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Die Stille vor dem Schuss

 

Er war Solo-Autonomer, Mittelständler, Kommunalpolitiker. Clint Eastwood wird 70. Ein Rückblick auf den bewaffneten Kampf

 

Clint Eastwood war 23 und ein Nobody, als er die Hauptrolle in »Für eine Handvoll Dollar« bekam. 1964 in Italien. Schön, er hatte glücklos im US-TV in Nebenrollen rumgemacht. Doch schon mit dem ersten der drei »Dollar»-Filme wurde er in Europa Kult. Warum das so war, konnte sich in den USA kein Mensch erklären.

 

Begreifen konnten wir das hier auch erst 25 Jahre später, als es dem letzten dämmerte, dass spätestens 1989 die Welterklärungen in Frage gestellt waren. In den Eastwood-Italo-Western war das Wertesystem des konservativen Genres abgeschafft worden, einfach so. Das war keine Revolution, wohl aber eine Entsorgung. Und eine Erleichterung, die die Zuschauer von 1964, die so alt wie Eastwood waren, ins Kino trieb.

 

Der US-Western war in Italien moralisch entschleimt worden; in den »Dollar»-Filmen waren Gut und Böse nicht auseinander sortiert. Eastwood schuckelte auf seinem Gaul mimikfrei in den Film hinein; die berufliche Tätigkeit eines Geldeintreibers und Kopfgeldjägers war genauso okay wie jede andere. Schrie eine Frau um Hilfe, war das erst mal egal. Er kämpfte für nix und niemand, schon gar nicht für eine gerechte Sache. Er repräsentierte sich selbst, und das mit Lust. Eastwood, der Solo-Autonome, knüpfte schon mal Tuco, seinen Kompagnon, eigenhändig auf und kassierte das Kopfgeld. Freilich um den, der soeben den vorletzten Zug aushauchte, im letzten Moment vom Galgen runterzuschießen. In Eastwoods Identität steckte drin, was sonst auf diverse Filmrollen verteilt war. Übrigens waren andere Mitspieler hassens- und liebenswert zugleich, prima Identitätenvielheiten.

 

Gut, Mitte der sechziger Jahren lasen wir noch keine Pariser Neo-Philosophen. Aber in Eastwoods Neo-Western nahmen wir den Vorschein von etwas wahr, das sich später unsere Genossen erlauben würden, eventuell mit dem Gefühl, sich argumentativ rechtfertigen zu müssen.

 

Eastwood überlebte im »Dollar»-Film nicht, weil der Diskurs stimmte, sondern weil er im richtigen Moment die Pistole abdrückte. Oder den Revolver. Eastwood war der gutböse Held für den bewaffneten Kampf. Hätte ich doch damals dazu Holger Meins gefragt – in der Filmklasse der Hamburger Kunsthochschule.

 

Wenn ein Held wie Eastwood im Film nix sagt, lädt er dazu ein, auf ihn zu projizieren, was dazu vom Zuschauer zu sagen ist. Also wäre ein Gespräch Mitte der sechziger Jahre so gelaufen, dass man die Solidarität Eastwoods mit den Peon, den mexikanischen Besitzlosen, gelobt oder gegeißelt hätte (in Hollywood). Diese gute resp. böse Botschaft wurde mangels verbaler Hilfestellung Eastwoods Filmkostümierung entnommen. Der Poncho war die für den traditionellen Westerner unpassende Kleidung des mexikanischen Landarbeiters. Doch Sergio Leone, Regisseur der »Dollar»-Trilogie, hatte sich politisch nicht engagiert: »Ich hängte Clint diesen Poncho über die Schultern, um ihn mit einem Schleier des Geheimnisvollen zu umgeben. Die Zigarre diente zur Unterstreichung dieser eiskalten Augen

 

Davon ließen sich die sechziger Jahre faszinieren: nicht den Diskurs, sondern die Sprache der Waffe zu verstehen, auf die Stille vor dem Schuss zu hören. Die Latenzen von dem, was Jahrzehnte später manifest wurde, schienen in den »Dollar»-Filmen hervor. Zunächst war es nicht mehr, als dass es prickelte, wenn Filmkomponist Ennio Morricone das Bevorstehende mit einem relativ präzisen »Auauaaa« ankündigte oder besser pfiff; die Takte wurden zum Erlebnis einer europäischen Generation (ein erstes Pop-Event, würde man später sagen).

