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Der
Vater meiner Kinder
Souverän
leichthin
Mia
Hansen-Løves auf vielen Festivals schon gefeierter Spielfilm "Der
Vater meiner Kinder" erzählt nach einer wahren Geschichte von einem
Filmproduzenten in höchst prekärer Lage.
Vorbemerkung:
Der Text zu "Der Vater meiner Kinder" verrät ein entscheidendes,
für den, der die zugrundeliegende Geschichte nicht kennt, so nicht unbedingt
erwartbares Ereignis. Das ist nicht zu vermeiden, will man sinnvoll über
den Film schreiben. Wer aber unbelastet von Vorwissen in diesen sehr sehenswerten
Film gehen will, sollte die Kritik erst nach dem Kinobesuch lesen.
Bilder
einer Stadt, die nur Paris sein kann, mit Musik unterlegt und mit Schrift im
Bild. Der Vorspann zu "Der Vater meiner Kinder" zeigt Impressionen,
folgt keiner Figur, sondern eröffnet erst einmal zu unaufdringlicher Musik
einen Raum, der so offen, so transparent ist, dass man auch die Namen der Mitwirkenden
hineinsetzen kann. Ein schöner, ein ganz unangestrengter Beginn.
Dann
tritt ein Mann aus einer Tür, geht hinaus in diese Stadt. Die Kamera folgt
ihm durch die Straßen. Er telefoniert, das Handy am Ohr. Immer und immer
wieder hat er jetzt, später, immerzu und überall, zuhause, unterwegs,
im Urlaub, in den Straßen der Stadt das Handy am Ohr. Sein Name: Gregoire
Canvel. Sein Beruf: Filmproduzent. Seine Familie: Frau und drei Töchter.
Die Lage seiner Firma: äußerst prekär. Von seinem Beruf, seiner
Familie, seiner Lage - und seinem Selbstmord erzählt der zweite Spielfilm
der jungen französischen Regisseurin Mia Hansen-Løve. (Sie ist 1981
geboren, hat Philosophie studiert, hat in mehreren Filmen von Olivier Assayas
gespielt, ist mit diesem seit Jahren zusammen, und hat früher auch für
die Cahiers du Cinema geschrieben.)
Es
liegt der Figur des Gregoire Canvel und dem, was ihr widerfährt, eine reale
Tragödie zugrunde. Die des Humbert Balsan, legendäre Figur des französischen
Filmbetriebs, als Produzent ein Ermöglicher auch schwieriger Filme, von
Claire Denis, Sandrine Veysset, Youssef Chahine etc. etc. Ein Geschäftsmann,
der lange recht virtuos am Abgrund segelte, bevor dann doch alles zusammenkrachte.
Balsan erhängte sich, da war er gerade fünfzig, in seinem Pariser
Büro. Lars von Triers "Manderlay"
und Bela Tarrs "Der Mann aus London" waren gerade in der Produktion
und sind, postum, Balsan gewidmet.
Hansen-Love,
die auch das Drehbuch schrieb, nimmt diese Geschichte und wendet sie interessant.
So souverän leichthin, dass man die Genauigkeit kaum bemerkt, entwickelt
sie in der ersten Hälfte des Films eine Topografie: Canvel (mit Handy)
in seinem Büro und in seinem schönen Haus vor der Stadt und vor allem
im Auto, dazwischen. Dieses Leben war, den Eindruck gewinnt man, glücklich
eingerichtet, gerät aber aus dem Lot. Die Gläubiger weigern sich,
Schulden zu stunden, die Bank sagt nein zu neuen Krediten, die Schlinge um den
Hals des Geschäftsmanns Canvel zieht sich zu. Die Glückens-Ökonomie
dieses Lebens beruht auf der Trennung der Welten (Bürowelt, Familienwelt)
und das Kollabieren dieser Trennung - Canvel hat auch im Urlaub ständig
das Handy am Ohr - signalisiert, ohne dass groß Drama gespielt wird, das
Scheitern.
Zur
Mitte des Films erschießt sich die Figur, die man für dessen Protagonisten
hielt, umstandslos. Zeit, neu über den Titel - "Der Vater meiner Kinder"
- nachzudenken. Das ist aus der Perspektive von Canvels Ehefrau gesagt und akzentuiert
das Verhältnis des Vaters zu seinen Kindern, nicht zu ihr. Und es stimmt:
Mehr und mehr kommen nun die Kinder in den Blick, die nicht begreifen, warum
ihr Vater sie einfach im Stich lässt. In kleinen, unspektakulären
Szenen beobachtet der Film die Kinder und vor allem die älteste Tochter
in einer vaterverlassenen Welt, wie sie fragen, wie sie nicht verstehen - und
wie sie sich im ganz buchstäblichen Sinn neu orientieren.
Mit
einer behutsamen Entschlossenheit, die den Film als ganzen charakterisiert,
zeigt Hansen-Løve die
Neubesetzung der alten Topografie. Die Witwe und die Halbwaisen im Büro
des Vaters, in dem die ganzen Plakate der (fiktiven) von ihm produzierten Filme
noch hängen. Nach und nach begreift man: "Der Vater mein Kinder"
ist kein Film über einen Mann, der als Filmproduzent scheitert und sich
deshalb umbringt. Es ist ein Film über die Frauen, die mit seinem Tod,
dem Verlust, dem Affront, den er darstellt, umgehen müssen. Ein Film, der
dem sehr banalen Satz "Das Leben geht weiter" Bilder, Geschichten,
das ganze Gewicht seiner Unerträglichkeit gibt. Und der eine Familie zeigt,
die sich nach einem ersten Schock und der damit verbundenen Starre der Welt
wieder öffnet. Eine Emanzipationserzählung sehr eigener und sehr überzeugender
Art.
Ekkehard
Knörer
Dieser
Text ist zuerst erschienen in: www.perlentaucher.de
Der
Vater meiner Kinder
Frankreich
/ Deutschland 2009 - Originaltitel: Le père de mes enfants - Regie: Mia
Hansen-Løve - Darsteller: Louis-Do de Lencquesaing, Chiara Casselli,
Alice de Lencquesaing, Alice Gautier, Manelle Driss, Eric Elmosnino - FSK: ab
12 - Länge: 110 min. - Start: 20.5.2010
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