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Hallo, Mr. Gott …
… hier spricht Ihr Regisseur.
Über
die Wege des Herrn im Kino
Mit dem Verbot, sich ein Bildnis
von Gott zu machen, hat die Kunst sich nie so recht abgefunden. Schon gar nicht
das Kino, das den Herrn gerne mal in sehr alltäglicher Gestalt aufruft.
Wie jetzt Morgan Freeman, der in der Komödie Evan Allmächtig seinen Schäfchen eine neue Sintflut androht. Die Gottesbilder
des Kinos zwischen Tabu und Trivialität.
Eines der wundersamsten, schönsten
und schrecklichsten Gottesbilder der Bibel findet sich in Genesis 32, 23-33.
Es ist eine der Geschichten um Jakob, ohnehin eine besonders poetische und dunkle
Gestalt dieser Texte. Der Held, nicht gerade frei von Sünden, hat sich
das Erstgeburtsrecht gegenüber seinem Zwillingsbruder Esau erschlichen,
ist dann aber vorsichtshalber geflohen. In der Fremde hat er es zu Frauen und
Mägden, zu Vieh und Reichtum gebracht. Jetzt steht Esau mit 400 Mann ganz
in der Nähe. Um ihn zu beschwichtigen, sendet Jakob ihm eine Herde entgegen.
In der Nacht schickt Jakob auch seine Frauen, Mägde und seine elf Söhne
über den Fluss, nur er selbst bleibt zurück. Da erscheint ein Fremder,
und es beginnt ein furchtbarer Ringkampf. Im Morgengrauen verlangt der Gegner
das Ende des Kampfes. Aber Jakob gibt zurück: "Ich lasse dich nicht,
es sei denn, du segnetest mich." Und der Fremde tut es und gibt Jakob einen
neuen Namen: Israel, der "Gottesstreiter". "Denn mit Gott hast
du gestritten und gewonnen." Dem Helden selbst ist klar, dass etwas Ungeheuerliches
geschehen ist: "Ich habe Gott von Angesicht zu Angesicht gesehen und bin
doch mit dem Leben davongekommen."
Wer dieser Fremde ist, jenseits
dieser nur scheinbar eindeutigen Aussage, das kommt darauf an, wie tief man in die Textschichten
vordringen mag. Ursprünglich war es wohl ein Flussgott, eher eine Art Dämon,
eine "Erscheinung" sodann, eine Traumgestalt. Und seit der Renaissance
einigt sich die christliche Ikonographie auf ein Bild mit dem Titel "Jakobs
Kampf mit dem Engel". Aber im Text wissen es sowohl der Fremde als auch
Jakob besser. Kein alter Dämon unter vielen war das, kein metaphorischer
Engel und auch kein Traum: Das Verborgene wurde sichtbar und blieb doch verborgen.
Bilderbibel
im Lichtspielhaus
Auch was die Natur des "Ringens"
anbelangt, können wir uns dieses und jenes vorstellen. Es mag, ganz direkt,
ein körperlicher Kampf sein. Lieber stellen wir uns ein Bild für das
"geistige Ringen" vor. Aber machen wir uns nichts vor, es steckt auch
eine sehr heftige sexuelle Konnotation darin. Das ist das Schöne an diesem
Bild: Alles ist möglich. Und nichts ist beliebig. Es gibt nur einen Film,
der dem Gottesbild Jakobs sehr nahe gekommen ist: Pier Paolo Pasolinis Teorema (1968). Da ist es nicht ein einzelner
Mensch, sondern es sind die Repräsentanten einer Familie oder einer Klasse
zu einer Zeit, die "ringen" müssen mit dem Fremden, dem Dämon,
Gott, dem Engel. Und die wie Jakob neu geboren sind danach.
