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Sweet
Sweetbacks Lied
Melvin
van Peebles sammelte seine ersten Erfahrungen als Regisseur im Frankreich der
1960er Jahre und versuchte anschließend in Amerikas Filmszene Fuß
zu fassen. Zu dieser Zeit, Anfang der 70er Jahre, hatte van Peebles bereits
einige Erfahrungen als Autor, außerdem auch schon im Theater. Mit der
Komödie „Watermelon Man“ inszenierte er dann seinen ersten US-Film für
Columbia Pictures und damit für ein großes Studio – derzeit als einziger
schwarzer Regisseur neben Ossie Davis und Gordon Parks. Zwar thematisierte schon
dieser Film Rassismus, doch in Form einer nur leicht satirischen Komödie
– auch wenn es van Peebles hoch anzurechnen ist, das er sich dem Druck der Produzenten
widersetzte und die Schlusspointe nicht verwässerte. Trotzdem wurde ihm
ein Deal angeboten, der ihm einen Vertrag über drei Filme sichern sollte
und damit ein sorgenfreies Leben. Doch – ohne van Peebles zum Helden zu erklären
– der eigensinnige Filmemacher ging seinen eigenen, steinigen und harten Weg
und inszenierte statt einer Auftragsarbeit den Independent-Film „Sweet Sweetback's
Baadasssss Song“ und trat eine Strömung los, die heute gemeinhin als 'Blaxploitation'
bekannt ist. Tatsache ist, dass der Film Maßstäbe gesetzt hat, eine
völlig neue Ästhetik etablierte und als erster Vertreter des Black
Cinema gelten darf.
Die
Zuordnung zum Blaxploitation-Genre wirft in vielerlei Hinsicht ein falsches
Bild auf das mit Herzblut inszenierte Risikoprojekt. Zum einen handelt es sich
streng genommen nicht einmal um den ersten Vertreter dieser heute kultisch verehrten
Gattung – diese Rolle fällt vielmehr dem humoristischen Detektiv-Krimi
„Cotton comes to Harlem“ von Ossie Davis zu, der schon vor „Sweetback“ alle
Archetypen des Blaxploitation vereinte und der wahrscheinlich echte Pionier
ist. Viel wichtiger ist jedoch eben, dass „Sweetback“ eigentlich gar kein Blaxploiter
ist. Bei van Peebles werden die thematisierten Probleme keineswegs ausgeschlachtet
– sein Film ist voller unbändiger, echter Wut auf ein rassistisches System
und darüber hinaus ästhetisch wohl durchdacht und mit einem hohen
Kunstanspruch versehen. Erstmals war da ein Film von Schwarzen für Schwarze
– so erscheint in den Credits „The Black Community“ als Darstellerangabe. Sämtliche
Szenen wurden an Originalschauplätzen mit Laiendarstellern gedreht, die
Dialoge sind direkt und im einfachen Stil der Gossensprache gehalten, die Kamera
größtenteils verwackelt und der Schnitt stotternd. Die mangelnden
Zugeständnisse an die Sehgewohnheiten des Massenpublikums machen es dem
Film bis heute schwer, eine größere Verbreitung zu finden. Im Gegensatz
zu seinen etlichen Nachfolgern, in welchen die Intention von „Sweetback“ nicht
selten bis zur Unkenntlichkeit verzerrt wird, findet dieser zwar rückblickend
Lob und Anerkennung bei der Filmkritik, ein größeres Publikum bleibt
ihm aber aufgrund seiner Sperrigkeit versagt. Ein ungesehener Klassiker also,
der eine Entdeckung aber unbedingt lohnt, wagt man eine Auseinandersetzung mit
der abenteuerlichen Inszenierung und der nur schwer erkennbaren Rahmenhandlung.
