberg: Eleganz.
Wie zu Zeiten des New-Hollywood-Films scheinen auch
die neuen politischen Filme aus mehreren Parametern zu entstehen: aus der Enttäuschung
über einen Krieg, der nicht zu gewinnen, nicht mehr wirklich zu rechtfertigen
ist. Aus der großen Krise der alten Rezepte der Traumfabrik. Aus einer
innenpolitischen Krise, die zwei Lager unerbittlich gegeneinander setzt. Aus
einem gescheiterten Angriffsversuch der Politik auf die Mittel der Filmproduktion.
Aus einer sozialen Verwerfung, die vielen Menschen das Gefühl gibt, Opfer
einer Intrige geworden zu sein. Aus dem, was offensichtlich noch stets am Ende
eines konservativen Regierungszyklus steht: eine Vertrauenskrise, die nicht
nur das Verhältnis von Regierung und Volk betrifft, sondern auch das Verhältnis
zwischen Wahrnehmung und Medium.
Es gibt sogar gewisse gestalterische Übereinstimmungen,
von der dunklen und eher pessimistischen Grundstimmung abgesehen: eine Lust
am Fragmentarischen, eine Vermischung des Inszenatorischen mit dem Dokumentarischen,
ein Interesse für das Gegenwärtige, ein Einfluss der europäischen
Erzählweisen (nebst personaler Allianzen). Natürlich liegen auch die
Vorteile auf der Hand. Der vergebliche Versuch der Kostendämpfung scheint
sich hier gleichsam auf Umwegen realisieren zu lassen. Ein Film wie L.A. Crash entstand für 6 Millionen Dollar. Syriana
legt mit einem Budget von knapp 50 Millionen Dollar eine neue Markierung für
eine durchaus erfolgreiche "mittlere" Produktion. Das Thema ist der
Star in diesen Filmen, der Rassismus in Das
Gesicht der Wahrheit (Freedomland),
die Geschichte in Soderbergh/Clooneys The
Good German, und wie ein mächtiges
Ausrufezeichen wird Oliver Stones 9/11-Film (World
Trade Center) erwartet, vielleicht
Höhepunkt, vielleicht Erfüllung, vielleicht Ende des politischen Hollywood-Films.
Ein wenig zynisch könnte man wohl behaupten,
Hollywood habe es sich vorgenommen, in der kommenden Zeit alle jene Themen abzuarbeiten,
die zwischen dem liberalen und dem konservativen Amerika strittig sind. Die
meisten Filme sehnen sich nach einer Versöhnung. Ein "Gebet für
den Frieden" nannte Spielberg München, und es ist offensichtlich das
Gebet an einen Gott, der nicht derselbe sein kann wie der des amtierenden Präsidenten.
Wenn man es genau betrachtet, gehören diese Filme bereits zu einer Kultur
nach der Amtszeit von George W. Bush, die im Jahr 2007 enden wird. Was dafür
spricht, ist nicht nur die Annäherung der Standpunkte, ein Abwägen,
das nach allen Seiten gerecht werden will. Es sind Filme, die sich Zeit nehmen,
Diskurse und Widersprüche zu entwickeln. Und es spiegelt sich auch in dem
Pathos der Filme der Ernst, den Code der Amerikanität nicht zerstören,
sondern neu definieren zu wollen. Vom
Home of the
Georg Seeßlen
Dieser
Text ist zuerst erschienen in: epd Film 1/2006
München (R: Steven Spielberg) Start: 26.1.2006
Lord Of War (R: Andrew Niccol) Start: 16.2.2006
Syriana (R: Stephen Gaghan) Start: 23.2.2006
The
Good Night, And Good Luck (R: George Clooney) Start: 6.4.2006
Das Gesicht der Wahrheit (R: Joe Roth) Start: 13.4.2006
American Dreamz (R: Paul Weitz) Start: 11.5.2006
The Assassination of Jesse James (R: Andrew Dominik) Start: 21.9.2006
All The King’s Men (R: Steven Zaillian) Start: 2.11.2006
The Good Shepherd (R: Robert De Niro) Noch ohne Starttermin
The Good German (R: Steven Soderbergh) Start: 1.3.2007
Flags Of Our Fathers (R: Clint Eastwood) Noch ohne Starttermin
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