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Die
beiden Bergmänner
Ingmar Bergman (1918-2007), Zentralgestirn des
europäischen Kunstfilms, ist tot. Die Reputation seines Werks hat in den
letzten zwei Jahrzehnten gelitten. Brauchen wir die Seelendramen des Schweden
noch?
Eine unheimliche Begegnung in den Abendnachrichten:
Am selben Tag, an dem Arnold Schwarzenegger seinen sechzigsten Geburtstag feierte,
ist Ingmar Bergman in seinem Haus auf der Ostseeinsel Fårö verstorben.
Tatsächlich sind sich der Muskelmann und der Autorenfilmer aber schon vor
den TV-Schlagzeilen des 30. Juli einmal begegnet: In der Actionfilmparodie „Last Action
Hero“ (1993) trifft Arnie auf einen
neugierigen Gevatter Tod, der aus Bergmans Mysterienspiel „Das
siebente Siegel“ (1957) auf die andere
Seite der Leinwand geklettert ist, um nach dem Rechten zu sehen.
Schon an diesem koketten Gipfeltreffen zwischen Hoch-
und Popkultur lässt sich der Sonderstatus ermessen, den Bergman als Persönlichkeit
und Trademark im Massenmarkt der Laufbilder innehatte. Kaum ein anderer Name
war bis zuletzt so untrennbar mit dem Nimbus kultivierter europäischer
Nervenkinokunst verknüpft, wie vor zehn Jahren Bergmans Auszeichnung mit
der „Palme aller Palmen“ von Cannes zum besten Regisseur aller Zeiten noch einmal
nachdrücklich belegte. Zugleich hat vielleicht kein anderes Werk mehr unter
den wechselnden Konjunkturen des Kinokanons gelitten als das des schwedischen
Pastorensohns: Das Image des grüblerischen, mit Gott und der menschlichen
Natur ringenden Metaphysikers, das ihm Mitte der 60er Jahre im Zuge seiner düsteren
Glaubens-Trilogie („Wie in einem Spiegel“, 1961, „Licht im Winter“, 1962, „Das Schweigen“, 1963) ehrfurchtsvoll verpasst wurde, blieb. Allein:
Es war seit Anfang der 80er meist nicht mehr als Lob gemeint.
Von einer neuen, revisionistischen Filmgeschichtsschreibung
wurde der kammerspielartige, bedrückende Stil, den Bergman am Höhepunkt
seines Ansehens kultiviert hatte, als zu plump didaktisch („Wie in einem Spiegel“
endet mit einem – allerdings eher doppelbödigen – Sermon über die
Liebe Gottes) und in seinem kryptischen Symbolismus zu „privatistisch“ abgetan:
Schon 1968 ätzte Filmkritiker-Primadonna Pauline Kael, dass ausgerechnet
jener Filmemacher, der sich gern mit den demütigen, anonymen Kathedralenbauern
des Mittelalters verglich, mit seinen idiosynkratischen Seelendramen vor allem
dem eigenen Persönlichkeitskult huldigen würde. Kaum ein anderer Regiestil
hat dann auch so viele treffende Parodien und so viele blutleere Imitate inspiriert
wie Bergmans Existenzialismus der erstarrten Gesichtslandschaften und introspektiven
Monologe. (Für beides, Hommage wie Persiflage, ist der passionierte Bergmaniker
Woody Allen das gültigste Beispiel.)
Bergman selbst war seine Versteinerung zum Mythos
allerdings auch eher unheimlich: „Wir stehen uns nicht sehr nahe“, hat er einmal
über seine eigene öffentliche Künstler-Persona bekannt und ein
andermal selbstkritisch angemerkt, er habe hin und wieder leider auch typische
„Bergman-Filme“ gedreht. Diese rhetorische Aufspaltung in einen offiziellen
und einen „anderen“ Bergman passt zu einem Werk, das immer wieder (wohl am bekanntesten
und konsequentesten in seinem Avantgarde-Crossover „Persona“, 1966) um die Zersetzung und Verschmelzung von
Identitäten kreist. Und sie eröffnet die Chance, Spuren in seinem
Werk freizulegen, die über den Klischee gewordenen Seelenqualen-Expressionisten
hinausweisen. So schlug Kritiker Manny Farber einmal vor, Bergmans Schaffen
als ein permanentes Ringen zwischen dem altbekannten bedeutungsschwangeren Symbolisten
und einem zweiten, „naturalistischen“ Bergman zu betrachten, der Alltagsstimmungen
und kleine zwischenmenschliche Reibereien mit müheloser Eleganz einzufangen
verstünde: Auch so lässt sich sein Ehe-Kriegsfilm „Schande“ (1968) lesen.