Die Sehnsucht nach dem Erlöser,
einerseits in der direkten Abbildung der filmischen Passionsgeschichten und
ihrer Travestien, andererseits in tausend Maskierungen, vom Westernhelden als
saviour
in the saddle
à la Shane bis zum weisen Knuddeltier aus
dem Weltraum à la E.T. oder als Computernerd Neo in Matrix, grundiert die große Erzählung der Kinogenres unserer
Kultur. Ebenso findet ein ewiger Kampf zwischen Gut und Böse, den Engeln
und den Teufeln, statt. In der wenigstens teilweise herrlich trashigen Serie
der God’s
Army-Filme
wird dieser Kampf zum manifesten Krieg: Die Engel stehen auf, weil Gott ihnen
zwar die Unsterblichkeit, aber keine Seele wie den Menschen gegeben hat. Gott
gibt in den Filmen, die die Grenzen zwischen Diesseits und Jenseits auflösen,
einerseits die Erde zum Kampfplatz frei, und andererseits gibt er einen Teil
des Himmels preis. Er wird dabei zum "leeren Zentrum", gegenwärtig
weder in seiner Schöpfung noch in seinem "Willen", sondern nur
in der Eifersucht, der Bewegung, gar der Gewalt seiner "Kinder".
Die Hölle tut sich zweifellos
häufiger in der populären Mythologie des Kinos auf als der Himmel,
nicht nur, weil der Teufel die besseren Lieder und die suggestiveren Bilder
hätte, sondern auch, weil in der Negation die Bildervorschriften wesentlich
laxer gehandhabt werden. Und von den Strafen Gottes, die in der Katastrophenfantasie
endlos wiederkehren, ist um vieles leichter zu erzählen als von seiner
Gegenwart. Dabei haben wir noch gar nicht von einem vagen Abbildungsverbot gesprochen,
das die populäre Kultur zwischen den jüdischen und den protestantischen
Lesarten der Texte bestimmt: Menschen wären da Abbilder eines Gottes, der
von sich selbst kein Bildnis leidet. Dazwischen scheint, immer mal wieder, der
schöpfende, der strafende, der Zeichen setzende und erwählende Gott
auf der Leinwand auf – in aller Regel in einer eher kindlichen Form, die ihren
eigenen Projektionscharakter reflektiert und schon daher das Dogmatische umgeht.
Es ist der "liebe Gott" unserer Kindheit, im Gegensatz zum Gott der
Erwachsenen, der die Menschheit mit seiner schrecklichsten Strafe belegt: seiner
Abwesenheit.
Das Christentum, sagt man so leicht,
sei eine "Buchreligion"; die Lektüre der Heiligen Schrift stehe
über allem. Aber man kann es auch anders, nämlich als endlosen Prozess
der Überblendungen sehen oder mit Elmar Salman als das "lebendige
Ergehen des Wortes und freie, in unvordenklichen Geschichten verstrickte Hören,
die den Betroffenen verwandeln, in eine andere Welt versetzen". Dieses
umfassende theologische Bild kann man mit einem Wort übersetzen: Kino.
Gott
zeigt sich im Kino als Besetzungscoup
In dem Augenblick, da Gott Mensch
geworden ist, im Neuen Testament also, kann die Bildererzählung greifen.
Nicht dass die kinematographische Passionsgeschichte ein leichtes Unterfangen
wäre; welcher Christus-Film bliebe denn ohne Empörung von der einen
oder der anderen Seite, als müssten sich "Kitsch" und "Blasphemie"
auf ewig bekriegen. Zuvor aber hat Moses seinem Volk die Zehn Gebote gebracht,
und das zweite davon hieß: "Du sollst dir kein Gottesbild machen,
in keinerlei Gestalt …". Das kann man zweifellos interpretieren, man kann Symbole verwenden
oder anderswie einen sakralen Abstand zwischen Signifikat und Signifikant einhalten.
