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Erst kommt die Libido, dann die Revolution
Olivier Assayas’ "Carlos" und der neue "Radical Chic"
„Terrorist Carlos – meistgesuchter Mann der Welt“ titelte
der Spiegel im Sommer 1976 in reißerischer Aufmachung. Zu sehen war nicht
viel, das Titelbild zierte ein stark gerastertes Fahndungsfoto von Ilich Ramírez Sánchez, so Carlos’ bürgerlicher
Name. Kaum jemand konnte Mitte der siebziger Jahre mit absoluter Sicherheit
sagen, wie Carlos tatsächlich aussah, nur wenige hatten ihn seit dem Überfall
auf die Wiener OPEC-Konferenz im Dezember 1975 überhaupt zu Gesicht gekriegt
bekommen. Aber der Hunger der Medien war groß, die damalige Titelgeschichte
veröffentlichte der Spiegel in drei Teilen. Mit dem Thema Terror ließ
sich Auflage machen, zur selben Zeit wartete die erste RAF-Generation in Stammheim
gerade auf ihren Prozess. Der Terror und die Medien, es war ein erträgliches
Geschäft für beide Seiten. Doch niemand profitierte vom Terror-Boom
der siebziger Jahre mehr als Carlos, dessen Name zum Synonym für den internationalen
Terrorismus wurde. Ein Anti-Che Guevara. Dass die Öffentlichkeit sein Gesicht
nicht kannte, tat seinem zweifelhaften Ruhm keinen Abbruch. Carlos war längst
ein Markenzeichen geworden.
Wieviel einfacher hat es da doch das Kino, sich ein Bild
zu machen. Das Kino lebt von Mythen. Ein paar Fakten eingestreut, angereichert
mit einer Prise Lokal- und Zeitkolorit, etwas Pop, ein wenig Politik – schon
ist sie kinoreif, die Terror-Ikone. Wahlweise auch Staatsfeind, Freiheitskämpfer
oder Revolutionär genannt. Die Definitionen verlaufen fließend, abhängig
von der jeweiligen Betrachterposition. Eines haben sie jedoch alle gemein: Sie
fordern die Staatsgewalt heraus, locken den Gegner auf ihr Territorium der asymmetrischen
Kriege. Ein gewöhnlicher Krimineller ist berechenbar. Er ist primär
von seiner Gier getrieben, daher sind seine Aktionen verhältnismäßig
rational.
Brisant wird es, wenn Ideologien und Egos ins Spiel kommen.
Eine Herausforderung des Gewaltmonopols rührt an die Grundfesten der demokratischen
Institutionen (oder was manche dafür halten). Der Herausforderer positioniert
sich nicht nur außerhalb der Rechtsordnung, er negiert auch die Gesellschaftsform
an sich. Wer sich derart über die demokratischen Instanzen erhebt, muss
natürlich eine attraktive Alternative im Angebot haben – mindestens aber
über eine beachtliche Hybris verfügen. Delinquenten von solchem Format
sind heute nur noch rar gesät, auch weil der Erregungsgrad der Öffentlichkeit
in einem viel stärkeren Maße als früher von den Medien gesteuert
wird. Um Angst und Schrecken zu verbreiten, bedarf es nicht einmal mehr einer
greifbaren Bedrohung. Mittlerweile ist die Politik dazu übergegangen, einfach
alles, was die bestehenden Verhältnisse in irgendeiner Form in Unruhe versetzt,
pauschal als Terrorismus zu deklarieren.
Und je empfindicher die Staatsmacht auf die Störung
der öffentlichen Ordnung reagiert, desto schwieriger wird es, überhaupt
noch mediale Aufmerksamkeit zu erzeugen. Die Routinen der Panikmache haben sich
eingeschliffen. Das klassische Vorbild des Staatsfeindes ist sowieso ein überholtes
Modell. Der “Terrorist” operiert aufgrund immer komplexerer politischer Interessen
und Geldströme längst über nationale Grenzen hinweg; er stellt
sich nicht mehr einem Staat, sondern der Staatengemeinschaft und ihren Organe entgegen. Vor allem aber hat er im
Zeitalter von netzwerkbasierter Kommunikation den Medien die Deutungshoheit
abgenommen. Er liefert, das ist spätestens seit 9/11 ein Allgemeinplatz,
auch die Bilder zu seiner Erzählung.
