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Der
Untergang
Clausewitz is ausjejeben!
Das 20. Jahrhundert
feiert Bergfest und Traudl Junge liefert die Impressionen zur kolossalsten Fin-de-Siécle
Party des Jahrhunderts, Joachim Fest die knallharten historischen Fakten und
das Traumduo Hirschbiegel/Eichinger Blut, Schweiß und Bonker-Rock’n’Roll:
Nazifolklore at its best! Die Saubermänner-Wehrmacht, der ranghohe SS Arzt
(neuerdings- oder soll man sagen - wieder Gutmensch), der verträumte Speer,
das arme Fegelein, Eva, die dumme Gans, der böse Hitler, die braune Schlange
Goebbels, die irre Magda, der fette Göring in der schneeweißen Phantasieuniform,
Schlaubischlumpf Himmler und zum Schluss Rosselinis blonder Edmund, weiß
der Teufel, wo der plötzlich herkommt. Ach so, denn Heini „Hitlerjunge
Quex“ Völker wurde in einer Nebenhandlung ruckizucki im Fegefeuer der Frontstadthölle
Berlin geläutert. Alle mit von der Partie. Sagte ich böser Hitler?
Nein, böse ist er nun wirklich nicht, nur etwas crazy in der Birne. Vergleicht
auch mal Menschen mit Schäferhunden oder Affen, meistens zum Nachteil der
Menschen, aber Kulturpessimisten sind eben immer etwas grummelig, wenn es ans
Eingemachte geht. Eben ganz der alte Teppichbeißer, ein verkappter Prince
Charming der alten Schule, der seiner Eva vor versammelter Bunkercrew die vollgegeiferten
Lippen auf die ihren presst, dass man vor Entsetzen laut „ Achtung, Tabubruch
- Igittigitt!“ schreien möchte.
Goebbels hätte
sich angesichts der eichingerschen Weltmarktproduktion verschmitzt ins Fäustchen
gelacht, hat sich sein perfide-genialer Aufmunterungsappell vom 17. April 1945
doch noch zur allgemeinen Zufriedenstellung erfüllt: „Meine Herren, in
hundert Jahren wird man einen schönen Farbfilm über die schrecklichen
Tage zeigen, die wir durchleben. Möchten Sie nicht in diesem Film eine
Rolle spielen? Halten Sie jetzt durch, damit die Zuschauer in hundert Jahren
nicht johlen und pfeifen, wenn Sie auf der Leinwand erscheinen.“ Dass die Verfilmungen
in vorauseilendem Gehorsam nicht runde hundert Jahre auf sich warten ließen,
hatte selbst Goebbels nicht zu feixen gewagt. In den Zeitrechnungen haben sich
die Nazis immer grob verschätzt. Aber derart tadellos hielten sich die
Mannen des Tausendjährigen Reiches, dass das Johlen und Pfeifen in den
Kinosälen weitestgehend ausblieb. Die Inszenierung der Realität war
bis zur letzten Giftphiole vortrefflich.
Bei all dem schrecklichen
Werbegetöse um den neuen Naziporno übersah man allzu leicht, dass
der elegant-eloquente, stets bürgerlich-selbstbeherrschte Chefdenker zum
Thema „Akte Adolf“, Joachim Clemens Fest, bereits 1977 die Blaupause für
einen Film skizzierte, der das Gewissen der Nation aufrüttelte. Damals
trug der Film, eine Doku, den Reiztitel Hitler-
Eine Karriere,
denn was zählt folglich mehr in der bürgerlichen Welt als das Sakrament
der Karriere. Heute schockt niemanden mehr die Formel Der
Untergang,
formerly known as Befreiung. Damals fiel nach all dem wissenschaftlichen Rütteln
und Schütteln ein homosexueller Neo-Nazi vom Baum der Erkenntnis in den
Mediensumpf, wobei den Mann in der schwarzen Lederjacke, Michael Kühnen
genannt, heute auch niemand mehr kennt. Dann fiel der Mann AIDS zum Opfer und
in Rostock-Lichtenhagen gab’s ordentlich Zunder. Seitdem tummeln sich auf der
rechten Seite nur noch total bekloppte, dreistdumme Hampelmänner, aber
der Bruno Ganz spielt den Hitler im Hirschbiegelfilm ausgezeichnet, so habe
ich ihn (den Hitler) ja noch nie gesehen! Mal sehen, was diesmal überreif
vom Himmel fallen wird!
