zur startseite
zum archiv
zu den essays
Berlinale 07
Zwei filmzentralen-Glossen von Dietrich Kuhlbrodt
Nr. 2 (17.02.2007)
Berlinale
und Schluss
17. Februar 2006, letzter Tag,
was war geschehen? In erster Linie ein Festspiel-Event. Die Presseabteilung
hatte täglich Megabytes verschickt. Wie aufregend! Edith Piaf! Ich konnte
schließlich nur noch auf delete drücken. Der Vorteil: ich konnte mich ohne die Last der
Vorinformation auf einzelne Filme konzentrieren. Zurückblickend: wie wärs,
das ganze Festival mit einem speziellen delete zu verabschieden? Ich würde so weit nicht gehen, denn wir
von der Presse haben ja selber Schuld, dass die falschen Filme gepushed wurden.
Auf jeder Zeitung und jedem Magazin Hochglanzfotos der schlechtesten Schauspielerin
des Festivals, Jennifer Lopez, endlose Interviews, und nachdem der Film Bordertown gelaufen war, waren sich alle
Kritiker einig und vergaben unisono den schwarzen Apfel. Warum er auf dem Festival
gelaufen war? Er war nichts als Event gewesen. Antonio Banderas, von dem jeder
weiß, dass er nicht schauspielen kann, entsprach genau dieser Einschätzung.
Aber es sind Namen, die Interesse erwecken sollen, und man geht hin. Ich leider
auch. Irgendwann wird diese Politik auf das Festival zurückschlagen.
Zum Ausgleich komme ich auf den
schönsten, lustigsten und gleichzeitig zeitgeschichtlich wertvollsten Film
des Festivals. Ich habe den englischen König bedient von Jiri Menzel ist ein Film, in dem, was sonst nicht üblich
ist, die Presse den ganzen Film hindurch im vollen Berlinale-Palast gejubelt
hat, so sicher saßen die Pointen, so viel Spaß hat es allen gemacht
über Julia Jentsch zu lachen. Im sudetendeutschen Lodenkostüm hat
sie im frisch besetzten Prag den Führer genauso gläubig im Blick wie
im Film Sophie
Scholl
die Kämpfer gegen den Führer. Eine
tolle Leistung, den Blick überhaupt nicht zu verändern, es sei denn
sie kann gar nicht anders. Jetzt müsste ich über die Begattung erzählen.
In Erwartung, dass der nicht ganz rassereine Tscheche einen germanischen Helden
zu zeugen im Begriff ist, hat sie während des bedeutungsvollen Vorgangs
Hitler fest im Blick, der auf einem Porträt an der Wand hängt. Die
näheren Einzelheiten können Sie einer Kritik in der TAZ vom heutigen
Tag entnehmen. Leser der filmzentrale bitte hier nachlesen.
Viel interessanter als die gehypten
Filme waren stille Produktionen zum Beispiel aus Kanada (Away from her). Liebevoll und poetisch wird
die Belastung einer Beziehung durch die Alzheimer-Krankheit geschildert. Im
Panorama fiel mir ein dokumentarischer Kreuzberg-Film auf: Berlin Song. Zwanzigjährige erzählen
über ihr Leben in Berlin und über die Musik, die sie machen. Ein Film
zum Wiedererkennen und zum Glauben an diesen Ort, ohne dabei einen gläubigen
Blick aufsetzen zu müssen.
Wenn ich es genau bedenke, muss
ich es aber doch loben, dass die Festspiel-Euphorie mich ergreift – nicht im
Zentrum des Wettbewerbs, sondern an den Rändern der Sektionen wie in der
Reihe Perspektive Deutsches Kino. Dort sah ich in einem Programm von Filmschulabsolventen
Filme, die mir sonst entgangen wären, weil ich leider aus Hochmut sonst
keine Abschlussveranstaltungen von Filmschulen zu besuchen pflege. Und das in
meiner eigenen Stadt, Hamburg. So sah ich in Berlin endlich den wunderschönen
20-Minuten-Film Memory
Effekt
von Claudia Lehmann zusammen mit Zirkus is nich von Astrid Schult und Aschermittwoch von Ileana Cosmovici, der letzte ein Kunstwerk von Kamera und
Schnitt. Hintergründiger lässt sich der Karnevalstrubel wohl nicht
darstellen. Es sollten sich Kinos aufraffen, statt einem auch drei Filme in
einem Programm zu zeigen wie diesem, zusammen die klassische Länge von
90 Minuten. Ich drücke den drei Filmen schon jetzt den Daumen.
Wenn ich es recht bedenke, bin
ich dem Direktor Dieter Kosslick doch nicht böse. Also, schönen Dank
auch!