Im Kino ist dieses Phänomen in den letzten Jahren ebenfalls verstärkt zu beobachten. Der Terrorist übt wieder eine ungebrochene Faszination aus, so zweifelhaft seine personal politics auch sein mögen. (Andreas Baader ein Westentaschen-Revoluzzer und Sexist, Carlos ein Antisemit) Und da das Kino nun mal von Mythen lebt, geht es der großen Erzählung, über die Medien bereits gefiltert und wiederaufbereitet, nur allzu bereitwillig auf den Leim. Olivier Assayas’ “Carlos” ist der Höhepunkt dieser jüngsten Welle filmischer Annäherungen an die Figur des Terroristen. Alle diese Filme basieren auf realen Vorbildern – was natürlich gar nicht so sehr interessiert, weil der Terrorist/Staatsfeind schon so etwas wie ein Archetyp ist. Bigger than life. Ein Topos, mit dem sowohl Michael Mann in “Public Enemies” und Jean-François Richet in seinen Mesrine-Filmen “Public Enemy No 1” als auch, auf ganz andere Weise jedoch, Steve McQueen mit seinem Gefängnisdrama “Hunger” über den IRA-Hungerstreik von 1981 spielen.
“Carlos – Der Schakal” aber stellt sie alle in den Schatten. Über fünf
Stunden dauerte die Premierenfassung in Cannes, in drei Teilen lief der Film
im französischen Fernsehen (die Struktur des klassischen Dramas: Aufstieg,
Triumph und Fall), gleichzeitig existiert auch eine dreistündige Kinofassung.
Carlos Galore also. Fünf Stunden für einen psychopathischen Bombenleger
– ist dieser Aufwand denn wirklich gerechtfertigt, mögen einige da vielleicht
fragen. Aber Assayas’ Film liefert Zweiflern die passende Antwort: Es ist alles
eine Frage der Sichtweise.
“Carlos” ist weniger Politthriller denn ein Stück Zeitgeschichte. Er gibt sich mit seiner chronologischen Struktur den Anschein einer seriösen Aufarbeitung (Assayas behauptet einerseits, sein Film basiere auf monatelangen Recherchen, u.a. Interviews mit dem ehemaligen RAF-Mitglied Hans-Joachim Klein, nimmt sich in der Schilderung der Ereignisse gleichzeitig künstlerische Freiheiten heraus) kommt aber nicht umhin, seiner Hauptfigur hoffnungslos zu verfallen. Der venezolanische Schauspieler Edgar Ramirez ist in der Hauptrolle allerdings auch unwiderstehlich.
Bei aller formalen Sachlichkeit bleibt “Carlos” immer
ganz dicht dran an der Kolportage. Assayas setzt sich zwischen alle Stühle:
Politik, Gewalt, Sex, Glamour. Diesselbe Mischung, die die große Carlos-Erzählung
seit den siebziger Jahren prägt. Nur kann man sich die Chose heute mit
der entsprechenden historischen Distanz entspannt ansehen. Was für ein
cooler Hund dieser Carlos doch war. “Playboy. Revolutionär. Terrorist”
bewirbt der deutsche Verleih entsprechend Assayas Film. Interessant ist die
Setzung der drei Begriffe. Erst kommt die Libido. Dann die Revolution.
Mit dieser Ansicht steht Assayas nicht allein dar. Die
Terror-Biopics der jüngsten Zeit sind in erster Linie vom Schwanz her gedacht.
Christopher Roths “Baader” mit Frank Giering in der Hauptrolle testete 2002 schon
mal die Wasser. Sein Andreas Baader kam mit breitbeinigem Porschefahrer-Gehabe
daher, ein selbsternannter “Bad Boy”, der seine Groupies mit auswendig gelernten
Marx-Sprüchen reihenweise flachlegte, letztlich aber doch wieder nur das
alte Patriarchat in neuen (wenn auch hipperen) Gewändern verkörperte.