Für das Kino geht das indes nicht: Entweder man benutzt das Zeichen oder
das Ritual – wie etwa in den Filmen von Andrej Tarkovskij oder in der Ästhetik
des "transzendentalen Stils" von Robert Bresson bis Lars von Trier
das Göttliche als manchmal "unerklärliches" rituelles Handeln
der Protagonisten aufscheint – oder: Man muss Gott durch einen Menschen darstellen.
Natürlich gehen wir davon aus, dass Gott nur eine Menschengestalt annimmt,
so wie es die Götter der Griechen gern taten, dass also Gott nicht etwa
aussieht wie der Schauspieler Morgan Freeman in den Komödien um Bruce und Evan
Allmächtig (2003 und 2007, Tom Shadyac),
sondern dass er sich für sein Gespräch mit den Menschen eine Morgan-Freeman-Gestalt
gibt. Ganz christlich ist das allerdings schon nicht mehr.
Aber da ist etwas anderes. Das
Kino enthält die Volksreligion des zwanzigsten Jahrhunderts, so wie möglicherweise
das Internet die des einundzwanzigsten enthält. Das Kino ist ein Bilder-
und Geschichten-Ort, an dem aus dem religiösen Wort die Erzählung,
aus dem Text das Bild, aus dem Bild die Ikonographie und aus spiritueller Konzentration
die kindlich polymorphe Suggestion wird. Reine Theologie muss das Volksreligiöse
gerade in seiner medialen Gestalt mit einer Mischung aus Faszination, Skepsis
und Ablehnung behandeln, und andrerseits muss sie selbst im Suggestionsraum
des Volksreligiösen, das dem Fundamentalistischen ebenso wie dem "Heidnischen"
offensteht, als fataler Eingriff erscheinen. Es ist die sonderbarste Dialektik,
die beides bestimmt, Religion und Mythos, Spiritualität und Magie, das
Gebäude oder das Korallenriff der Metaphysik. Eine Liebesgeschichte. Und
ein Kulturkrieg. Darin geht es um die Grenzen des Darstellbaren: Wo wird aus
Vermittlung Profanierung?
Andere Religionen scheinen da
weniger Probleme zu haben. Sie können sich auf eine klare Trennung zwischen
dem Erlaubten und dem Nichterlaubten beziehen oder sich in wohliger Polymorphie
suhlen. In Japan, nur zum Beispiel, gibt es acht Millionen Götter und Göttinnen.
Und also genauso viele Möglichkeiten fürs Erzählen und Bildermachen.
Die christliche Mythologie dagegen scheint ein komplexes System, eines, das
sich am Ende überhaupt nicht in Regeln, nicht einmal in Aussagen und schon
gar nicht in einer Grammatik ausdrücken lässt. Es ist ein sich endlos
fortsetzender Widerspruch. Das christliche Bild ist in der Tat "unvordenklich".
Und andererseits herrscht der Geist missionarischer Opportunität: Das Bild
passt sich historisch und kulturell an. So wie der Dämon zum Engel wurde,
so wurde der Herrscher, der "König der Könige" aus der mittelalterlichen
Bildwelt, zum Vater, der, wie in Michelangelos berühmtem Bild, mit der
ausgestreckten Hand den Menschen erst erweckt. Ein Jahrhundertbild, das bis
ins Kino hineinwirkt: Das also ist eines der Gottesbilder im Lichtspielraum,
die Rückkehr des Vaters (in liebevoller Form), der den Menschen erweckt.
Ein freundlicher älterer
Herr, gütig, väterlich, humorvoll, zuweilen durchaus streng, das ist
Gott in allen Filmen, die sich auf die Volkslegenden beziehen, und vielleicht
rührt daher eine Tradition in der populären Kultur der USA, die Gott
als Afroamerikaner zeigt. Das geht zurück bis auf William Keighleys The Green Pasture (1936), kein race picture, sondern eine am Mainstream orientierte
religiöse Legende von überzeugend sehnsüchtiger Naivität
(in Zeiten von Wirtschaftskrise und Vorkrieg). Gott wird in der scheinbar so
kindlichen Volksreligion von all seinen modernen und theologischen Abstraktionen
befreit. Der Herr ist mitten unter den Menschen, genießt sogar deren Freuden
mit und muss dann doch die Sintflut schicken, die uns nun, siebzig Jahre später,
in Evan
Allmächtig
(Evan Almighty) wieder ins Kino steht.
