zur startseite
zum archiv
zu den essays
Pro
12er-Freigabe
„Casino Royale“
Gern referiere ich die Gründe,
die den Appellationsausschuss der FSK am 17. Januar 2007 bewogen, den Film Casino
Royale
für Kinder und Jugendliche ab 12 Jahren freizugeben. Ich hatte als Oberstaatsanwalt
a. D. in dieser Sitzung den Vorsitz und entsprach damit den Grundsätzen
der FSK, wonach der Vorsitzende des Appellationsausschusses die Befähigung
zum Richteramt haben soll. Mir ist aus meiner beruflichen Tätigkeit wohl
vertraut, dass es der Spruchkörper – in diesem Falle der Ausschuss – ist,
der seine Entscheidung – die Jugendfreigabe – zu verantworten hat. Ebenso wie
die Richter in der Rechtspflege sind auch die Prüfer in der Prüftätigkeit
unabhängig. „Die Prüfer sind in ihrer Prüftätigkeit unabhängig
und nicht an Weisungen gebunden“ (Grundsätze der FSK). Ich möchte
deutlich machen, dass ich mich darauf beschränke, wiederzugeben, welche
Argumente in der Sitzung vom 17. Januar den Ausschlag gaben. Es wird daraus
keinesfalls abzuleiten sein, zu welchem Ergebnis der Ausschuss bei einem Vergleichsfall
kommen wird. Denn dieser Ausschuss wird ebenso wie die anderen der FSK plural
und wechselnd besetzt, um „ein möglichst breites Bewertungsspektrum für
die zu treffenden Entscheidungen“ zu erreichen (Grundsätze). Fehlentscheidungen,
die ebenso wie in der Justiz möglich sind, können im Instanzenzug
revidiert werden. Im Falle der Freigabe des Films Casino Royale war die Entscheidung durch die oberste Instanz und damit abschließend
getroffen worden.
Der Wiedergabe der Argumentation
in dieser Sitzung könnte zwar entgegenstehen, dass die Beratung und Beschlussfassung
in den Ausschüssen vertraulich ist (Grundsätze). Da diese Regelung
dem Schutz der Ausschussmitglieder dient, ist meiner Ansicht nach ausreichend,
die Mitglieder zu anonymisieren bzw. ein Einverständnis einzuholen. Was
mich betrifft, will ich die Entscheidung vertreten.
(Es folgt jetzt die Entscheidungsbegründung)
Der Ausschuss kam nach kontroverser
Diskussion zum Ergebnis, es bei der Kinder- und Jugendfreigabe ab 12 Jahren
zu belassen. Im Vordergrund der Beiträge stand weniger die Frage, ob die
nach Ansicht der Appellationsführerin im Film zu beobachtende Selbstjustiz
des Agenten Bond Zwölfjährige sozialethisch zu desorientieren vermöge.
Insoweit wurde auf die Relativierung seiner Aktionen durch das Eingreifen der
Agentenführerin M verwiesen sowie darauf, dass er selbst in Gesprächen
mit seiner Geliebten Vesper zum Entschluss kam, das Lizentiat zum Töten
zu kündigen und mit ihr ein neues Leben anzufangen.
Die Erörterung des Appellationsbegehrens
konzentrierte sich im Gremium auf die Frage, ob die im Film gezeigte Gewalt
und das von ihr ausgelöste Erregungspotential eine Beeinträchtigung
und Desorientierung der diskutierten Altersstufe zur Folge habe, die als nachhaltig zu
bewerten sei. Der Appellation wurde zugebilligt, dass die Wertung einer Gratwanderung
gleichkomme. Hierbei wurde durchaus gesehen, dass generell für Zwölfjährige
Bild und Musik wirkungsmächtiger als dagegen eingesetzte Dialoge seien.
Auch wurde akzeptiert, dass auf generelle Erfahrung im Bond-Genre nicht verwiesen
werden könne, wenn diese Filme Jahrzehnte zurücklägen. Gleichwohl
führte die Abwägung der Argumente, die für oder wider die Appellation
sprechen, zum Ergebnis, dass die Ausschussmehrheit in der eingesetzten Gewalt
keine Beeinträchtigung und keine Desorientierung zu erblicken vermochte,
die von nachhaltiger Wirkung sei.
Hierbei wurden narrative Relativierungen
(in der Eingangssequenz wurde das Opfer nicht ertränkt. Es lebte und schoss.
