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Voodoo
–
Mounted by the Gods
1972 verabschiedete sich die James-Bond-Formel
zeitweilig von megalomanen Welteroberungsszenarien, um in „Leben und Sterben
lassen“ den smarten Superagenten mit der übernatürlichen Welt des
Voodoo zu konfrontieren. Dabei wurden Klischees geprägt, die bis heute
im Mainstreamkino und den Köpfen seines Publikums herumspuken. Voodoo war
plötzlich angesagt und passte in die Zeit des psychedelischen Lebensgefühls.
Tarotkarten, mit Nadeln malträtierte Puppen, janusköpfige Priester,
ekstatische Tänze und blutige Opferrituale erschienen in Filmen, auf LP-Covern
und an Souvenirständen. Dem Horrorfilmgenre diente seit „I walked with
a Zombie“ (1943) die religiöse Tradition Westafrikas als beliebte Vorlage
für Gruseleffekte. Der westlichen Vermarktungskette zu entgehen und den
Voodoopraktiken ihr Recht auf eine ernstzunehmende eigenständige religiöse
Tradition zurückzuerstatten setzt der Film „Voodoo – Mounted by the Gods“
an. Dabei kehrt Regisseur Alberto Venzago zu den mythologischen Wurzeln im westafrikanischen
Benin zurück, dort wo der transatlantische Sklavenhandel einst blühte
und den Voodookult über den amerikanischen Kontinent verbreitete.
Der Film erzählt von der Suche des
alternden Voodoopriesters Mahounon nach einem Amtsnachfolger. Zahlreiche Kinder
mit der „besonderen Gabe“ werden als Novizen einer schweren einjährigen
Prüfung unterzogen, bis schliesslich das Voodoo-Orakel Fa über ihre
Eignung entscheidet. Nach jahrelanger vergeblicher Ausschau weist das Orakel
schließlich auf den zwölfjährigen Jungen Gounon. Fortan kümmert
sich Mahounon um die sechs Jahre dauernde Unterweisung in den verborgenen Praktiken
des Mawu-Lissa Voodoo-Kultes. Um vor Missbrauch zu schützen, gibt es keine
schriftlichen Aufzeichnungen. Im Kloster selbst kommuniziert man über zwei
Geheimsprachen. Nach der bis dato geradlinig aufgebauten Erzählstruktur
zersplittert die Dramaturgie. Der Film sammelt Mosaiksteine. Dafür springt
er von verschiedenen Kultpraktiken zu weihevollen Zeremonien im Kloster, zeigt
Opferrituale, Leichenbeschauung und Landschaftsbilder oder begleitet seinen
Protagonisten auf einem Moped. Erst zum Ende hin führt Regisseur Venzago
die offenen Bild-Enden in der spirituellen Initiationsfeier des würdigen
Nachfolgers wieder zusammen.
„Mounted by the Gods“ ist kein Dokumentarfilm,
sondern ein filmästhetisches Experiment, das tief in die Welt des Voodookultes
eintaucht. Venzago möchte zum einen mit den Klischees der tricksters, also der Schwindler und Scharlatane
aufräumen, gleichzeitig aber auch das Geheimnisvolle und Zauberhafte dieser
Oralkultur bewahren. Die Bedeutung des Wortes „Voodoo“ gibt das Stichwort: „das,
was sich nicht ergründen lässt“. Informationen werden daher nicht
sachlich sondern emotional vermittelt. Der Regisseur zeigt kein Interesse daran,
die Wirkungsweisen, religiösen Ursprünge oder Querverbindungen zu
anderen Kulten auszuleuchten. Stattdessen entzieht er seinen Bildern die Farbe,
reduziert sie auf kontrastreiches Schwarz-Weiss; hier und da schleichen sich
Orangetöne oder blaue Farbpigmente wie Zeichen der Götter in die Landschaftsaufnahmen
ein. Die Kamera ist verliebt in Gesichter. Immer wieder schweift sie orgiastisch
von einem Portrait zum anderen, vergrößert die Sinnesorgane Augen,
Mund und Nase, liest die vernarbten Hautpartien wie Schriftrollen. Sie tanzt
mit den von den Göttern Besessenen, bis
sie selbst außer Kontrolle gerät, mit Kamerarissen die Szenerie zum
wilden Schattenspiel stilisierend. Dieser Ansatz spiegelt sich auch akustisch
wieder. In der tranceartigen Initiationsfeier tanzen die Einwohner nicht zu
den Klängen ihrer Trommeln, sondern denen des Filmorchesters Babelsberg.
Der Komponist Jochen Schmidt-Hambrock hat zusammen mit Peter Scherer und Boris
Blank (Yello) eine Mischung aus sphärischen Klängen, Technobeats und
Eingeborenengesängen geschaffen, die bewusst die dokumentarische Ebene
hinter sich lässt. Authentische Aufnahmen von Schlagwerken oder Kinderchören
aus Benin tauchen als Computersamples im zeitgemäßen Soundmix wieder
auf. So entsteht ein audiovisueller Strudel, der die Ekstase nicht mit kühler
Sachlichkeit entzaubert, sondern die geheimnisvolle Energie der Rituale zu bewahren
sucht. Der Film läuft damit aber auch Gefahr, sein Anliegen und Potential
einer von Klischees befreiten Perspektive auf den Voodookult zu verspielen.
Eine extrem niedrig angesetzte Kamerafahrt über einen Friedhof mit Grabsteinen
pflegt unfreiwillig die stereotypen Darstellungen im Horrorfilm. James Bond
begann nach einer ähnlichen Einstellung seine Nachforschungen in einem
Souvenirladen mit dem Namen Oh Cult Voodoo Shop und Sir George Martin
arrangierte die Musik für die Voodoo-Tänze.
Frank Mehring
Dieser Text ist zuerst erschienen
in: film-Dienst 23 (2003)
Voodoo
- Mounted by the Gods
Schweiz
/ Deutschland 2001 - Regie: Alberto Venzago - Länge: 92 min. - Start: 9.10.2003
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