In Wahrheit geht es beim Auftreten
dieses freundlichen Vatergottes mit seinem ausgeprägten Sinn für Humor
darum, dass er den Menschen erwählt, nicht den perfekten, großen,
leidensfähigen Moses, der wie Charlton Heston aussieht, sondern einen wie
du und ich, der damit zunächst gar nicht zurechtkommt und dann doch sich
als beides erkennt: als frei und als Gottes Werkzeug – so wie die arme Patricia
Arquette in Stigmata (1999, Rupert Wainwright) als
manifest ungläubige Friseuse plötzlich die Wundmale tragen muss, die
sie zum lebenden Medium der Botschaft machen. Nebenbei: In der christlichen
Malerei nach dem Mittelalter sind Moses und Gottvater immer sehr ähnlich
dargestellt worden; das Kino drehte einmal diese Analogie um und ließ
Charlton Heston, den Moses des Bibelfilms, als Gott auftreten in Almost an Angel (Beinahe ein Engel, 1990, John Cornell). Gott zeigt sich im Kino noch stets als
Besetzungscoup.
Der Komödiant George Burns
in Carl Reiners Oh
God (Oh, Gott …, 1977) ist ein eher gemütlicher
Gott mit Baskenmütze und Tennisschuhen, der sich in einem Supermarktangestellten
und Familienvater namens Jerry (John Denver) einen neuen Moses kürt, der
schwer mit der Aufgabe zu kämpfen hat, den Menschen die Wirkmächtigkeit
Gottes in Erinnerung zu rufen. Natürlich muss Jerry lernen, die Medien
für seine gottgefällige Aufgabe zu benutzen. Gott, das erwählte
Individuum und das populistische Medium sind die neue Dreieinigkeit. Nach dem
überraschenden Erfolg des eher kleinen Films in den USA entstand das Sequel
Oh God!
Book II
(Tracy trifft
den lieben Gott,
1980, Gilbert Cates). Der alte Herr im Himmel (wiederum George Burns) hält
sich inzwischen an die Kinder, weil die Erwachsenen auf sein Wort nicht mehr
hören. Nun erwählt er das Schulmädchen Tracy (Louanne) als sein
Medium, das zunächst für verrückt gehalten wird und schließlich
das durchaus missionarische Werk schafft, die Familie zusammenführt, die
harten Karrieristen und Kapitalisten heilt und die Gläubigkeit auch unter
den Erwachsenen wieder festigt. Oh, God! You Devil! (Oh,
Gott! Du Teufel,
1984, Paul Bogart) erzählt von einem jungen Rockmusiker, der für seine
Karriere dem Teufel seine Seele verpfändet. Gott gewinnt sie im Pokerspiel
zurück. Ganz direkt erscheint der Markt als "Natur" auch in Limit Up (Eine teuflische Karriere, 1989, Richard Martin). Die karrieristische Assistentin eines
Börsenmaklers, die auf ihre Chance wartet, will als Sojabohnen-Maklerin
Erfolg erzielen. Dann tritt Gott in Gestalt von Ray Charles auf (genau: der
Ray Charles) und sorgt für Verwerfungen auf dem Sojabohnen-Markt, die scheinbar
zufällig den Armen dieser Welt zugutekommen. Pokern oder Börse – mit
diesem Gott gewinnt das Gute im bösen Spiel und scheint beides zu rechtfertigen.
