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Zerrissene
Umarmungen
Heilungswunder
Pedro Almodovar löst in "Zerrissene
Umarmungen" alle selbstgestellten Aufgaben mit Bravour. Es fragt sich nur,
was es bringt.
Ein dunkelrotes Sofa in Rückansicht.
Die Kamera auf dem Boden sieht und zeigt nur, was oberhalb der Lehne geschieht.
Ein Rücken, der sich als hingestreckter Leidenschaftshügel bewegt,
weiter unten ein Fuß, der sich klammert. Das ist Sex auf dem Sofa, wie
Pedro Almodóvar ihn vorführt. Ein visueller Scherz, ein Spiel mit
dem, was in den Blick fällt und was nicht. Was man bis hierhin weiß:
Der hier Sex hat, ist blind. Harry Caine nennt er sich, sein richtiger Name
ist das nicht. Man sieht, wie er in seine Schreibmaschine tippt, man sieht seine
Finger auf Braille-Schrift, man sieht seine Hände zärtlich fummelnd
am Vorleserinnen-Gesicht. Dann geht's auf die Couch.
Und von da geht es noch ganz anderswo
hin. In die Vergangenheit, die als Rätsel schon die ersten Bilder bedrängt:
Wer ist dieser Caine, warum ist er blind? Die Geschichte, die dahintersteckt,
erzählt Almodóvar in seinem Film. Sie ist kompliziert, unnötig
kompliziert, könnte man sagen. Andere These: Der spanische Regisseur begreift
dieses Werk im Moment, in dem er längst ein Gegenwartsklassiker ist, als
Summe, in der er wichtige Motive seiner Filmografie noch einmal arrangiert und
versammelt.
Er macht dafür viele Bilder, viele
Handlungsstränge, viele Worte und viele Bewegungen zwischen Wirklichkeit
und Fiktion, Gegenwart und Vergangenheit, Bildern des Films und Film-im-Film-Bildern.
Welches ist das Schnürchen, an dem man am besten zieht, um die so elegant
ineinandergewebten Maschen zu lösen? Es ist Lena (Penelope Cruz), Almodóvars
Muse, hier als Frau zwischen zwei Männern und zwischen den Bildern. Sie
ist, Rückblende, Sekretärin eines Industriellen. Sie wird, Rückblende,
Hauptdarstellerin im Film "Mädchen und Koffer" des Regisseurs
Mateo Blanco. (Wir erkennen in ihm wieder: Harry Caine. Er ist noch nicht blind.)
Der Film "Mädchen und Koffer" erinnert die, die es kennen, an
Almodóvars eigenes Werk "Frauen
am Rande des Nervenzusammenbruchs".
So gehen die Echos heftig durch diesen
Film. Was sich entwickelt: ein Eifersuchtsdreieck. Mateo verliebt sich in Lena,
was der Industrielle, der den Film finanziert, mit Argwohn verfolgt. Er schickt
seinen übrigens schwulen Sohn, der später wieder auftaucht mit einer
Drehbuchidee für den nun erblindeten Caine, mit einer Kamera zu den Dreharbeiten.
Wir sehen also: Bilder vom Film, Bilder vom Dreh und Bilder von der Doku, die
der Sohn vom Dreh dreht. Das ist schon, werden Sie zugeben, recht kompliziert.
Almodóvar jedoch gelingt es, mit
geradezu maßloser Eleganz seine Schachteln in Schachteln zu einem Ganzen
zusammenzuschnüren, das eher ganz als verschachtelt aussieht. Dazu bedarf
es regelmäßiger an Hitchcock-Musik gemahnender Aufwallungen auf der
Tonspur, gleitender, immer nur gleitender Bewegungen - Fahrten und Zooms - einer
Kamera, die, was sie zeigt, wie in Seidenpapier verpackt. Es ist, als hätte
sich Almodóvar eine Aufgabe gestellt: Eine in möglichst viele Splitter
und Reflexionen und Spiegeleffekte auseinanderfallende Geschichte erfinden und
das, was darin Riss und Schmerz und Verletzung sein müsste, mit den Mitteln
des Kinos auf der Stelle zu heilen.
(Kurze Abschweifung zur auf zugleich absurde
Weise grandiosesten Szene des Films. In einer sehr langen, mutmaßlich
mit einer Steadicam aufgenommenen Plansequenz sehen wir Mateo Blanco während
einer Drehpause durch Studiogänge streben, immer auf die Kamera im Rückwärtsgang
zu. Almodóvar schneidet das nicht und folgt in einer einzigen Bewegung
durch die Tür zur Garderobe, hinter der nun Lena auf ihn wartet. Langer
Anlauf als Vorspiel, lustvolles Dringen durch geschlossene Tür: das ist
Kamerasex. Eigentlich ist der reale Beischlaf, der dann folgt, redundant. Und
eben das, diese Redundanz, ganz bezeichnend für den Film.)
Alle Aufgaben, die Almodóvar sich
hier stellt, löst er mit Bravour. Es fragt sich nur, ob er damit etwas
gewinnt. Alles, was rohe Empfindung sein müsste und früher bei Almodóvar
selbst in grotesk-ironischer Verdrehung noch rohe Empfindung war, ist jetzt
durch Rahmungen sonder Zahl (man achte auf die Spiegel!) und durch sehr raffinierte
Bild-und-Ton-Widerspiele abgefedert, gedämpft und aufs Angenehmste für
den Genuss edlen Leids durch den Betrachter bereitet. Man kann dies Heilungswunder,
das Wut und Leidenschaft, eigentlich alle Ernsthaftigkeit des Fühlens und
Denkens im Bild-Arrangement aufhebt, bestaunen. Man kann sich aber auch fragen,
was eine solch zugleich meisterliche wie anästhesierende Kunst einem eigentlich
noch bedeutet.
Ekkehard Knörer
Dieser Text ist zuerst erschienen
in: www.perlentaucher.de
Zerrissene
Umarmungen
Spanien
2009 - Originaltitel: Los Abrazos Rotos - Regie: Pedro Almodóvar - Darsteller:
Penélope Cruz, Lluís Homar, Blanca Portillo, José Luis
Gómez, Lola Dueñas, Rubén Ochandiano, Angela Molina, Rossy
de Palma - FSK: ab 12 - Länge: 127 min. - Start: 6.8.2009
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