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Filmwunder

 

 

Wenns beschissen geht, bleibt eins: es geschieht ein Wunder, und sechseinhalb Millionen Zuschauer wollen "Das Wunder von Bern" sehen. Senator-Film bleibt solvent, und das wünschen wir uns alle. Am Schluß des Fußballfilms werden wir informiert, daß auf das Fußballwunder von 1954 stehenden Fußes das Wirtschaftswunder folgte. Hanno Huth wartet auf das Senatorwunder und das bitteschön bis Ende des Jahres, bevor er bilanzieren muß. Es eilt. Allein mir fehlt der Glaube. Auch wenn in der Essener Kirche eine Kerze entzündet wird. Für Helmut Rahn. Denn der Film glaubt nicht an das Wunder, das doch tatsächlich geschehen ist. Immer wieder werden wir aus dem Spiel im Wankdorfstadion, dem nachgebauten, herausgerissen, und wir sind da, wo Maria gebenedeit ist unter den Weibern. Rote Karte für Regisseur Sönke Wortmann. Foul!

Gemogelt! Aus Gründen, die Senator bestimmt weiß, gehts im "Wunder von Bern" in erster Linie um ganz was anderes, nämlich um tieftrauriges Heimkehrerschicksal. Peter Lohmeyer kehrt aus Sibirien zurück. Tiefbeleidigt von der ersten bis zur letzten Minute (die allerletzte vielleicht ausgenommen) ärgert er sich auf Behörden herum, beschimpft die Tochter (Amiflittchen), brät die Lieblingskaninchen des Sohns fürs Sonntagsessen, und impotent ist er auch noch. Also hörn Sie mal, Hanno Huth, so wird das nichts mit dem Filmwunder. "Das Wunder von Bern" ist eine Mogelpackung.

Auf das Wunder warten, ist nicht genug. Man muß dran glauben. Zum Beispiel auf das "Wunder des Nationalsozialismus" (Katja Riemann). Im Film steht sie, "deutschblütig" (Riemann), mit den anderen "Mischehefrauen" in der "Rosenstraße" vor dem Sammellager und ruft "Ich will meinen Mann wiederhaben". Drinnen steht den jüdischen Gatten der Abtransport bevor. 1941. Die Rosenstraße gibt es in Berlin Mitte. Aber nachgebaut ist sie in Babelsberg. Für 500 Komparsen. Und? Geschieht jetzt das Wunder? Kommen die Juden frei? Jürgen Vogel glaubt an die Macht der Frauen. Er, Stalingradkämpfer im Film, zieht seine Wehrmachtsuniform an, Orden und Ehrenzeichen nicht vergessen, und dann sich in die erste Reihe der Frauendemo gestellt, wundergläubig. Wird die Wehrmacht Juden retten? Sie wird. Wehrmachtsaussteller Hannes Heer, aufgemerkt!

Regisseurin Margarethe von Trotta glaubt an ihren Film. Sie liebt ihn. Damit er auch ein Filmwunder wird, gibts als Zugabe Liebesszenen inklusive Eheschließung in der location Manhattan von heute. Das ist zwar zeitlich und örtlich reichlich von der Rosenstraße entfernt. Aber immerhin. Und zweitens und letztens darf die Riemann, Baroness von Eschenbach, den Martin Wuttke charmieren, den Goebbels, der seinerzeit als Reichspropagandaminister auch Filmminister war. Für wen müßte man heute die blonden Haare in Locken legen, auch das schicke Abendkleid anziehen? Für die Fördergremien? Für die Chefs der Fernsehanstalten? Egal, dem Filmwunder muß nachgeholfen werden. Und siehe da. Die Juden werden aus dem Rosenstraßenlager freigelassen und leben mit ihren Mischehefrauen glücklich und zufrieden bis zum Ende der Nazizeit. Mindestens. Das "Wunder des Nationalsozialismus" ist Film-Goebbels zu verdanken. Katja Riemann hat recht.

Und wer dankt dem Führer? Wann? Wo? Hallo! Da haben wirs. Das Wunder wird gesendet, wenn der "Schnitt" herauskommt. Am 2. Oktober 2003 in RTL, 21.15 Uhr. Wir sehen in alten Wochenschaufaufnahmen den, der bei uns als Gröfaz verarscht wurde, der aber doch der größte Schiffsbauer aller Zeiten war: Adolf Hitler schuf das Technologiewunder Schlachtschiff Bismarck. Schon sind wir im Nazifilm im Superstadion. Dort thront er, der Größte und nimmt Paraden ab. Ein Meer von Hakenkreuzfahnen. James Cameron hat in seinem Film "Expedition Bismarck" dem Naziwunder seinerseits nur ein bißchen nachgeholfen und dem Heil! Heil! Heil!-Jubeljubeljubel rockige Musik unterlegt, auch nochmal im off klar gesagt: "Hitler war der ultimative Rockstar seiner Zeit". Heil! Der Satz kommt ergriffen und, wie man so schön sagt, vollaffirmativ. Keine Spur von Ironie, dafür aber gläubig. Denn den Film "Expedition Bismarck" gibts, weil es ein Doppelwunder zu bestaunen gilt. Dem Hitler-Technologiewunder von 1941 ist sechzig Jahre danach das Cameron-Technologiewunder ebenbürtig: Tauchschiffe, die in fünf Kilometern Tiefe das Wrack filmen, und das ganz doll. Der Film bläut uns die Hitlercameronwunder die Sendezeit hindurch ein. Kein Zweifel, ja! Melde gehorsamst, wir wundern uns.

Aja, tschuldigung, Wortmann-Trotta-Cameron, ich vergaß es die ganze Zeit zu sagen: ich wundere mich.

 

Dietrich Kuhlbrodt    

 

Dieser Text ist zuerst erschienen im: Schnitt 10/03

 

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