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Universalove
Marseille,
Rio de Janeiro, Belgrad, Tokio, New York, Luxemburg – sechs Expositionen an
sechs unterschiedlichen, aber visuell sehr präzise konturierten Orten umspielen
die für den Film konstitutive Idee einer globalen Liebesgeschichte, die
eher atmosphärisch als narrativ versucht, Impressionen dessen zu fixieren,
was „Liebe“ auszumachen scheint. In „Universalove“ geht es nicht um sechs exemplarische
Liebesgeschichten, sondern eher darum, was solchen Geschichten vorgelagert ist.
Im Pressematerial findet Thomas Edlinger hierfür eine passende Formel,
wenn er den Film als „emotional verdichtetes Kino der Empfindsamkeit“ charakterisiert.
Zu
Beginn sieht man eine junge Frau auf einem Moped suchend und besorgt durch Marseille
fahren. Die Kamera folgt nicht ihren Blicken, sondern zeigt ihr Gesicht. In
diese längere Fahrt sind Momente einer Auseinandersetzung zwischen zwei
jungen Männern geschnitten. Einer der beiden hat eine Pistole in der Hand.
Eigentlich beginnt der Film jedoch mit der Großaufnahme einer weiblichen
Brust, die dann ein Unterhemd übergestreift bekommt; darunter schlägt
ein Herz, signalisiert durch einen Lichtpunkt. Aktuell schlägt es für
Rashid, der gerade viel Ärger am Hals hat. Bei Niklas Luhmann heißt
das: „Liebe färbt zunächst das Erleben, verändert damit die Welt
als Horizont des Erlebens und Handelns mit der ihr eigenen Totalität. Sie
verleiht gewissen Dingen und Ereignissen, Personen und Kommunikationen eine
besondere Überzeugungskraft. Und erst in zweiter Linie motiviert sie zum
Handeln, das um seiner symbolisch-expressiven, Liebe ausdrückenden Bedeutung
willen gewählt wird oder nahe gelegt wird durch die besondere Welt, in
der man sich mit dem geliebten Menschen einig weiß: die Welt des gemeinsamen
Geschmacks und der gemeinsamen Geschichte, der besprochenen Themen und bewerteten
Ereignisse.“
Wenn
man will, kann man sagen: „Universalove“ handelt zunächst von der Veränderung
des Subjektiven durch ein gutes Gefühl. Andererseits erzählt der Film
auch von den Rändern der Liebe, wenn eine gemeinsame Geschichte erst noch
konstituiert werden muss oder die Gemeinsamkeiten brüchig werden. Ein Taxifahrer
in New York stellt der Frau, die er liebt, eifersüchtig nach, registriert
und interpretiert ihre Gesten. Eine Frau in Rio de Janeiro begegnet zufällig
dem angebeteten Star einer Telenovela, der sich als ziemlich unsympathischer
Typ entpuppt. Ein junger Mann in Luxemburg fordert von einem älteren Mann,
dass er zu seiner homosexuellen Liebe stehen soll. Eine pragmatische Frau in
Belgrad ringt seit Jahren um ihren eskapistischen Geliebten, das Ringen um Gemeinsamkeit
charakterisiert ihre Beziehung. Die schönste Episode des Films spielt in
Tokio, wo ein Computerfachmann eine Frau, in die er sich verliebt hat, beobachtet,
es aber nicht wagt, sie anzusprechen, was an Wong Kar-weis „Chungking Express“
(fd 31 851) erinnert.
Regisseur
Thomas Woschitz und Kameramann Enzo Brandner haben sich dafür entschieden,
den einzelnen Orten einen spezifischen Look zu geben, sodass der aufmerksame
Zuschauer stets weiß, wo er sich gerade befindet, auch wenn die Figuren
nicht zu sehen sind. Dafür hat der Filmemacher glücklicherweise darauf
verzichtet, die einzelnen Episoden zusätzlich durch übergeordnete
Motive zu verbinden, wie es seit einigen Jahren Mode geworden ist, etwa in „Amores
perros“ (fd 35 104) oder „Babel“ (fd 37 924). So skizzenhaft und atmosphärisch
im Ungefähren bleibend der Film auch ist, was teilweise bis zum Manierismus
reicht, so schaffen die Songs der österreichischen Indie-Band „Naked Lunch“
gerade deshalb eine dramaturgische Klammer, weil die Beziehung zwischen Handlung
und Musik intentional nicht hierarchisch gedacht ist. Die Texte der Songs fungieren
nicht als Kommentar zu den Bildern, sondern konstituieren eine eigene, relativ
autonome Sinnebene.
Das
abstrakte Musical-Konzept des Films droht allerdings zu kippen, wenn allzu geschmäcklerische,
angestrengt um Originalität bemühte Pop-Atmosphären den Eindruck
erwecken, „Universalove“ sei eine Art überlanger Videoclip, gewissermaßen
ein verfilmtes Konzeptalbum mit einigen ziemlich schwachen Songs. Es
sind aber gerade die Hits (Tokio, Marseille, mit Abstrichen: Belgrad), die dieses
Album über Formen der Liebe tragen, das auf höchst interessante Weise
scheitert – und in den letzten Minuten tatsächlich ein erstaunliches Bild
dafür findet, wie Liebe und Film die Grenzen von Zeit und Raum überwinden
– und sei es nur, um den Abschied vom Geliebten auszukosten. Die Preise und
Auszeichnungen, die der Film bislang erhielt, scheinen jedenfalls eher dem in
vielerlei Hinsicht interessanten Konzept als dessen wenig überzeugender
Realisierung gegolten zu haben.
Ulrich
Kriest
Dieser
Text ist zuerst erschienen im: film-Dienst
Universalove
Österreich
/ Luxemburg / Serbien 2008 - Regie: Thomas Woschitz - Darsteller: Anica Dobra,
Dušan Aškovic, Damien Smith, Sri Gordon, Daniel Plier, Sascha Migge, Liza Machover,
Samir "RPZ" Menouar - FSK: ab 12 - Fassung: O.m.d.U. - Länge:
80 min. - Start: 28.1.2010
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