Kreationismus
für Dummies
Nimmt man diese Filme – und einige
mehr, die so amerikanisch sind, dass sie den Sprung über den Teich gar
nicht erst schafften -, so haben wir ein durchaus schamlos vorgebrachtes propagandistisches
Erzählen vor uns, das auf eine ganz bestimmte Weise eine Balance schaffen
will zwischen den drei Lebens- und Sinnbereichen des Mittelstands: das kapitalistische
Arbeiten, die Familie und die Kirche. Das Gottesbild dieser Filme ist nicht
nur deswegen so lieb, weil es sich aus den Traditionen der Kinderbibeln und
der Volksreligion ergibt, sondern auch, weil es sich dieser pragmatischen Dreieinigkeit
des Lebens in, nun ja, Gottes eigenem Land einfügt. Es ist vor allem eine
Frage der Verteilung von Verantwortung. In Bruce Allmächtig, dem ersten der fürs aktuelle Kino neu bestimmten "Lieber-Gott-Filme"
aus Hollywood, der direkt in den Mainstream zielte, mit der Hilfe seines Stars
Jim Carrey und einiger durchaus komischer Effekte, wirft der Mensch (also Carrey)
Gott vor, "seinen Job" nicht richtig gemacht zu haben. Die Antwort
Gottes ist eine Lektion an den Menschen, seinen eigenen Job erst einmal zu erlernen.
Nett gesagt: den Job, Mensch zu sein. Weniger nett gesagt: den Job, Amerikaner
zu sein.
In Evan Allmächtig geht diese Lektion weiter, etwa als Gott, nämlich Morgan
Freeman, dem Helden erklärt, wie er die Sache handhabt: Wenn jemand Gott
um Mut bittet, dann gibt er ihm nicht etwa Mut, sondern die Gelegenheit, Mut
zu beweisen. Und wenn jemand, wie die Hauptdarstellerin, um eine gute Familie
betet, dann gibt er ihr die Gelegenheit, für die Familie einzutreten. Und
Gott ist der Schöpfer, der die wundervollen Täler und Flüsse
erschaffen hat, die die Menschen fachgerecht zersiedeln. Er ist so milde enttäuscht
über seine Geschöpfe, dass er ihnen keine Sintflut schickt, sondern
nur ein Sintflut-Spektakel.
Evan sieht man an, dass das Produktionsstudio
Universal eine Zusammenarbeit mit Grace Hill Media, der Corporation mit den
Kontakten zu den eher fundamentaleren religiösen Gruppierungen in den USA
betrieben hat, die einen ganz bestimmten Markt erreichen und einen ebenso politischen
wie religiösen Auftrag erfüllen will. Da immerhin 43 Prozent aller
Amerikaner Mitglieder einer Kirche sind, scheint dieser Markt durchaus berechenbar.
Religiosität und Geschäftstüchtigkeit sind hier sowohl bei der
Produktion als auch im Produkt selber keine Widersprüche, sondern eine
prekäre Einheit. Das Gottesbild dieser white fantasy entspricht einem dezidierten Menschenbild – die Bibel ist da
viel, viel abenteuerlicher.
Morgan Freeman ist ein listiger
Gott, er ist ein Trickster möglicherweise, aber einer, der immer das Gute
im Sinn und in den Händen hat. Ein so reiner Schöpfergott, dass er
sich viel eher an korrektem Handwerk als an großen Theorien misst, ein
Gott, der, wenn man ihn genauer ansieht, in den Modellen des protestantischen
Kapitalismus handelt. Es ist "Kreationismus für Dummies", was
solche Filme bieten, und der liebe Gott unserer Kindheit funktioniert im Kinobild
nur insofern wir uns als Kinder empfinden.