Bereits
die erste Szene, die kurze Pre-Title-Sequenz macht deutlich, dass man es hier
mit einer anderen Art Kino zu tun hat. Eine Reihe schwarzer Frauen beobachtet
neugierig einen kleinen Jungen, ausgemergelt und schmutzig, wie er sich nach
offensichtlich langer Zeit herzhaft satt ist. Eine dieser Damen entführt
den scheuen Teenager in ihr Zimmer und macht ihn zum Mann – hier erhält
er seinen Namen und damit seine Identität. Der erste Sex wird zum Initiationsritus,
der junge Sweetback wird in eine Welt eingeführt, in der Prostitution und
Sexismus herrschen und in der sich schwarze Männer in erster Linie über
sexuelle Klischees definieren. Sweetback wird hier verkörpert von einem
gerade 13 Jahre alten Mario van Peebles, dem Sohn des Regisseurs. Dieses pikante
Detail macht aus der besagten Sex-Szene einen denkbar kontroversen Opener, Mario
van Peebles macht dabei einen verschüchterten und linkischen Eindruck,
da van Peebles seinen eigenen Sohn dazu nötigte, diese Nacktszene zu spielen.
Überraschend ist die detaillierte Darstellung: Natürlich handelt es
sich um simulierten Sex, doch schon die Tatsache, dass eine erwachsene Frau
und ein 13-jähriger Junge gemeinsam nackt vor der Kamera spielen, hätte
einen handfesten Skandal nach sich ziehen können. Was in diesem Fall wohl
nur einer unter vielen gewesen wäre.
Zu
Sweetbacks Mannwerdung erklingen Gospel-Gesänge aus dem Off. Als der Vorspann
einsetzt, wendet sich der Soundtrack dem Funk von Earth, Wind & Fire zu,
die mit dem Score gleichzeitig auch ihr erstes Album produzierten. Sweetback
erweist sich schon bei seiner ersten Nummer als wahrer König im Bett und
wird während des Vorspanns und innerhalb des gleichen Aktes schließlich
als erwachsener Mann gezeigt. Sweetback entwächst mit dem Erwachen seiner
Sexualität seiner Kindheit – Melvin van Peebles spielt bewusst mit den
Klischees des überpotenten Afroamerikaners und setzt diese zunächst
ganz ins Zentrum der Aufmerksamkeit. So zeigt der Film nach den Credits eine
bizarre Sex-Show, deren Hauptdarsteller Sweetback ist. Vor einem johlenden Publikum,
bestehend aus Weißen und Schwarzen, besorgt er es einer Frau und wird
wie eine Attraktion (quasi wie ein guter Zuchtbulle) gefeiert. Als Waisenjunge
in das Hurenhaus gekommen, wurde Sweetback offensichtlich von den Prostituierten
initiiert und prostituiert sich nun selbst. Ein politisches Bewusstsein existiert
für ihn nicht und überhaupt spricht der Held in den ersten Szenen
kein einziges Wort (im gesamten Film übrigens keine zehn vollständigen
Sätze). Wortkarg ergibt sich Sweetback auch der Polizei, die ihn verhaften
will. Für einen Mordfall an einem Schwarzen muss ein Sündenbock her,
der anschließend wieder entlassen werden soll – sowohl mit seiner Arbeit
als auch dieser Gefälligkeit dient Sweetback (wenn auch unbewusst) dem
tyrannischen System, in dem rassistische Diskriminierung ein Regelfall ist.
Auf der Fahrt zum Polizeirevier ändert sich jedoch all dies schlagartig
und unvorhergesehen.