 

Gibt es eine Garantie, dass Eastwood wertkonservativ vereinnahmt werden kann? Es gibt keine. Während in Europa die Filme von der moralischen Hegemonie des US-Western befreiten, wurde »Für ein Handvoll Dollar« in den USA drei Jahre lang blockiert. Offizielle Lesart war, dass der Film gegen den Production Code der Hollywood-Industrie verstoße (unzulässige Gewaltdarstellung). Andererseits stieß in den USA sauer auf, dass der Italo-Western sein Spielgebiet von den Indianerprärien nach Mexiko verlegt hatte; das wurde als Einmischung in inneramerikanische Angelegenheiten gewertet.

 

Der US-Unmut trug Eastwood in Europa zusätzliche Sympathien ein. Eastwood war einer von uns. Aber nicht lange. Denn er war Star geworden. Seit 1970 dreht er in den USA immer bessere Filme in Eigenregie: selbst inszeniert, selbst gespielt, selbst produziert; die splendide Autonomie hat sich in die Autarkie eines Mittelstandsbetriebs verwandelt. Eastwood macht nach wie vor nicht viele Worte; was er sagt, sind Sprüche, und die hören wir nicht von ihm, sondern von Klaus Kindler, der ihn seit vierzig Jahren synchronisiert.

 

Hatte Eastwood als Euro-Star noch jeden Sheriff-Stern in die nächste Ecke geschmissen – und der sollte ihn doch autorisieren, Gewalt auszuüben -, so sorgte er in den US-Filmen in der Zeit danach für Legitimation: Selbstjustiz im Namen der Gesellschaft. 1971 ist die Gewalt des »Dirty Harry« (Regie: Don Siegel) nicht mehr in Europa, sondern in den USA produziert; sie verstößt jetzt nicht mehr gegen den Production Code. 1976 sitzt er, »Der Texaner«, Genre-gerecht im Sattel, als »Der Mann, der niemals aufgibt« (1977). Acht Jahre später ist die Reiterei auch moralisch abgesichert. Wir müssen dem »Pale Rider« (1985) grün sein; er wird ökologisch tätig (wider die Zerstörung der Natur); er beklagt den Werteverfall; er kämpft gegen den Landbaron, welcher die Bürger terrorisiert, und er benutzt als Waffe zunächst a) das Gebetbuch und dann erst b) die Knarre.

 

Das ist mittelaufregend. Und doch haben wir Eastwood großes Action-Kino zu verdanken, wenn auch indirekt. Die Riege Al Pacino, Robert de Niro bis hin zu Arnold Schwarzenegger nahm ihn sich zum Vorbild. Schlaue Filmhistorikerinnen wie Brigitte Desalm sehen gar im Japan- und Hongkong-Film eine Anwort auf den Italo-Western.

 

Während Eastwood sich für die Cinematografie verdient gemacht hat, holten die Bürger des kalifornischen Carmel ihn eben dort heraus. Ihnen schien Eastwoods Einsilbigkeit genau das richtige straigthforward für die Kommunalpolitik. Die Medienrealität des »White Hunter« (1990) erwies sich als kompatibel für das reale Bürgermeisteramt. Doch wenn die Eastwood-Wähler gemeint hatten, für Carmel Rechtundordnung pur eingekauft zu haben, hatten sie sich vertan. Eastwood blieb noch 1999, kein Jahr vor dem 70. Jubiläum, der Charakterambivalenz seines Films von 1964 treu, einigermaßen. »Ein wahres Verbrechen«, der zwielichtige Film über Hinrichtung, Reportage und körperliche Beziehung, ist auch ein Film über den »Dollar»-Eastwood von 1964, 35 Jahre danach. Eine autonome Hommage.

 

Dietrich Kuhlbrodt

 

Dieser Text ist zuerst erschienen am 31.Mai 2000 in: jungle world

 

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