Roths Film war eine bemüht coole Fingerübung, eine Reaktion auf den
damaligen Radical Chic-Hype (wie das Szene-Modelabel Prada-Meinhof), leistete
unbeabsichtigt aber auch Pionierarbeit für eine neuartige Rezeption des
Deutschen Herbstes. “Baader” wollte den Pop-Mythos seiner Titelfigur und der
RAF mit allen Mitteln erzwingen. Man redete über die Kommune Eins und spielte
mit automatischen Waffen herum, dazu lief der Krautrock von Can. Ganz putzig
sah das damals noch aus. Acht Jahre später gelingt Assayas das mit “Carlos”
schon wesentlich geschmeidiger. (Den Postpunk von The Feelies, New Order und
Wire benutzt er jedoch nicht als kulturelle Signaturen sondern als atmosphärische
Einsprengsel)
Die Ikonografie der jüngeren Staatsfeind-Filme wäre
ohne die Zuarbeit der Medien jedoch undenkbar. Das Wechselspiel zwischen Selbststilisierung
und Sensationslüsternheit hat der neuen Faszination erst den Nährboden
bereitet. Natürlich ist die Verbindung von Pop und Terror keine Innovation
des 21. Jahrhunderts; die Populärkultur war seit je das Prisma, durch die
die großen Terror-Biografien erzählbar wurden. Carlos verdiente sich
seinen Spitznamen “Der Schakal” durch das Gerücht, die Polizei hätte
in seinem Besitz ein Exemplar von Frederick Forsyths Thriller “Day of the Jackal” gefunden.
Und die französische Presse kommentierte seinerzeit die
Auslieferung von Jacques Mesrine und seiner Freundin Jeanne Schneider mit der Schlagzeile “Clyde Mesrine und
Bonny Schneider zurück in Frankreich!”
Noch expliziter betreibt Michael Mann die Mythifizierung
John Dillingers in “Public Enemies”. Den Showdown im Biograph Kino in Chicago,
wo Dillinger dem FBI in eine Falle ging, inszeniert Mann durch Parallelmontage
zwischen Filmstar (im Kino läuft “Manhattan Melodrama” mit Clark Gable)
und Staatsfeind als doppelbödige Reflexion über die Starpersona des
Gangsters. In Gables letztem Satz “Wenn ich nicht so leben kann, wie ich will, dann lasst
mich wenigstens sterben, wann ich will" wird der Tod Dillingers bereits
vorweggenommen. Diese Annäherung von Staatsfeind und Hollywoodstar ist
indes kein Zufall. Wie Richets “Public Enemy No 1” (Vincent Cassel) und “Carlos” (Edgar
Ramirez) ist auch “Public Enemy” ganz auf seinen Hauptdarsteller, Johnny Depp,
zugeschnitten – die Filme leben vom Charisma ihrer Stars. Man kann das einerseits
als klugen Kommentar auf die Medienfixierung ihrer realen Vorbilder verstehen
(Mesrine schrieb aus dem Gefängnis heraus seine Memoiren, Carlos ebenfalls).
Den Terroristen pimär als Medienstar zu lesen, reduziert jedoch ihre Motive
auf den reinen Glamourfaktor. In “Public Enemies” wird dieses Manko deutlich.
Den zentralen Konflikt zwischen Dillinger und dem FBI in Person des Technokraten
Hoover interpretiert Mann als Duell der Eitelkeiten. Das Hauptärgernis
Hoovers (Bill Crudup) besteht darin, dass Dillinger die ganze
öffentliche Aufmerksamkeit zuteil wird.
Vor allem Cassel und Ramirez verkörpern den Narzissmus
des Terroristen nahezu perfekt. Cassel ist schon länger auf Rollen abonniert,
die mit seiner gefährlichen, oft unberechenbaren Erotik spielen. Cassels
Figuren funktionieren meist rein triebgesteuert, immer auf der Kippe zum Psychopathischen.
Auch Shooting Star Ramirez hat mit seinem zischelnden Lispeln (von dem in der
deutschen Synchronisation leider nichts bleibt) etwas schlangenartig Verführerisches.
Der Narzissmus von Carlos und Mesrine ist historisch verbürgt, die Filme
von Richet und Assayas spitzen diesen in einigen exemplarischen Szenen sogar
noch zu.