Auf
jener Fahrt kommt eine Verhaftung dazwischen, ein Mitglied der Black Panther
wird zu Sweetback in den Streifenwagen gedrängt – für diese einfachen
Vorgänge lässt sich der Film enorme Zeit, lässt seinen lässigen
Score erklingen und zeigt in den Impressionen der nächtlichen Großstadt
seine Verwandtschaft zum avantgardistischen Kino. Die simple Handlung steht
nicht im Mittelpunkt und auch äußere Spannung bezieht van Peebles
nicht aus den Oberflächlichkeiten wie dem folgenden impulsiven Polizistenmord
Sweetbacks. Als er mit ansehen muss, wie der andere Gefangene von den Polizisten
brutal zusammen geschlagen wird, brennt eine Sicherung durch und so begeht er
einen Doppelmord aus dem Affekt. Mit diesem Leinwand-Mord schüttelt Sweetback
hunderte Jahre Unterdrückung, Sklaverei und Bevormundung von sich ab und
begeht so den wohl bedeutendsten Befreiungsschlag für das afroamerikanische
Kino. Hier wird aus dem Hengst Sweetback ein „Badass Nigger“, ein ganz neuer
Charakter-Typus: Ein Schwarzer, der sich nichts gefallen lässt, auf Gewalt
kompromisslos mit Gegengewalt reagiert und sich für nichts entschuldigt
- anders als seine Nachfolger Shaft, Superfly und all die anderen ist Sweetback
dabei aber nicht auf cool getrimmt. Melvin van Peebles spielt seine Hauptfigur
selbst, was sich als gute Entscheidung erweist – die soliden darstellerischen
Fähigkeiten des Regisseurs reichen für die Rolle allemal aus, da diese
ohnehin keinen Marlon Brando benötigt. Wichtig ist die physische Erscheinung
des Hauptdarstellers: In körperlicher Topform, stolz, gut aussehend, gepflegt
und in einem schwarzen Western-Outfit gekleidet, gibt van Peebles der Black
Community nicht nur eine Stimme sondern auch ein Gesicht.
In
der Gestaltung des Films drückt sich van Peebles' Erfahrung in der französischen
Kunst-Szene aus: Er arbeitet mit Verfremdungen, grellen Farbfiltern, verwackelter
Kameraführung und Unschärfen, dazu ist fast jede Szene unter- oder
überbelichtet. Dieser Bruch mit dem Mainstream-Kino hat nicht selten experimentellen
Charakter, vor allem, da der Film kaum einen narrativen Faden verfolgt. Leitmotiv
ist hier die Flucht, der Ausbruch aus dem System – so zeigen viele Sequenzen
Sweetback beim Laufen, ohne dass sie weitere erzählerische Funktionen erfüllen
würden. Van Peebles propagiert eine Gemeinsamkeit, innerhalb der Black
Community hilft man sich; selbstverständlich unter „Brüdern“. Die
Flucht wird musikalisch untermalt von treibenden, aber niemals gehetzten Songs
meist instrumentaler Natur – passend zur Stimmung Sweetbacks, der nie den Eindruck
eines Flüchtigen macht sondern selbstbewusst seine trockene Lakonie beibehält.
Später wird er wieder verhaftet und misshandelt, bevor er aber endgültig
abgeführt werden kann, helfen die Bürger des Ghettos ihm und zünden
den Streifenwagen an. Diese Sequenz ist geeignet, um die kreativen Kniffe zu
betonen, die van Peebles als versierten Independent-Filmer ausweisen: Ungeplant
erschien die Feuerwehr am Drehort, was der Regisseur sofort für sich zu
nutzen wusste. Sofort gab er Anweisungen, den Einsatz zu filmen und so viele
gute Bilder wie möglich zu bekommen, bevor der Trouble vorüber war.
Außerordentlich geschickt sind die wenigen Aufnahmen der Feuerwehrleute
und -Fahrzeuge montiert, sodass der Eindruck einer aufwändig arrangierten
Action-Szene entsteht. Anhand solch beeindruckender Einfälle erhält
das sperrige Werk doch wiederum einen ganz eigenen Unterhaltungswert und einen
funktionellen Rhythmus.