Alles gut! Nix
kaputt? Franchement, man fragt sich, wo denn genau der Wink mit dem Zaunpfahl
im Untergang versteckt ist, der uns sagt, dass das alles total pervers ist.
Wo bitte ist denn nun neben dem Sublimierungsangebot für den eigenen Todestrieb
das Stoppschild aufgepflanzt, das den jungen Leuten von heute anzeigt: Kinder,
das ist kein Kriegsporno, das ist ein Antikriegsfilm! Wir finden ihn nach zwölf
Tagen im Bunker und 144 lange Minuten im Kinosessel später als Rausschmeißer
kurz vor dem Absacker- oder Ich-hol-schon-mal-das-Auto-Abspann, also im wahrsten
Sinne des Wortes im toten Winkel. Ein Schnipsel aus dem gleichnamigen Film von
André Heller und Ottmar Schmiderer, der auch dort als Ende fungiert,
lässt die kurzatmige, immer erschüttert dreinschauende Traudl Junge
im blitzkriegschnellen knopp’schen Statementverfahren noch zu guter Letzt zu
Wort kommen: Erst als sie die Gedenktafel an ihre Altergenossin Sophie Scholl
in München lange nach dem Krieg sah, wurde ihr bewusst, dass auch sie trotz
ihrer blutjungen Jahre hätte kritischer sein können, in Anbetracht
der sechs Millionen ermordeten Juden hätte kritischer sein müssen.
In dem Jahr, in dem Sophie Scholl hingerichtet wurde, trat Traudl den Dienst
beim Führer an. Da ist er also, der Appell an die Jugend. Bildungsauftrag
erfüllt, könnte man meinen. Aber warum haben Eichinger und Hirschbiegel
keinen Film über die Anfänge, Ursprünge und Wurzeln des NS-Regimes
gedreht? Warum sehen wir nur das düstere, als explizite Gewaltorgie mit
allen erdenklichen Spielarten des Mordes in Szene gesetzte Ende eines menschenverachtenden
Systems? Kriegstote, Volkssturmtote, Standgerichttote, Blausäurekindermord
und als Finale: Des Führers Freitod für Volk und Vaterland. Würde-
und pietätsvoll verschwindet er wie in allen Bunkerfilmen hinter verschlossenen
Türen, der letzte Akt des Führers wird ein ewiges Mysterium bleiben.
Der Führermythos lebt! Hätte das Publikum beim Anblick des Führers,
wie er sich eine Kugel zwischen die Augen verpasst, gejohlt und gepfiffen? Aus
Freude? Aus Empörung? Es ist nun mal eine Binsenweisheit, dass die explizite
Darstellung von Gewalt auf der Leinwand jede geist- und witzlose Geschichte
aufmotzt, und Sex ist bei den Bunkerstories schwerlich zu machen. Da mussten
auch Hirschbiegel und Eichinger bedingungslos kapitulieren. Bleibt nur eines
zu sagen übrig: Clausewitz ist ausjejeben!
Weiterführende
Filmtipps zum Thema Holocaust: Claude Lanzmanns Shoah, Erwin Leisers
Pimpf
war jeder,
Theodor Kotullas Aus
einem deutschen Leben.
Stephan Horn
Zu diesem Film gibt’s im archiv der filmzentrale weitere Texte
Der Untergang
D
2004. R: Oliver Hirschbiegel. B: Bernd Eichinger (nach dem gleichnamigen Buch
von Joachim Fest und „Bis zur letzten Stunde“ von Traudl Junge und Melissa Müller).
P: Bernd Eichinger. K: Rainer Klausmann. Sch:
Hans Funck. M: Stephan Zacharias. T:
Roland Winke. A:.
Ko: Claudia Bobsin. Pg:
Bernd Eichinger. V: Constantin. L: 155 Min. FSK: 12 ff. FBW: besonders wertvoll.
Da: Bruno Ganz (Adolf Hitler), Alexandra Maria Lara (Trautl Junge), Corinna
Harfouch (Magda Goebbels), Ulrich Matthes (Joseph Goebbels), Juliane Köhler
(Eva Braun), Heino Ferch (Albert Speer), Christian Berkel (Prof. Schenck), Matthias
Habich (Prof. Dr. Werner Haase).
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