Nr.
1 (05.02.2007)
380 Filme in 9 Tagen plus jede
Menge Extras. Beschränkt man sich auf die Filme, wird der Festivalbesucher
gut daran tun, pro Tag vier Stunden Schlaf zu rechnen und in den verbliebenen
20 Stunden alle halbe Stunde den nächsten Film zu kucken. Bei einer DVD-Messe
würde das reichen, um die Filme komplett zu kucken – vorausgesetzt, man
schaltet am Monitor auf Bildgeschwindigkeit 1 zu 4. Und hat schön was zu
rauchen dabei. Oder so. – Einwand, Euer Ehren! Wer hat denn schon den Vollständigkeitswahn?
Krank wäre das, krank, krank. Und es ginge gegen die Gute Laune, gegen
das Konzept des deswegen allseits geschätzten Direktors Dieter Kosslick.
Ich kenne ihn schon seit den frühen achtziger Jahren, als er Pressesprecher
der Leitstelle für die Gleichberechtigung der Frau in Hamburg war. Ich
kann hiermit versichern, dass er der bestgelaunte Frauensprecher war, den es
je gegeben hat.
Zwanzig Jahre danach kam er in
Berlin freudestrahlend auf mich zu, herzte und drückte mich, und wir verbrachten
einige sehr schöne Stunden in einem übervollen Café, – eins
von denen, in denen der Festivaldirektor seine Zeit verbringt. Während
der Festspiele.
Währenddessen kam mein Halbe-Stunde-Film-kucken-und-fertig-Plan
ins Wanken. Jetzt Bildgeschwindigkeit verdoppeln, falls’s geht? – Nä, Plan
B muß ran. Der geht so: mach dir ein paar schöne Stunden und sitz
im Café. Du hörst dann eh genug, um eine Glosse für die filmzentrale zu schreiben und
kannst Dir das Gerangel sparen, – Gerangel, um eine Karte zu bekommen (wer sich
morgens um fünf nach neun anstellt, hat schon verloren), oder Gerangel,
um bei den Vorstellungen, die für die Presse frei sind, in den Saal zu
kommen. Die Chancen stehen fiftyfifty, – eher schlechter.
Ein noch bequemerer Weg ist es,
heute, am 5. Februar in 3sat gero von boehm begegnet: Dieter Kosslick zu kucken und dann in den folgenden
Tagen rund um die Uhr Festivalfilme. Den einen oder anderen Sender kann ich
hinzunehmen. Dann bin ich gut versorgt, auch mit den eingesammelten Meinungen
abgefüllt und brauch dann nur noch was nachzuplappern. Ich bleib schön
zuhaus, weiß alles und genüge meinen Journalistenpflichten, auch
kann ich mir eine Flasche Dornfelder trocken neben den Monitor stellen.
Bloß wenn die Pressestelle
der Berlinale rauskriegt, dass ich gar nicht da war, krieg ich beim nächsten
mal
keinen Ausweis mehr. Was tun? Statt der Pflicht zu genügen, bliebe dann
noch, der Neigung zu folgen. Lange genug hab ich es unterdrückt. Aber ich
könnte in Berlin sein, mich auf Walter Benjamin berufen und mich hierhin
und dorthin treiben lassen, – flanieren, nennt das der gebildete Mensch. Das wäre echt rezeptives Verhalten,
die Dinge auf einen zukommen zu lassen, im Café zu sitzen oder plötzlich
in irgendeinem Film, wieder weggehen oder doch bleiben, Bilder in einen reinströmen
zu lassen und es sowieso einfach geschehen zu lassen. Jedenfalls habe ich das
beim Frauensprecher Dieter so gelernt.
zur startseite
zum archiv
zu den essays