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The
Dust of Time
A
wie Allegorie
Die
historischen Trümmer des 20. Jahrhunderts möchte der griechische Kunstfilmer
Theo Angelopoulos in "The Dust of Time" noch einmal mit großer
Geste zu Form und Darstellung sammeln.
A.
ist der Name eines Filmregisseurs (gespielt von Willem Dafoe), der in einem
Film die Geschichte seiner Familie und damit stellvertretend des vergangenen
Jahrhunderts erzählen will. A wie Angelopoulos. A wie Allegorie. A wie
Aller Anfang. Unter A will Theo Angelopoulos es nicht machen, ins Anfängliche
will er zurück, den Staub der Zeit einfangen in seinen Bildern.
Angelopoulos
und der Staub jedoch, das geht nicht zusammen. Der griechische Regisseur, der
in den siebziger und achtziger Jahren in Meisterwerken des europäischen
Kunstkinos ("Die Wanderschauspieler", "Landschaft im Nebel")
die Zeit in Bilder gefasst hat, war immer ein Mann der sorgfältigen Komposition,
der großen Geste, des Nebels, aber nie und nimmer des Staubs. Selbst der
Nebel, der auch in "The Dust of Time" wieder Auftritte hat, ist bei
ihm von eigener Art. Ein Nebel, der Konkretionen ins Mythische hüllt, der
Nebel als Medium der Darstellung, in dem aber Räume, die Figuren in ihnen
und die Zeit nicht zuletzt, sich, einander durchdringend, auflösen in etwas
Überzeitliches, gelegentlich auch ins Ungefähre. Der Staub aber, als
etwas, das durch die Ritzen dringt, als das gestaltlos Schwebende, das der Kontrolle
stets widerstrebt, der Staub als Prinzip einer Feinheit, die sich der Formgebung
durch wesenhafte Flüchtigkeit entzieht, ist Angelopoulos' Kunst durch und
durch fremd.
Eine
Szene: A. in einem Hotel, in dem eine Verwüstung stattfand. Zertrümmerte
Fernseher treppauf, zertrümmerte Fernseher wie in einer Kunst-Installation
dann auch in einem großen Zimmer verteilt. Die Kamera fokussiert Willem
Dafoe zwischen den kaputten Geräten. Dann fährt sie gravitätisch
zurück. Vom Individuum ausgehend figuriert sich das Bild zum Tableau (Grundbewegung
eines Angelopoulos-Films, auch das Gravitätische ist sehr typisch). Und
weiter noch bewegt sich, von A. wegschwenkend, die Kamera zurück und nach
oben. Auf dem Boden des Raums wird nun das Bild eines Engels sichtbar. Darauf
verharrt dann der Blick, zu sakral anmutender Musik. Auf Bewegungen dieser Art
will Angelopoulos inzwischen vorzugsweise hinaus: Erschleichung des Metaphysischen
und Archetypischen (A wie Archetypik) durch hoch kontrollierte Wirklichkeitsrahmungsarbeit.
Von Staub keine Spur. Wie in Stein, ja Granit, gemeißelt ist bei diesem
Regisseur das Bewegungsbild.
Von
den vielen Arten, nicht im Modus des Realistischen zu arbeiten, hat Angelopoulos
immer - und je später im Werk, desto schlimmer - auf eine der problematischsten
und altmodischsten gesetzt: auf die Allegorie. Das allegorische ist das dem
realistischen am fernsten liegende Prinzip. In dieser Darstellungsform ist nichts
(nur) das, was es scheint. Was man als etwas sieht - als Individuum, als Raum
mit kaputten Fernsehern, als Fototapete an einer Kinderzimmerwand - steht zugleich
für etwas anderes: einen historischen Typus, das Böse neuer Medien,
eine andere Generation (wobei die Fototapete schon seltsam ist: eine Zehnjährige
von heute, die sich Lou Reed, Che Guevara, Jim Morrison und Frank Zappa an die
Wand hängt?). Während der Realist hofft, dass die Wirklichkeit vor
der Kamera im Bild auf naive oder sentimentalische Weise doch jedenfalls festzuhalten
ist, steht der Allegoriker (im Film) im steten Kampf mit dem Realen und seinen
Effekten.
