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Wo die Spreewaldgurken blühn
DDR
im Nachwendefilm
Die Mauer ist gefallen, jetzt
rollt ein Aktenberg auf den ehemaligen Dissidenten zu. Dass er belauscht wurde,
hat er nie geahnt. Georg Dreyman blättert, stutzt, staunt: ein Stasi-Spitzel
hat die Abhör-Protokolle gefälscht. Was hier zwischen drei dutzend
Aktendeckeln klemmt, ist nicht Dreymanns Leben. Gottseidank. Ähnlich geht
es einigen Ex-DDR-Bürgern mit dem ganzen Film „Das Leben der Anderen“. Mit dem Unterschied, dass sie sich ärgern – über
Florian Henckel von Donnersmarcks Variationen über einen untergegangenen
Staat. Ein Wessi! Der nicht mitreden kann! Als die DDR zusammenbrach, war Henckel
16. Man kann das Misstrauen gegenüber filmischer Fiktionalisierung verstehen.
Manchmal nimmt die Skepsis freilich groteske Züge an – als ginge es im
Kino darum, mit der peinlichen Detailkrämerei von Stasiprotokollen zu konkurrieren.
Eine Rückschau auf anderthalb
Jahrzehnte DDR im Nachwende-Film zeigt auch, dass die andere Seite sich keineswegs
leichter tat. Die ersten Bewältigungsversuche stammten von DEFA-Regisseuren
wie Frank Beyer, Heiner Carow oder Roland Gräf. Ihr (auch zeitlich) minimaler
Abstand zum überwundenen, aber nicht verwundenen Staat brachte kaum mehr
als Resignation und Ratlosigkeit auf die Leinwand. Dem nun gesamtdeutschen Publikum
war eher nach Aufbruch zumute und es hielt sich mit Wolfgang-Stumph-Komödien
à la „Go Trabi Go“ bei Laune.
Margarethe von Trotta gebührt
der Verdienst, Mitte der 90er-Jahre immerhin den Versuch unternommen zu haben,
DDR-Geschichte und private Schicksale auf einen gültigen Nenner zu bringen.
Mehr als „Das Versprechen“ kam allerdings nicht heraus. Der Film erzählt
von einer Liebe zwischen Ost- und Westberlin, lässt das Filmpaar über
zwei Jahrzehnte mal getrennt, mal gemeinsam vor sich hin leiden – und historische
Stationen abklappern, als wäre ein Vertrag mit Guido Knopp zu erfüllen.
Parteibonzen werden zu Knallchargen, die scheue Wiedersehens-Szene auf der Glienicker
Brücke in jener Novembernacht 1989 gerät zum peinlichen Wiedervereinigungs-Showdown
mit uninspiriert auf der Stelle hopsenden Statisten. Geschichte als Mogelpackung.
Vielleicht lagen die Geschichten,
die den DDR-Alltag trafen, einfach auf der Straße: mit „Sonnenallee“ glückte Leander Haußmann
und Thomas Brussig – also waschechten Ossis – eine selbstbewusste Revue übers
Jungsein in der DDR. Damals, zehn Jahre nach dem Mauerfall, nahmen sie den beginnenden
Ostalgie-Kult auf die Schippe, ohne das legitime Bisschen Aber-schön-war-es-doch-Gefühl
zu verraten. Der Autor Brussig wurde zum zentralen Protagonisten einer frech-frischen
Sicht auf sozialistische Alltagswelten, als kurz darauf auch sein Buch „Helden
wie wir“ verfilmt wurde. Besser gesagt: fade nachbuchstabiert von Sebastian
Peterson. Immerhin gibt es im Film einige satirische Kind-Perspektiven auf die
DDR: Grundschüler sollen sich die Zukunft der europäischen Landkarte
ausmalen. Doch die Lehrerin hat nur rote Stifte im Karton.
Die geniale Idee, eine auf den
Kopf gestellte DDR in der Nussschale zu inszenieren, machte Wolfgang Beckers
„Goodbye Lenin“ (2003) zum Kassenschlager. Für viele Kritiker ritt die
melancholische Komödie indes allzu penetrant auf der Ostalgie-Welle – tatsächlich
schien sich hier der Alltag Ost in Spreewaldgurken, Moccafix und Rotkäppchensekt
zu erschöpfen. Und: hinter dem HO-Waren-Glanz verblasste die unmenschliche
Diktatur.
Drei Jahre gingen ins vereinte
Land, bis Dominik Graf so etwas wie eine Synthese aus komischen und systemkritischen
Tendenzen des „DDR“-Genres gelang. Zudem kommt „Der rote Kakadu“ erstmals ohne die
überstrapazierte Berlin-Kulisse aus. Dieses Dresden-Bild der Monate vor
dem Mauerbau ist frei von verkniffener Trauerarbeit (Trotta), peilt keine anarchische
Selbstvergewisserung an (Haussmann), bastelt ebenso wenig an einer alternativen
Geschichtsversion (Becker). Grafs leichthändig inszeniertes Coming-of-Age-Drama
nimmt Biographien in den Blick, die nicht mehr und nicht weniger verkorkst sind,
als auf der anderen Seite des eisernen Vorhangs. Die Bonzen sind schon allgegenwärtig,
aber das Lebensgefieder ist noch bunt. Die Film-Farben sind satt, der 20-jährige
Held Siggi glaubt noch an den Sozialismus und zieht aus Leiderfahrung doch das
Fazit: „Das Land ist so schön, aber sie machen ein Gefängnis daraus.“
Trübes Licht fällt dagegen
auf „Das Leben der anderen“. Man schreibt die 80er, die Illusionen sind zerstoben,
die Farben stumpf. Florian Henckel von Donnersmarcks Film erscheint wie ein
Komplementär-Entwurf zu Grafs „Kakadu“. Und weitgehend gelungen: Die Doppel-
und Mehrbödigkeit einer Flüster-Gesellschaft ist filmisch bisher nicht
treffender formuliert worden. Fast jeder im Film trägt schwer an seinen
(vielfach schäbigen) Geheimnissen. Allerdings, bei aller erzählerischer
Kraft, geschickt gewölbten Spannungsbögen, authentischer Requisite,
hervorragender Kamera-Arbeit, großartigen Darstellern: Warum maßt
sich Henckel an, unter die Stasi-Diskussion einen so versöhnlichen Schlussstrich
zu ziehen? Die vor Dankbarkeit feuchten Augen des Dichters Dreymann am Ende
befremden. Sein Staatssicherheits-Schatten bleibt tragische Figur (großartig
verkörpert von Ulrich Mühe) – einer, der Schicksal spielt, um Schlimmeres
zu verhüten und doch, ungewollt, Schlimmes bewirkt: die Frauenfigur bleibt
auf der Strecke – trotz Martina Gedeck ist Dreymanns Freundin ohnehin wenig
glaubwürdig gezeichnet. Als hollywoodesken Schlussakkord fabuliert Henckel
eine befremdliche Dankbarkeit des Dichters herbei, die sich in einer Widmung
für den Stasi-Hauptmann im neuen Roman niederschlägt. Buchtitel: “Die
Sonate vom guten Menschen“. Ein Misston. Historische Wunden zu heilen, das liegt
nicht im Aufgabenbereich eines Regisseurs. Vergangenheitsbewältigung kann
man getrost den Menschen überlassen. Gefordert sind glaubwürdige Erzählungen
– wie es war oder gewesen sein könnte: Damals in der DDR.
Jens Hinrichsen
Eine gekürzte Version dieses Artikels erschien zuerst im
Rheinischen Merkur
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