Obwohl
„Sweetback“ mannigfaltige Probleme und soziale Missstände aufzeigt und
direkt anprangert, ist es kein streng realistisches Kino. Zu artifiziell die
Inszenierung, zu bewusst die beabsichtigte Vereinfachung. Van Peebles inszeniert
auch kein intellektuelles Polit-Kino, will seinen Film auch für einfache
und weniger gebildete Menschen zugänglich machen. Dass ihm dies gelingt,
verdankt er der echten Wut, mit der sein Film aus dem Bauch heraus gemacht ist,
woraus wohl auch der raue Ton resultiert. Das Frauenbild ist weitgehend beschränkt
auf Prostituierte, von der misogynen Darstellung späterer Blaxploiter ist
dies aber noch meilenweit entfernt. Im Gegenteil, van Peebles zeigt die Frau
zwar als Ware, doch nicht um sie bloßzustellen sondern um die unwürdigen
Verhältnisse in den Ghettos aufzuzeigen, in denen vielen jungen Frauen
keine andere Wahl bleibt, als ihren Körper zu verkaufen und sich damit
selbst zur Ware zu machen. Sweetbacks politisches Bewusstsein und Engagement
erwächst ganz selbstverständlich aus den einzelnen Stationen seiner
Odyssee. Zunehmend wird er mit Diskriminierung konfrontiert und er beginnt,
mit den Ideen der Black Panther zu sympathisieren. Diese erklärten „Sweetback“
später schließlich sogar zum Pflichtfilm für jedes ihrer Mitglieder
und halfen damit entscheidend bei der schwierigen Vermarktung des Films.
Letztendlich
durchläuft der Titelheld eine Abfolge des immer gleichen Szenarios: Sweetback
wird gehetzt, gefangen und gedemütigt – nur um erneut zu fliehen. Nicht
umsonst erinnert die finale Hatz, bei der die Polizei mit scharfen Hunden arbeitet,
an die Jagd auf einen entflohenen Sklaven. Zum Schluss entkommt Sweetback über
die Grenze, lässt seine Verfolger hinter sich und steht als Sieger dar
– er stirbt nicht als Märtyrer sondern bleibt unter uns. Die Entscheidung,
seinen moralisch ambivalenten Anti-Helden überleben zu lassen, ist schließlich
die endgültige Revolution. Zwar lässt sich sagen, das „Sweetback“
reichlich oberflächlich und reißerisch mit seinem Thema umgeht. Unbestreitbar
ist jedoch die Ernsthaftigkeit, mit der van Peebles seinen Film realisierte
und vor allem die Notwendigkeit einer Vereinfachung. Eine unterdrückte
Stimme muss manchmal zu perfiden Mitteln greifen, um gehört zu werden –
in dieser Hinsicht mag man den Film sogar als höchst manipulativ empfinden.
Dennoch bietet er unterm Strich einige umwerfend montierte Sequenzen und kann
als Geburtsstunde einer echten afroamerikanischen Ästhetik bezeichnet werden.
Leider waren nur wenige Blaxploitation-Filme an ähnlichen Schwerpunkten
interessiert – dazu zählen unter anderem „The Education of Sonny Carson“
und „Cornbread, Earl and me“. Doch keiner dieser, mitunter durchaus beachtlichen,
Nachzieher sollte eine ähnliche Intensität erzeugen wie „Sweetback“
- das unverfälschte Original.
Dieser Text ist zuerst erschienen in: Hard Sensations
Marco
Siedelmann
Sweet
Sweetbacks Lied
(Sweet
Sweetback's Baadasssss Song)
USA
1971
Länge:
93 Minuten
Regie:
Melvin Van Peebles
Drehbuch:
Melvin Van Peebles
Produktion:
Jerry Gross, Melvin Van Peebles
Musik:
Earth, Wind & Fire, Melvin Van Peebles
Kamera:
Robert Maxwell
Schnitt:
Melvin Van Peebles
Besetzung:
Simon
Chuckster: Beetle
Melvin
Van Peebles: Sweetback
Hubert
Scales: Mu-Mu
John
Dullaghan: Kommissar
John
Amos: Biker
Mario
Van Peebles: Junger Sweetback
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