Allegorie
verlangt, weil sie darauf insistiert, zu wissen, was ein jedes bedeutet, nach
Kontrolle: jeder Bewegung, jeder Geste, jeden Dings, das ins Bild rückt.
Und je mehr sich, was das Bild zeigt, der Kontrolle entzieht, desto größer
werden die Gesten, desto faustdicker die Symbole, desto statischer die Tableaus
und desto gravitätischer und forcierter das choreografische Zusammenspiel
von Kamera- und Figurenbewegung. An Filmen, die das Allegorische wollen, wird
am stärksten sichtbar, wie sehr es das filmische Medium Richtung Realismus
zieht. Wie sehr es sich jedenfalls totalen allegorischen Zurichtungsversuchen
widersetzt, die Geschichte und Welt in Bildern zu fassen versuchen, die einzig
und allein ihrem Autor gehören sollen.
In
Wahrheit liegt der Reiz des Allegorischen im Film im Widerstreit, den ein Regisseur
zulässt: dem Widerstreit zwischen dem, was er mit Figuren, Tableaus bedeuten
will und dem, was die Elemente, die sich seiner Kontrolle entziehen, daraus
machen. Diese Elemente sind Wind und Wetter, Darstellerlaunen und -Improvisationen,
spontane Einfälle, von denen keiner weiß, wohin sie führen.
Es gehört zur Allegorie im Kino, will sie gelingen, Reales, das sich der
Bedeutung nicht fügt, es gehört dazu das Eigne des Orts, sei's seine
Stimmung, sei's das Licht, sei es jedwedes je-ne-sais-quoi. Früher gelang
es Angelopoulos durchaus noch, Bedeutung und Schauplatz zur Einheit zu fügen,
und sei es mit Bildgewalt.
(Kurze
Nebenbemerkung, die wieder etwas mit ästhetischen Präferenzen zu tun
hat: Die für meine Begriffe faszinierendsten Allegoriker des Kinos - Jacques
Rivette etwa oder Lav Diaz - gehen noch weiter, indem sie den Kontrast von Allegorie
und Realem justament suchen. Sie sind radikale Allegoriker und radikale Realisten
zugleich. Sie setzen die Evidenzen ihrer Bilder nicht per auktorialem fiat ins
Bild. Sie finden, weil sie wissen, dass sie nicht genau wissen können,
was sie suchen; sie finden, weil ihnen das, was dann wohl die Wirklichkeit gewesen
sein wird, bei ihrer Suche wunderbar in die Quere gerät. Sie lieben den
Staub, der ins Getriebe ihrer Bedeutungsproduktion gerät. Angelopoulos
verabscheut diesen Staub. Michael Haneke ist ein weiterer Staubphobiker. Aber
das ist eine andre Debatte.)
