zur startseite
zum archiv
zu den essays
Sohnemänner
Ingo Haebs Film beginnt mit einer Entführung der anderen Art. Eine Frau
verschwindet. Um seiner geliebten Oma die unmenschlichen Zustände in einem
Hamburger Altersheim zu ersparen, ist ihrem Enkel kein Opfer zu groß.
Unbemerkt vom überforderten Personal und gegen den Willen des Vaters nimmt
er sie auf seine Berghütte im Schwarzwald mit. Die mit einer Seilbahn erreichbare
Idylle war zwar eigentlich als Sanatoriumsersatz für seinen an Parkinson
erkrankten Lebenspartner gedacht, aber das schwule Pärchen bringt es nicht
übers Herz, die alte Dame ihrem Schicksal zu überlassen, zumal sie
es war, die nach dem Unfalltod der Schwiegertochter ihren Enkel erzogen hatte.
In dem liebevoll in Stand gesetzten Holzhaus ist alles auf die Ankunft der Seniorin
vorbereitet, von einer speziellen Sitzbadewanne bis zur polnischen Pflegerin.
Nur der Besuch des empörten Vaters, der für die Abschiebung verantwortlich
war und im Schlepptau seine Geliebte samt Nachwuchs mitbringt, sorgt für
Unruhe, was auch daran liegen mag, dass er mit seinem verkorksten (oder doch
nur abweisend norddeutschen) Gemüt und der in die Jahre gekommenen Rocker-Attitüde
das Gegenteil seines gepflegten und gebildeten Filius verkörpert. Bis auf
ihre genetische Verwandtschaft und eine Neigung zur ausgeprägten Charakterstärke
verbindet die beiden rein gar nichts – beste Ausgangsbasis also für eine
tragikomische Familienzusammenführung.
„Sohnemänner“ erzählt eine jener Geschichten, die so unvermeidlich
sind wie das Leben selbst. Zurückweisungen hinterlassen noch Jahrzehnte
später Spuren und sorgen für genau jene Defizite, die den lockeren
Szenenreigen vorantreiben. Ohne aufgesetzte Hektik, aber mit reichlich lakonischem
Humor und viel Zeit für die Figuren schickt Haeb das ungleiche Vater-Sohn-Gespann
durch einen Hürdenlauf aus aufgestauten Vorwürfen, männlichem
Konkurrenzdenken und vergeblichen Ausweichstrategien. Der eigentliche Streitpunkt
rund um die Sorgen der sich zunehmend langweilenden Oma gerät dabei gänzlich
aus den Augen. Dass sie seit Wochen über Bauchschmerzen klagt, verbucht
das Pflege-Duo unter altersbedingter Überempfindlichkeit. Trotz des in
Ansätzen befreienden Schlagabtauschs bringt erst der unerwartete Einbruch
des Todes die Spannungen zum Siedepunkt und die Streithähne beim grotesk
mechanisch abgewickelten Begräbnis wieder zur Besinnung. Keine Regie-Allüren,
keine Pointensucht, dafür aber Dialoge, die mit Menschenkenntnis aufwarten:
Dank des durchdachten Drehbuchs, das selbst in den Nebensträngen von verpassten
Gelegenheiten der Annäherung erzählt, und eines wunderbar markanten
Ensembles ringt Haeb dem klassischen Konflikt einige anrührende Szenen
ab. Entwaffnend naturalistisch fotografiert, überzeugt „Sohnemänner“
als einer der besten Heimatfilme seit langem. Problemzonen wie die prekäre
Altenpflege fließen ebenso fast beiläufig ein wie neue gesellschaftliche
Standards des Zusammenlebens, von der Patchwork-Familie bis zum gleichgeschlechtlichen
Beziehungsalltag. Nicht zu vergessen die vielen Windräder und Mountainbike-Raser,
die der Natur ihre Ruhe rauben. Ein leichtes Kino der Wahrhaftigkeit, dessen
Fortsetzung nichts im Wege stehen sollte.
Alexandra Wach
Dieser Text ist zuerst erschienen in: film Dienst
Sohnemänner
Deutschland 2011 - Regie: Ingo Haeb - Darsteller: Peter Franke, Marc Zwinz,
Renate Delfs, Bernd Schütz, Vera Teltz, Leon Köhler, Klaus Herm, Cornelia
Dörr, Sarah Kempin - FSK: ab 6 - Länge: 103 min. - Start: 19.4.2012
zur startseite
zum archiv
zu den essays