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Wenn
Ärzte töten –
Über Wahn und Ethik in der Medizin
Hannes
Karnick und Wolfgang Richter porträtieren den amerikanischen Historiker
und Psychiater Robert Jay Lifton, der von seinen Begegnungen mit Naziärzten
berichtet
Dieser Film ist anders als viele Dokumentationen über den
Holocaust und das »System KZ«. Meist wurden Opfer und Täter
befragt, unvergessen Hotel Terminus von Marcel Ophuls oder Shoah von Claude
Lanzmann. Hannes Karnick und Wolfgang Richter aber sprechen mit einem Historiker,
der auch Arzt und Psychiater ist, über seine Begegnungen mit Ärzten,
die in Vernichtungslagern Häftlinge getötet haben. Der jetzt 83-jährige
Robert Jay Lifton hat sich immer wieder mit Menschen in Grenzsituationen beschäftigt,
mit Überlebenden von Hiroshima oder Vietnamveteranen. Sein Buch »The
Nazi Doctors« erschien 1986. Aber auch so viele Jahre später ist
seine Erzählung vor der Kamera packend, als hätte er das alles gerade
erst erlebt. Da Lifton schwierige Sachverhalte in einer einfachen, verständlichen
Sprache darstellen kann, hört man gebannt zu.
Aber man hört nicht nur zu. Obwohl die Regisseure Lifton
nur in Groß- oder Halbnah-Aufnahmen zeigen, wird das, was die Dokumentarfilme
der »redenden Köpfe« oft so unerträglich macht, hier zum
Ereignis. Man sieht in ruhigen, genauen, meist langen Einstellungen, wie Gedanken
entstehen. Es gibt aber Zwischenschnitte: Lifton lebt an der Atlantikküste
von Cape Cod, ein paar Mal sieht man das Meer, die Wellen, ein paar Seeadler,
unterlegt von einer zwischen Ruhe und Unruhe changierenden Musik (Jan Tilman
Schade) – Szenen zum Ausatmen, Durchatmen.
Sie verweisen auch auf eine Sequenz im Garten, nicht im Arbeitszimmer, in der das Thema gewechselt wird. Lifton bekennt sich trotz all der furchtbaren Dinge, die er erforscht hat, zur Lebensfreude, zum Humor. Und in der letzten Szene antwortet er auf die Frage nach dem grundsätzlich Bösen im Menschen: Er sei kein Pessimist, der nur mit dem Allerschlimmsten rechne, und kein Optimist, der das Gute erwarte, aber er habe Hoffnung. Der Film endet mit einem Comic von Lifton (er hat Comics sogar veröffentlicht): Zwei Vögel zwitschern miteinander: »After thirty years of psychoanalysis, how do you feel?« – »A little better.«
Die Gespräche mit den Naziärzten beschreibt Lifton zunächst,
dann interpretiert er sie und leitet daraus eine Analyse der Medizin im »Dritten
Reich« ab. Er hat den Ärzten Anonymität zugesichert, hat die
Interviews vorsichtig begonnen, über Themen wie Sterilisation und Euthanasie
näherte er sich der Tötung in den Lagern. Die Mediziner fühlten
sich der Naziideologie verpflichtet: Die deutsche Volksgesundheit sollte geschützt
werden. Die damals moderne Technologie der Gaskammer erleichterte ihnen die
Morde. Direkte Mordgeständnisse aber bekam Lifton nicht. Er sieht im Arztberuf,
den er aus der vormodernen Welt der Schamanen herleitet, die Gefahr, sich als
Herr über Leben und Tod zu fühlen. Er belegt seine Thesen mit einer
Fülle beeindruckender Beispiele, bekannten, aber auch überraschenden.
Wilhelm
Roth
Dieser
Text ist zuerst erschienen in: epd Film 12/2009
Wenn
Ärzte töten – Über Wahn und Ethik in der Medizin
Deutschland
2009. R, P: Hannes Karnick, Wolfgang Richter. B, K, Sch: Wolfgang Richter. M:
Jan Tilman Schade. T: Michael Busch. Pg: docfilm Karnick & Richter. V:
W-film. L:
90 Min. Mit: Robert Jay Lifton. Start: 3.12.2009 (D)
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