Inzwischen
hat Angelopoulos an nichts als den eigenen, genau ausgetüftelten Spielzügen
mehr Interesse. Mit aller Gewalt muss Jahrhundertgeschichte allegorisch ins
Bild. Dabei aber widerfährt den Geschichten, die er erzählt, den Figuren,
die er auftreten lässt, das, was nach Ansicht der Allegorie-Gegner immer
schon das Problem des Allegorischen war: Die Geschichten werden zu überdeutlichen
Parabeln und die Figuren, schlimmer noch, zu lebenden Toten. Künstlich
wird ihr individuelles Eigenleben behauptet, dabei sind sie nur durch die Gegend
geschobene Statuen, denen Worte wie Fetzen auf Schriftfähnchen aus den
Mündern hängen. Dass manche Szenen in "Dust of Time" direkt
aus einem Zombiefilm stammen könnten - etwa das in einer komplizierten
Kamerafahrt zum Tableau komponierte Bild einer Menschengruppe, die sich in sowjetischer
Kälte zum Empfang der Nachricht von Stalins Tod versammelt - ist deshalb
kein Zufall
Eine
Familienkonstellation ist es, an der Angelopoulos seine Jahrhunderterzählung
exekutiert. A.s Vater Spyros (Michel Piccoli) und seine Mutter Eleni (Irene
Jacob) verlieren sich im Griechenland der fünfziger Jahre. Eleni wird in
ein sibirisches Arbeitslager deportiert und begegnet dort dem Juden Jacob (Bruno
Ganz). In Rückblenden, teils auch Szenen des von A. gedrehten Films, führt
"The Dust of Time" in diese Epoche zurück, lässt aber die
Zeiten absichtsvoll ineinander gleiten. Weitere Schauplätze sind das Berlin
zur Jahrtausendwende und in der Gegenwart, aber auch Rom und nicht zuletzt Griechenland.
Mühsam elegisch, ohne einen überzeugenden Rhythmus zu finden, führt
Angelopoulos auf den verschiedenen Zeitebenen die Figuren zusammen. Dass dabei
Irene Jacob und Bruno Ganz ihre Figuren im Abstand von fünfzig Jahren spielen,
ungeschminkt fast, nur mit immer weißer werdenden Haaren, ist einerseits
konsequent (im Modus des Allegorischen reicht es zu sagen: die Haarfarbe bedeutet
das Alter). Andererseits zeigt der Film den jungen Spyros stets nur von hinten,
aus offenkundiger Angst vor dem Wirklichkeitsbruch, den die Umbehauptung Michel
Piccolis zum Jugendlichen mit sich brächte. Es passt, mit anderen Worten,
in diesem Film eins nicht zum andern. Mit hochfahrenden Gesten zerfällt
er einem vor den Augen.
Mit
"The Dust of Time" liegt Angelopoulos' Ästhetik, pointiert formuliert,
vollends in Trümmern. Es sind dies aber, anders als intendiert und behauptet,
nicht die Trümmer der Geschichte des 20. Jahrhunderts, es ist nicht der
Staub der Zeit, der hier zur Darstellung käme. Zu betrachten sind vielmehr
die Ruinen einer der letzten großen Unternehmungen schwereuropäischer
Kunst. Was sich hier - und das wäre die These: aus ästhetikhistorischen
Gründen - selbst erledigt hat, ist ein Gestus auktorialer Kontrolle von
Werken und Bildern, mit dem der konservativen Moderne bis in die Siebziger und
Achtziger Jahre (und mit Bela Tarrs "Satantango" noch in den Neunzigern)
die Zeit in mit Bedeutungen aufgeladene Bilder zu fassen gelang. Der Anspruch,
den Angelopoulos hier einmal noch formuliert, erweist sich jetzt aber so ermüdend
wie schlagend als objektiver Anachronismus. In "The Dust of Time"
führen bleischwere Schatten und Schemen der Filmgeschichte ein unfrohes
Nachleben. Dieses kraft- und hilflose Endspiel mit ansehen zu müssen, ist
eine Qual.
Ekkehard
Knörer
Dieser
Text ist zuerst erschienen am 28.10.2009 in: www.perlentaucher.de
Zu
diesem Film gibt’s im archiv der filmzentrale mehrere
Texte
The
Dust of Time
I
SKONI TOU CHRONOU
Griechenland/Italien/Deutschland/Russland
2008. R, B: Theo Angelopoulos. P:
Phoebe Economopoulos. K: Andreas Sinanos. Sch: YannisTsitsopoulos, JerömeAghion.
M:
Eleni Karaindrou. A: Alexander Scherer, Konstantin Zagorskij. V: NFP. L: 128
Min. FSK: 12, ff. Da: Willem Dafoe, Bruno Ganz, Michel Piccoli, Irene Jacob,
Christiane Paul, Ostas Apostolidis.
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