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Während die „Endlösung der Judenfrage“ anlief, waren die deutschen Bauern im Münsterland ein einig Volk von Judenrettern, was nicht zuletzt daran lag, dass dort katholische Werte weitergalten. Die Revision der deutschen Geschichte ist damit heute einen bedeutenden Schritt weitergekommen, wenn nicht gar abgeschlossen, jedenfalls für den TV-Spiel-sozialisierten Zuschauer, der auch im Kino statt der Leinwand nur den vertrauten Monitor sieht. In „Unter Bauern – Retter in der Nacht“ wird es sofort TV-familiär mit Armin Rohde und Veronica Ferres, obwohl sie Juden sind. Frau Ferres aber imponiert, weil sie Physik studiert hat.
Wer nun erwartet, einen Film zu sehen zu bekommen, hat was falsch gemacht. Eine Handlung gibt es nicht, auch kein Drehbuch, wohl aber ein Bilderbuch, das ein Klischee an das andere reiht, wobei darauf geachtet ist, dass nichts wehtut. Der Jude Armin Rohde, jetzt auf der Flucht, hat im 1. Weltkrieg das Eiserne Kreuz bekommen, weil er einen Kameraden gerettet hat. Jetzt soll er im 2. Weltkrieg in den Osten abtransportiert werden, von wo „keiner zurückkommt“, wie uns gefühlte 50 mal versichert wird. Bei Veronica Ferres hingegen hat die bekannte „Nacht des Grauens“ Narben auf der Brust hinterlassen. – Nein? Solche Nacht nicht bekannt? Sprach denn nicht damals der deutsche Volksmund von Reichskristallnacht? Ach, lassen wir es lieber im Dunkeln. Wer kennt denn noch diese Ausdrücke.
Aber jetzt
fährt statt der Museumsbahn ein Jeep, und schon sind alle beim Kaugummikauen,
bloß Armin Rohde freut sich nicht. Er hat im Isolationsversteck beim deutschen
Judenretter einen Knacks bekommen. Schon will ihn der G.I. als Wehrmachtssoldat
festnehmen, da lässt er vor ihm die Hosen runter und wir sehen seinen blanken
Arsch. Sofort ist alles wieder gut. - Kapiert? War die Vorhaut ab?
Im Übrigen
versteht sich der Film von selbst, wobei er, wenn auch nicht freiwillig, die
Satire streift. And
now something completely different. Unversehens
humpelt ein Einbeiniger ins Bild, weiß uniformiert. Er sucht einen Blindgänger,
findet und entschärft ihn. – Von so einem Ding war weder vorher noch ist
danach die Rede. Es geschieht. Einfach so. Da lauert kultiges Trashpotential.
Zu Ehren von „Unter Bauern“ sei es hier gesagt.
Selbstverständlich
verbietet es sich auch von selbst, „Unter Bauern“ zu zerreißen. Seine
Botschaft ist mehrfach abgesichert und abgesegnet. Zugrunde liegt eine wahre
Geschichte. Aufgezeichnet von der Jüdin Marga Spiegel. – Sie selbst erscheint
knapp vor dem Abspann im Bild. Ihre welke Hand hält die der arischen Bauerntochter,
zu der sie in der Küche in den dampfenden Badebottich gestiegen war. Hatte
man der Ferres das im TV-Spiel nicht glauben mögen, so glaubt man den beiden
leibhaftigen Alten im Schlussbild alles. Auch dass sie dem Team versichern,
dass alles seine Richtigkeit hat. Liebenswürdig, das. Aber dreist, wie
sie schlussendlich instrumentalisiert werden. Bloß - nach ihrer Liveschaltung
wirkt die TV-Unterhaltung von Regisseur Ludi Boeken noch schaler, als sie bis
dahin war.
Wenn man
den Einzelfall, von dem die Autorin berichtet hatte, zu einer deutschen Judenrettungssaga
aufpusten will, - schlecht dann, wenn einem ganz schnell die Puste ausgeht.
Gott sei’s gedankt. So bleibt es dabei, dass das letzte Wort zu deutschen Bauern
und Juden nicht „Unter Bauern“, sondern ein anderer Film hat. Andreas Gruber
zeigte uns schon 1994 deutsche Bauern – schön, es waren die in der Ostmark,
und in „Unter Bauern“ haben wir grade gelernt, was das für ein Landstrich
ist: „der Heimatgau des Führers“ -, deutsche Bauern also, die Juden nicht
retteten, auch nicht nachts, wohl aber mit Freuden jagten und abknallten. Die "Hasenjagd"
war hart und ging unter die Haut.
Der Film wirkte nachhaltig: Unter Bauern – Judenjäger Tag und Nacht.
Dieser
Text ist zuerst erschienen in der: taz
Deutschland
2009 - Regie: Ludi Boeken - Darsteller: Veronica Ferres, Armin Rohde, Louisa
Mix, Margarita Broich, Martin Horn, Lia Hoensbroech, Tjard Krusius, Kilian Schüler,
Marlon Kittel - Prädikat: besonders wertvoll - FSK: ab 12 - Länge:
100 min. - Start: 8.10.2009
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