Aber reichen zwei Bergmans überhaupt, um diesem
gut 50 Langspielfilme umfassenden Œuvre gerecht zu werden? Was ist beispielsweise
mit dem Bergman von „Die
Zeit mit Monika“ (1953), einer schönen,
herben Teenagerromanze, die den Übergang vom Sommeridyll zum Alltagstrott
eindringlich, aber ganz ohne allegorischen Ballast nachzeichnet? Und selbst
an den sakrosankten Bergman-Klassikern „Das siebente Siegel“ und „Wilde Erdbeeren“, die ihm 1957 im Doppelpack den endgültigen
Durchbruch bescherten, verstört heute unter Umständen weniger der
„tiefgründige“ Symbolismus vom Schachspiel mit dem Sensenmann und Rendezvous
mit der eigenen Leiche, sondern eher der leichte, mitunter boulevardeske Tonfall,
mit dem hier bürgerliche Sinnkrisen erzählerisch entfaltet werden.
Nicht umsonst hatte der emsige Theater- und Filmemacher seine erste internationale
Auszeichnung ein Jahr zuvor mit dem komödiantischen Wechselreigen „Das
Lächeln einer Sommernacht“ eingefahren
– und drehte zwischen den existentiellen Traktaten „Das Schweigen“ und „Persona“
eine eigenwillige Farbkomödie über die Abenteuer eines Musikkritikers.
Tatsächlich geht das Klischee von einem Kino
der gespreizten, vergeistigten Symbole auch an Bergmans „schwerem“ Werk eher
vorbei als es zu erhellen: Man muss einen Film wie „Der
Ritus“ (1969) wohl wirklich selbst
gesehen haben, um glauben zu können, welches physische Gewicht seine Psychospiele
auf der Leinwand entwickeln. Was sich auf dem Papier nach überspanntem
Allegorientheater für Begriffsstutzige anhört – ein biederer Richter
lässt sich von drei antibourgeoisen Gauklern ihre Show vorführen und
stirbt schließlich im Zuge dieses Riesendildo-Bacchanals –, nimmt unter
Bergmans strengen Händen beträchtliche Intensität an: Inmitten
kahler, milchig weißer Räume, in einer rigoros strukturierten Szenenfolge
voll starrer Großaufnahmen lösen sich die filigranen bis fleischigen
Gesichtszüge der vier Hauptdarsteller und der stilisierte Klangkörper
ihrer Dialoge (für des Schwedischen nicht mächtige Ohren ein rhythmisches
Genudel mit schön gedehnten Umlauten) immer widerspenstiger aus dem figurenpsychologischen
Korsett. Erst dieser formale Kontrast zwischen Abstraktion und obstinaten Details
verleiht dem thesenhaften Konflikt (Ordnung gegen Kunst, Moral gegen Triebe),
der auf der Handlungsebene verhandelt wird, seine Dringlichkeit.
Solche Momente der Zersetzung von Figurenpsychologie
führen bei Bergman freilich selten so weit wie in Samuel Becketts formal
verwandtem Theater des Absurden. Der zentrale innere Widerspruch seines bürgerlichen
Kinomodernismus bestand darin, das souveräne Subjekt aufzulösen und
zugleich als leidendes, gequältes stets wieder zu bestätigen. Dass
das manchmal gefährlich an schaurig-wohliges Selbstmitleid („Ach, wie geschunden
und verdorben wir doch sind!“) grenzte, kann man behaupten – und müsste
es doch erst mal Film für Film genauer überprüfen. Bergman ist
tot, aber wir sind noch lange nicht mit ihm fertig.
Joachim Schätz
Dieser
Text ist zuerst erschienen in: www.falter.at
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