Der
göttliche Nasenstüber
Gottes Stimme zu hören ist
etwas anderes, als ihn zu sehen. Es ist die simpelste Transzendenz des Kinematographen:
Gott ist off-screen, aber gegenwärtig. Und gelegentlich
bedient er sich der modernen Medien. In The Next Voice You Hear (1950) von William Wellman hört man seine Warnungen vor
dem nächsten Krieg aus dem Radio, oder, genauer genommen, die meisten Menschen
hören sie eben nicht. Auch in Die zehn Gebote von Cecil B. DeMille (The Ten Commandments, 1956) ist Gott nicht zu sehen, nur seine Stimme erklingt, wie
auch in John Hustons Die
Bibel (The Bible, 1965), wo Huston selber sie
liefert, was man wiederum als Scherz über den Filmemacher als Schöpfergott
verstehen kann. Die Stimme, aber nicht das Bild – diesen Trick wendet das Genre
bis in die neuerdings wieder beliebten biblischen Schinken im Fernsehen an.
Weit komplizierter ist das, was Nicholas Ray in König der Könige (King
of Kings,
1961) als "Gottesblick" der Kamera einführte und was Martin Scorsese
nicht nur in seinem Christusfilm Die letzte Versuchung Christi (The
Last Temptation of Christ, 1988) zitiert: Das Kino zeigt nicht Gott, sondern nimmt seinen
Blick auf die Schöpfung auf, blickt aus den Himmeln mit einer Mischung
aus Zorn und Zärtlichkeit. In einem fantastischen Supertrashfilm wie End of Days – Die Nacht ohne
Morgen
(1999, Peter Hyams) bleibt davon übrig, die Welt zu sehen von einem Kometen
aus, den man nicht umsonst "Das Auge Gottes" getauft hat: Wenn der
Blick Gottes die Erde berührt, wiederholt sich das Drama von Apokalypse,
Opfer und Erlösung. Es ist dann, mit anderen Worten, wieder mal der Teufel
los.
Der strafende Gott ist immer zugleich
auch ein abwesender Gott. Sowohl der Western als auch der Science-Fiction-Film
in Amerika hat Strafen Gottes, alle Vorstellungen des Apokalyptischen, beinahe
enzyklopädisch abgehandelt. Gerade weil der Plot der "kleinen Erzählung"
eine endlose Variation der Erzählungen aus der Heiligen Schrift ist, bedarf
das Kino in diesem Zusammenhang keines expliziten Gottesbildes. Es ist auch
so klar, wer, zum Beispiel, die Three Godfathers (Spuren
im Sand,
John Ford, 1948) in die Wüste geführt hat, wo sie das neugeborene
Kind finden.
Aber in einer finsteren Umkehrung
gibt es im Genrekino auch dieses: So wie man von der Rückkehr eines gütigen
Vatergottes träumen mag, so offenbart sich im übermächtigen Vater
oft eine alttestamentarische Gottesahnung, auf den Ranches oder in den Firmenetagen
herrschen Väter, die ihre Kinder verstoßen, die Opfer verlangen,
die Vertreibungen aus dem Paradies betreiben und deren Liebe immer wieder in
maßlosen Zorn kippt. Es gibt da eine dialektische Beziehung zwischen der
Sehnsucht nach dem Erlöser und der Furcht vor dem Schöpfer.
Nur Kinder, scheint es, können
diesen Widerspruch überwinden, indem sie, mehr oder weniger nebenbei, auch
die jeweils neuesten Widersprüche von Medium und Familie überwinden.
In e-m@il
an Gott
(1999, Bernd Böhlich) sendet der elfjährige Samuel einen Computerbrief
in den Himmel, mit dem Wunsch, seinen Vater wiederzufinden, woraufhin ihm ein
weiblicher Engel gesandt wird. Gott ist, wie in Bruce Allmächtig, auch hier mittlerweile im Internet zu erreichen.
