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Total
Eclipse
Dem Produktionsleiter (Dan Weil) gehört
auf den Kopf gepißt; dem für Maske und Kostüm Verantwortlichen
erst recht. Gäb’s doch heute einen Rimbaud, der sein Ding herausholt und
auf die erlauchte Dichtergesellschaft, die zutiefst von sich selbst überzeugt
ist, uriniert. Arthur Rimbaud war 16, als er den Lyriker-jour-fixe aufmischte,
damals 1871, in Paris. Paul Verlaine, in diesem Jahr noch formstreng-parnassisch
reimend, goutierte diesen unverschämten Verstoß-gegen-alle-Regeln
und entbrannte in maßloser Liebe zum zehn Jahre Jüngeren. Regisseurin
Agnieszka Holland (»Hitlerjunge Salomon«) inszeniert in ihrem Film
den urinösen Formverstoß in allen Einzelheiten, aber wie: förmlich-theatermäßig,
verstaubt und bieder; die Großaufnahmen zeigen Schauspieler, deren Schminke
und Maske besser vom vierten Rang in Augenschein zu nehmen wären; auch
werden die Texte so überdeutlich prononciert und abgefeiert, daß
nie und nimmer der Vorwurf erhoben werden könnte, es habe einer den Endkonsonanten
verschluck-t. Drum soll in diese erlauchte Theatergesellschaft der hl. Urian
dreinfahren, z. B. vom Rang des Erstaufführungskinos aus.
»Total Eclipse« ist die Verfilmung
des gleichnamigen Theaterstücks, das Drehbuchautor Christopher Hampton
1968 geschrieben hatte (Royal Court Theatre London). Und jeder der an der Filmproduktion
Beteiligten hat wie bescheuert das seine getan, daß es gewißlich
beim artigen Theater bleibt. Bei diesem Thema! Dem Wahnsinn einer Liebe! Dem
Bruch mit der herrschenden Dichtkunst! Dem Laster, dem Verfall, dem genialen
Aufblitzen, dem Vorbild dann für eine neue dichtende Generation! – Die
äußerst unerträgliche Konventionalität des Films straft
den Rimbaud-Darsteller Lügen, wenn er, was brav gezeigt wird, seinen Satz
»Das einzig Unerträgliche ist, daß nichts unerträglich
ist« aufsagt und, wusch, ein spitzes Messer durch die Hand seines Liebhabers
sticht. Ja, Schmerz ist süß, sagt uns die altbackene Inszenierung,
und Verlaine (Leonardo Di Caprio), der eh reichlich tuntig spielt, schaut süßlich
lächelnd nach oben, ganz Madonna, so daß es keinen überrascht,
daß der poète maudit später gut katholisch wird. Das hat mit
seinem Messer der Bursch’ Rimbaud getan. – Verpiß Dich, Agnieszka Holland!
Die Filmregisseurin mag es geahnt haben,
daß des Theaters genug ist. Wir werden daher mit einigen Einlagen erfreut,
wie wir sie aus den aktuellen Mainstream-Beziehungsdrama-Filmen kennen, nämlich
ein wenig Sex und Gewalt. Also wird in die abgezirkelten Bühnendialoge
eine Szene reingeknallt, in der Bi-Ehemann Verlaine seine wunderschöne
sowie im neunten Monat schwangere Gattin schlägt und tritt und gegen die
Wand knallt, auch ihre prächtigen langen Haare in Brand setzt, daß
die Flammen ihr Haupt umlodern, während wir noch in der Großaufnahme
ihres Bauches sahen, wie der Fötus sich reckt & räkelt und von
innen her mit spitzem Finger die Bauchdecke hebt. Verlaine zieht sich aus und
spielt einige Szenen nackt, aber da ist er schon bei seinem jungen Freund Rimbaud,
von dem er ausführlich in den Arsch gefickt wird, keuch, aber wir kennen
die gängigen Softporno-Einlagen ja sowieso. Also Einlagen da, wo’s im Theater
früher das Ballett gab. Zwar könnte man vermitteln, wie bei Verlaine
und Rimbaud Gewalt und Liebe zusammenkamen. Aber die Regisseurin muß gedacht
haben, lassen wir das beim straight-forward-Beziehungs-Plot, sonst müßten
wir auch noch etwas von der Commune erzählen (wir zählen das Jahr
1871) und von der Zeit danach, gar von der Revolution der Künste.
Also erfahren wir in diesem Film mitnichten,
daß Rimbaud am Commune-Aufstand teilnahm und mit dem »Bateau ivre«
nicht nur gegen die herrschenden lyrischen Kunstformen des Parnaß, sondern
gegen die bürgerliche Ordnung insgesamt revoltierte. Wir erfahren auch
nicht, warum Verlaine »in die Wirren der Commune verwickelt« war.
Meyers Konversations-Lexikon wußte schon vor hundert Jahren zu berichten,
daß Verlaine als Verwaltungsangestellter der Commune nach deren Niederwerfung
als politisch Verfolgter nach Brüssel floh. In »Total Eclipse«
wird daraus: Verlaine besinnt sich auf seine Pflichten als Ehemann, zitiert
seine Gattin, der die Haare inzwischen nachgewachsen sind, in ein Brüssler
Hotel, dort lagert sie sich nackt in freudiger Erwartung des ehelichen Ficks
aufs Bett, den Arsch bildfüllend in die Kamera gestreckt. – Soviel zu den
Zusammenhängen.
Ach ja, eins noch dazu. Warum schreibt
Rimbaud in seinem heimatlichen Charleville im Hühnerstall? Warum posiert
seine Familie in biblischer Einfalt und Größe vor Ochs und Esel,
oder wie die Tiere heißen, bei der Niederschrift des einzigen Werks, das
er selbst veröffentlichte (Une saison en enfer, Ein Sommer in der Hölle,
1873)? War nicht das Wohngebäude zerstört? War im Ardenner Wald nicht
ein Krieg gewesen? – Ein grandios-zerstörerisches Werk, – gibt’s da wirklich
nichts weiter zu inszenieren als einen zickigen Abgang? Rimbaud zu Verlaine:
»Es ist sinnlos. Die Welt ist zu alt. Es gibt nichts neues.
Alles ist schon gesagt worden«. Und tschüß. Und buh.
Dietrich Kuhlbrodt
Dieser
Text ist zuerst erschienen in: Konkret 07/1996
Total
Eclipse - Die Affäre von Rimbaud und Verlaine
TOTAL
ECLIPSE
Frankreich
/ England - 1995 - 108 min. - Verleih: Senator, Ufa (BMG) (Video) - Erstaufführung:
13.6.1996/2.12.1996 Video/15.1.1998 premiere - Produktionsfirma: FIT/Portman/SFPC/K2
- Produktion:
Jean-Pierre
Ramsey Levi
Regie:
Agnieszka Holland
Buch:
Christopher Hampton
Kamera:
Giorgos Arvanitis
Musik:
Jan A.P. Kaczmarek
Schnitt:
Isabel Lorente
Darsteller:
Leonardo
DiCaprio (Arthur Rimbaud)
David
Thewlis (Paul Verlaine)
Romane
Bohringer (Mathilde Verlaine)
Dominique
Blanc (Isabelle Rimbaud)
Nita
Klein (Rimbauds Mutter)
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