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Best of Globale Bilder

„Eine neue Welle der antirationalistischen Kulturkritik wird aufsteigen: pathosgeladene Proteste gegen die “Vergletscherung der Seele”, neue Familienwerte, eine Dosis neuer Religiosität, aber auch politisch, mystisch oder apokalyptisch auftretende widerständige Zirkel.“ – So Peter Glotz in seiner 1999 erschienen Prognose zur Globalisierung, „Beschleunigung und Entschleunigung“. Schon möglich, dass der deutsche Publizist Hanekes „Wolfszeit“ oder Spielbergs „A.I.“ vorausgeahnt hat. Von einer Blüte des gar nicht mal so anti-rationalistischen Dokumentarfilms zur Jahrtausendwende ist bei ihm jedenfalls noch nicht die Rede.

 

Dabei standen jene Tendenzen, die wir unter dem etwas nebulösen Begriff der „Globalisierung“ zusammenfassen, schon immer in Zusammenhang mit einer flächendeckenden filmischen Vermittlung: Den Auftakt zur „weltweiten Inszenierung der Gleichzeitigkeit“ (Bernd Guggenberger) wollen einige bereits in der Berichterstattung während der Weltkriege, andere in der Fernsehübertragung der Mondlandung oder der TV-Coverage zu Tschernobyl erkennen. Dass die mediale Weltwiedergabe über weite Teile direkt oder indirekt von wirtschaftlichen Interessensgruppen gesteuert wird, gilt mittlerweile als Allgemeinplatz: Nach wie vor sind gewisse Bereiche eines globalisierten Alltags – wie die Hintergründe der Massenproduktion – weitgehend ins mediale Off verbannt. Dokumentarfilme, die sich gerade diesen Aspekten widmen, werden oft vorschnell als „globalierungskritische“ Arbeiten bezeichnet. Dabei liegt ihre Bedeutung weniger in der expliziten Kritik, als überhaupt einmal darin, fehlende Bilder nachzuliefern. „Sichtbarmachung“ lautet das entscheidende Stichwort.

 

Ein frühes Beispiel ist „Genèse d’un Repas“ („Genese einer Mahlzeit“, 1978), ein dokumentarisches Detektivstück von Luc Moullet. Ganz französischer Gourmet, nimmt Moullet den appetitlich gedeckten Frühstückstisch zum Ausgangspunkt einer Exkursion: Woher kommen eigentlich die Bananen, woher die französisch beschriftete Thunfischdose? Moullet kletzelt an Etiketten, entdeckt, dass die Fischkonserve aus Senegal, die Früchte aus Ekuador stammen und macht sich in nur schein-naiver Wer-nicht-fragt-bleibt-dumm-Pose auf , um an den Stätten der Produktion Interviews mit Pflückern, Fischern und Verpackern zu führen und so den Marketingmythos der Produkte zu brechen. In Sachen Humor und Unterhaltungswert hängt er dabei den wesentlich brachialer als average-Joe-agierenden Michael Moore („Bowling for Colombine“, 2002) übrigens um Baguettelängen ab.

 

Was unsere Konsumkultur hinter dem hübschen Begriff „Freihandelszone“ verbirgt, führte 2001 Stephanie Blacks, mit ihrem pathetischen Off-Kommentar leider schwer verdauliche Jamaica-Doku „Life and Debt“, vor Augen. Aktuell entzaubern Morgan Spurlocks publikumswirksamer Fastfood-Selbstversuch „Super Size Me“ oder Jonathan Nossiters Blick hinter die Großwinzerei-Kulissen „Mondovino“ (beide 2004) werbegepflegte Klischees von lachenden Clowns und traditioneller Gärung in Eichenfässern. Und auch Mark Achbars und Jennifer Abbotts „The Corporation“ (2003) hat Bilder von eitrigen Eutern und fünfbeinigen DDT-Fröschen aus den Giftküchen der Konzerne gekramt. Indem sich „The Corporation“ jedoch bemüht, spontane Empörung mit nachhaltiger Analyse zu koppeln, geht er einen Schritt weiter: Mit Hilfe von bunten Grafiken und jeder Menge informativer Interviews nehmen Achbar/Abbot Kurs auf die grundlegende Frage: Was ist ein Konzern? Und wenn am Ende die Antwort lautet: Eine legale Person, die agiert, wie ein gewissenloser Psychopath, ist das klarer Weise polemisch. Aber es bleibt einem im Kopf.

 

Auf der Viennale empfielt sich der Besuch der finnischen Dokumentation „A Decent Factory“, in der der Nokia-Konzern versucht dem in „The Corporation“ beschriebenen Teufelskreis zu entkommen und mit Hilfe „ethischer Beraterinnen“ zumindest den Anschein von Moral zu wahren.

 

Zum Kugeln komische, interventionistische Ansätze einer Kritik am globalen Markt liefert übrigens das US-amerikanische Duo The Yes Men: Auf Fake-Homepages geben sich Andy Bichlbaum und Mike Bonanno als Vertreter der WTO aus, lassen sich auf Management-Seminare einladen, referieren über die Vorteile moderner Sklavenhaltung und bekommen am Ende dafür noch Applaus. Die Chronik „The Yes Men“ (2003) solcher Auftritte ist zwar etwas lieblos inszeniert, lohnt als Zeitdokument aber allemal den Gang zur Videothek. Als Seelenverwandte der „Yes Men“ erweisen sich die Tschechen Vít Klusák und Filip Remunda in ihrem großartigen filmischen Shopping-Paradies-Bluff „Cesky Sen“ („Czech Dreams“, 2004) Hunderte Prager Schnäppchenjäger erwartet hier hinter der mit viel Gedöns enthüllten Superstore-Fassade allein Luft und grüne Wiese.

 

Maya McKechneay

 

Dieser Text ist zuerst erschienen im: falter (Wien), www.falter.at

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