Die Welt als System von Gottes
Zeichen zu sehen, das legt das Genrekino durchaus nahe; und das Wissen darum
gehört zu den geheimen Verabredungen im Kino. Aber wenn die Verabredung
gebrochen wird und die Forderung nach dem Zeichen manifest, dann steht ein Scheitern
auf der Agenda, wie zum Beispiel in Über Gürteltiere, Simon und mich (Simon Birch, 1998, Mark Steven Johnson). Der Film geht auf John Irvings Roman
"Owen Meany" zurück und erzählt von der Freundschaft zweier
ungleicher Jungen: Simon ist ein mehrfach behinderter 14-Jähriger, Joe
ist ganz "normal" traurig. Während Simon auf ein Zeichen Gottes
wartet, weil er überzeugt ist, dass der noch Großes mit ihm vorhat,
sucht Joe seinen unbekannten Vater. Die Freundschaft der beiden wird durch einen
Unfall auf die Probe gestellt. Aber die Spirale von Leben, Mythos und Religion
löst sich dadurch nicht auf. In Ponette (1996) schildert Jacques Doillon etwa die Schmerzen seiner vierjährigen
Heldin, die nach dem Tod ihrer Mutter in ihrer Einsamkeit und Trauer nur in
Zwiesprachen mit Gott einen Trost findet. Es ist ein religiöser Film, den
der Regisseur gleichsam aus der Kinderperspektive entwickelt (die Kamera bleibt
auf Kniehöhe), und ermöglicht beides: Einfühlung und Distanz.
Geschildert wird eine trostlose Welt; es gelingt indes den Kindern in Simon … und Ponette, eine Religion infrage zu stellen, die sich retten will in der
heillosen Welt, indem sie kindisch wird.
Offensichtlich wird seit Jakobs
nächtlichem Kampf auch das Bild nicht durch Unterwerfung, sondern durch
Rebellion lebendig. In Die
Ritter der Kokosnuss
(Monty Python
and the Holy Grail,
1974, Terry Jones) wird das "alte" Bild zitiert, vom rauschebärtigen
Mann, der sich aus den Wolken zu seinen Geschöpfen, den Menschen herunterbeugt.
Nur dass er bei Monty Python verärgert über die servilen Gesten der
Menschen ist und es schon gar nicht mag, wenn man vor ihm "in den Staub
sinkt".
In Dogma von Kevin Smith aus dem Jahr 1999 werden die einzelnen Elemente
durcheinandergewirbelt. Jesus kam aus Afrika, seine Nachfahrin arbeitet in einer
Abtreibungsklinik, die Engel sind unzufrieden, und die Erneuerung der Kirche
geht wie eine Werbekampagne bei McDonalds mit einer Ikone "Buddy Jesus"
vor sich. Die Engel wollen in den Himmel zurück, aber das muss unter allen
Umständen und von allen irdischen und überirdischen Kräften verhindert
werden, da damit Gott als "fehlbar" bezeichnet wäre, und am Ende
erscheint Gott in der Gestalt der Sängerin Alanis Morissette, die auf die
Frage nach dem Sinn des Lebens mit einem zärtlichen Nasenstüber und
einem Wort antwortet, das ungefähr "niep" lauten könnte.
Nicht so sehr Blasphemie ist das "Skandalöse" eines solchen Films,
sondern die freie Verfügbarkeit aller Text- und Bildbausteine eines theologischen
Systems. Man könnte sagen, es ginge um eine Art der Versöhnung von
Religion und Lebensgenuss, und das nicht nur, wenn die "Stimme Gottes"
durch ein Gurgeln mit Tequila hörbar wird. Jenseits des Rituals steckt
eine Freude am neuen Erzählen und am neuen Abbilden, und der "niep"-Nasenstüber
ist eine von vielen Erfüllungen von Jakobs Gottesbild: sichtbar und doch
verborgen. In der Moderne war Gott, was die Bild- und Erzählmaschinen anbelangt,
vielleicht gerade sichtbar im Verborgensein; in der Postmoderne ist er möglicherweise
verborgen im Sichtbarsein. Das macht – Jakob hätte es gewusst – weniger
Unterschied, als man auf den ersten Blick meint.
Georg Seeßlen
Dieser Text ist zuerst erschienen in: epd Film 8/07 am: 01.08.2007
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