Cassels Mesrine ist ein großmäuliger Proll,
der sich beim Sex mit seinen Groupies im Fernsehen betrachtet (Der ultimative Medien-Narzisst; Celebrities sind für solch eine Pointe ja immer
gut). Carlos, in Lederjacke und Militär-Barret, betrat laut Augenzeugen
den Konferenzraum der OPEC mit den Worten: “Mein Name ist Carlos. Sie haben
sicher von mir gehört.” Seine Gespielinnen verführt er bei Assayas
mit dem kalten Metall von Waffen und Handgranaten auf nackter Haut. Der Drehbuchsatz
“Waffen sind eine Erweiterung meines Körpers” geht nicht verbürgt
auf Carlos zurück, beschreibt aber sehr gut, worauf Assayas in Prinzip
hinaus will. Carlos’ Währung waren Sex und Ruhm. Nach dem Scheitern der
OPEC-Mission (der Ermordung zwei hochrangiger Minister) wird er vom Führer
der palästinensischen Befreiungsfront (PFLP), Wadie Hadad, in die Wüste
geschickt: “Ich brauche Kämpfer, keine Prominente”. Carlos konnte mit der
OPEC-Aktion trotzdem seinen Marktwert vervielfachen. 20 Millionen Dollar soll
er für seine Geiseln erhalten haben. Die komplizierte Gemengelage von internationalem
Terrorismus und Weltpolitik, von Assayas bisweilen pedantisch, aber sorgfältig
und hochenergetisch in ihre Einzelteile zerlegt, dient dabei eher als Hintergrundkulisse.
Einen etwas anderen Ansatz verfolgt Steve McQueen mit “Hunger”, seinem Portrait des IRA-Kämpfers Bobby Sands, der sich 1981 im nordirischen Maze-Gefängnis zu Tode hungerte.
“Hunger” ist auch der einzige Film, der Hagiografie und
Politik strikt voneinander trennt. Den politischen Diskurs fokussiert McQueen
in einem knapp zwanzigminütigen Dialog zwischen Sands und seinem Priester,
gefilmt in einer einzigen statischen Einstellung. Der Rest des Films erinnert
eher an ein christliches Passionsspiel. “Hunger” stellt den Körper Sands
in den Mittelpunkt seiner Gewaltreflexion, McQueen filmt die Folterungen und
Erniedrigungen der IRA-Terroristen ausführlich und schonungslos. Mit formalen
Mitteln vollzieht er auch visuell eine Isolierung der IRA-Gefangenen, dazu hört
man aus dem Radio immer wieder die Stellungnahmen der Regierung zur ‘No Tolerance’-Haltung
gegenüber den Streikenden. Historisch gesehen ist das nicht ganz korrekt,
denn der Hungerstreik der RAF-Gefangenen fand in der englischen Bevölkerung
große Unterstützung. Aber McQueen will Sands lieber zum Märtyrer
stilisieren. Dessen ausgemergelter, geschundener Körper, gehüllt in
weiße Tücher, wird zum Symbol des irischen Befreiungskampfes: ein
Heiliger in einem Sumpf aus Blut und Scheiße. Der Terrorist als Christus-Figur,
auch sehr orignell.
McQueen ist der einzige Regisseur, der einen etwas genaueren
Blick auf die Politik seiner Figur wirft. Interessanterweise unternimmt ausgerechnet
Richet mit Mesrine, dem wohl am wenigsten politischen Akteur, einen ähnlichen
Versuch, ohne diesen Aspekt letztlich in seinen Filmen weiter zu elaborieren.
Der Staatsfeind-Karriere setzt er einen Prolog voraus, der Mesrine im Algerien-Krieg
zeigt, wo er von einem Vorgesetzten gezwungen wird, einen Häfting zu erschießen.
Es ist seine Gewalt-Initiation. Man könnte Mesrines exzessives Leben als
Rache an den französischen Autoritäten lesen. Doch auch Richet erliegt
letztlich der Versuchung, seinen Protagonisten als Hasardeur zu bestaunen. Einen
Todeskünstler, der den Staatsbetrieb auf Trab hält. Machismo mit einem
Schuss Totalitarismus kamen im Kino immer schon gut an, man muss sich vielleicht
gar nicht so viel dabei denken. Typen wie Carlos, Mesrine, Dillinger und Baader
verkörpern die Sehnsucht, dass hinter der abstrakten Staatsgewalt endlich
wieder eine andere, physische Kraft zum Vorschein kommt. Das Lust-Prinzip sozusagen.
Politik, das ist doch was für Weicheier.
Andreas Busche
Dieser Text ist
zuerst erschienen in: epd Film 11/10
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