– Vesper verbarrikadiert sich im Fahrstuhl und zieht der Schlüssel aus
der Tür, um die Rettung durch Bond zu verhindern) in der Erörterung
zurückgestellt. Im Vordergrund stand der Eindruck, dass Gewalt (Folter)
eher psychisch als physisch vermittelt wird (in der Folterszene wird nicht gezeigt,
wohin die Schläge treffen, wohl aber, dass sie Schmerzschreie zur Folge
haben – und Spott). Die in der Appellation vertretene Ansicht, dass die Folterszene
zwölfjährige Kinder desensibilisiere, wurde vom Ausschuss nicht geteilt.
Hierbei wurde in Betracht gezogen, dass es der Held selbst sei, der Opfer sei
und mit dem sich auch die Altersgruppe, für den der Film freigegeben sei,
identifiziere. Insoweit stelle sich eher die Frage, ob die durch diese Szene
ausgelösten Gefühle als übererregend zu werten seien. Dies vermochte
der Ausschuss jedoch nicht zu bejahen. In der Szene verkehrt sich während
der Folterung der Schmerz des Opfers (Bond) in Spott gegenüber dem Folterer.
Daß Bond in dieser Szene über seine Peiniger triumphiert, wurde als
entlastende Relativierung des Foltervorgangs gesehen. Hierbei wurde in Betracht
gezogen, dass diese Szene in einen Film eingebettet ist, der durch seine Gestaltung
– Kamera, Schnitt, Ton und Musik – erkennbar nicht auf Überwältigung
des Zuschauers insbesondere der fraglichen Altergruppe setzt.
Auf den Umstand, dass die Ausübung
von Gewalt Schmerzen bereitet – beim Täter wie dem Opfer – und dass der
Täter Blut an den Händen hat, stellte die Ausschussmehrheit für
ihre Entscheidung ab. Insoweit wird im Film die Gewalt nicht nur durch Dialoge,
sondern durch das Bild selbst in Frage gestellt.
Eine weitere Entlastung wurde
darin gesehen, dass die Wirkungsmächtigkeit der Gewaltszenen den Film hindurch
konsequent durch lange Ruhepassagen (wie zum Beispiel beim Pokerspiel) reduziert
wird und dass die emotionale Bindung des Helden Bond an eine Frau (Vesper) die
harten Actionszenen aufweicht. Verwiesen wurde auch auf unhektische Kameraeinstellungen,
die eine Art chill-out ermöglichten. Auch die Musik, die nicht die der
Zwölfjährigen sei, lade nicht zur besinnungslosen Teilnahme am Film
(„eins zu eins“) ein. Im Ausschuss überwog die Ansicht, Casino Royale mit seiner zurückhaltenden
Montage als Ausnahmeerscheinung innerhalb des einschlägigen Genres anzusehen.
Die vom Ausschuss mehrheitlich
vertretene Ansicht lässt sich an der Tatsache kontrollieren, dass der Film
von der Freigabe für Zwölfjährige (und Ältere) durch den
Arbeitsausschuss bis zur Appellation innerhalb eines Vierteljahrs in Deutschland
von mehr als fünf Millionen Zuschauern gesehen wurde, ohne dass bis dahin
Proteste in der Öffentlichkeit erhoben worden seien oder eine relevante
Plattform gefunden hätten.
Der Ausschuss hatte hinsichtlich
der zu treffenden Entscheidung keine Recherchen dahingehend unternommen, zu
welchen Ergebnissen die Freigabeprüfung in europäischen Ländern
gekommen war. Ein Überblick zeigt jetzt, dass die Freigabe ab 12 Jahren
im Rahmen der Freigabe in Nachbarländern liegt. Eine Freigabe erst ab 16
Jahren, wie vom Appellationsführer beantragt worden war, ist nirgendwo
erfolgt.
Titel |
D |
NL |
A |
GB |
F |
DK |
S |
2.
Casino Royale OT:
CASINO ROYALE |
12 |
12 |
14 |
12 A |
o.A. ! |
11 |
15 |
A = mit erwachsener Begleitung
!
= Kino muss im Aushang auf Gewalt- oder Sexszenen hinweisen
Titel entnommen aus Top 30 in Deutschland,
Quelle: Blickpunkt Film, Heft Nr. 51/06
Dr. Dietrich Kuhlbrodt
zur startseite
zum archiv
zu den essays