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The Road
Land des Todes und der Dürre
»Manche Männer können den Arm um eine
weinende Frau legen. Für ihn war das nie selbstverständlich gewesen.« So heißt es am Ende von Cormack McCarthys Roman »Kein
Land für alte Männer«. Und ungefähr so beginnt »The
Road«, mit der Unfähigkeit eines Mannes, seinen Arm um seine verzweifelte
Frau zu legen. Dann geht sie hinaus in eine untergegangene Welt, in der nur
noch Menschenfresser unterwegs sind. Sie lässt den Mann und ihren kleinen
Sohn zurück, ohne sich von ihm zu verabschieden.
Das Genre der postapokalyptischen Heldenreise, wie es
die Brüder Hughes gerade wieder mit ihrem »Book of Eli« in alttestamentarischer Wüstheit
zelebrierten, scheint ja einigermaßen auserzählt, im Format des Trash
Movies wie der literarischen Kunst (bei Paul Auster zum Beispiel in »Land
der letzten Dinge«). Aber Cormack McCarthy macht in seinem Roman »The
Road« mit diesem Genre das, was er in seinen beinhart poetischen »All
the Pretty Horses« oder »No Country for Old Men«
mit dem Neowestern macht, er nimmt es noch einmal fundamental ernst.
John Hilcoat, der in dem von
Nick Cave geschriebenen australischen Western »The Proposition«
schon einmal das Ende der Zivilisation erklärte, folgt ihm dabei aufs Bild;
selbst die Coen-Brüder wollten in ihrer grandiosen Verfilmung von
»No Country for Old Men«
dem Autor nicht ganz so tief in die Verzweiflung folgen. Und wie in »The Proposition«
überzeugt der Regisseur auch hier schon im Umgang mit Farben und Licht,
bzw. mit dem Verschwinden von beidem. Wie dunkel kann die Welt sein, um noch
den Menschen in ihr zu erkennen?
Durch ein Land des Todes und der Dürre, in dem essbare
Tiere und Pflanzen nicht mehr existieren, wandern Vater und Sohn, von vager
Hoffnung getrieben, nach Süden. Kannibalistische
Horden durchstreifen das Land, der Sohn nennt sie die »bad guys«. Und worum es geht, außer um das pure Überleben,
die Suche nach Essbarem in den Trümmern, ist es, auf der Seite der Guten
zu bleiben, vielleicht als einzige (sieht man von Ely ab, dem Anti-Propheten,
dem auch diese beiden begegnen: »Wenn alle weg sind, wird alles besser«).
Die größte Gefahr für die Guten ist der
Selbstmord. Am Beginn hatte die Familie nur zwei Kugeln im Revolver, bald darauf
hat der Vater – Viggo Mortensen, so präzis und reduziert wie es nur geht: der Mensch
im Rohzustand – von den beiden eine gebraucht, um den Sohn zu retten. Dann geraten
sie in ein Haus, das von den Kannibalen besetzt ist, die hier ihre Opfer quälen
bis zu ihrem Tod. Beinahe hätte der Vater die letzte Kugel benutzt, um
dem Sohn diese Folter zu ersparen. Aber noch einmal gelingt die Flucht.
Unterwegs begegneten sie auch einem alten Mann namens
Ely, und es ist der Sohn, der den Vater dazu bringt, ihm zu essen zu geben,
sogar Begleitung anzubieten. Elias war der Prophet der Besitzlosen. Und der
Vater und der Sohn auf ihrem Weg durch die verdorrte Welt der Kannibalen erinnern
nur zu sehr an den Menschenmüll des späten Kapitalismus, an Flüchtlinge,
Obdachlose, Verlierer. Elias oder Elija erschien an einer
ökonomischen Zeitenwende, da das Land des Volkes Israels aufgeteilt wurde
unter den Starken und Mächtigen und da die Besitzlosen ins Elend zu fallen
drohten. Was konnte er anderes verkündigen, als dass den Mächtigen
der Landbesitz nichts nutzen würde? Im Buch der Könige steht geschrieben,
dass Elija eine Dürre für das ganze Land vorhersah. Es
war zugleich eine Schmähung des Gottes Baal, und seines Kults der Fruchtbarkeit
und des Wachstums, der den Nordteil Israels beherrschte. Während der Dürre
und während König Ahab ihm nach dem Leben trachtet, wandert er nach
Süden, und nach vielen Kämpfen entführte ihn ein Feuerwagen in
den Himmel. Und Elias wird wiederkommen, als der letzte Prophet, wenn die Zeit
gekommen ist, und die Menschen ihre letzte Chance zur Umkehr erhalten. Oder
auch nicht.
Nicht, dass sich McCarthy oder Hilcoat dieser
biblischen Gestalt als Matrix bedienen würden; in »The Road«
bleiben solche Bezüge in einem Zustand der dunklen Ahnungen. Hilcoat lässt uns beim Zuschauen sehr viel Raum, manches bleibt angedeutet
(warum fielen die Geburt des Sohnes und der Beginn der Apokalypse zusammen?),
manche Dialoge sind von schöner, unausdeutbarer Poesie. Wie
bei den Hughes-Brüdern geht es auch in »The Road« in der Welt
nach dem Untergang der Menschenkultur um eine metaphysische Ebene, aber in der
Form wie im Inhalt ist hier das genaue Gegenteil zu sehen. Kein gewaltkrankes
Sendungsbewusstsein. Keine Selbstgerechtigkeit. Auch keine klammheimliche Sehnsucht
nach gerechter Bestrafung. Nur eine Frage, die aktueller nicht sein könnte:
»Are we still the good guys?«
Note 3
Georg Seeßlen
Dieser Text ist zuerst erschienen in: www.strandgut.de
The Road
USA 2009 - Regie: John Hillcoat -
Darsteller: Viggo Mortensen, Kodi Smit-McPhee, Robert Duvall, Charlize Theron, Guy
Pearce, Michael Kenneth Williams, Buddy Sosthand, Garret Dillahunt, Bob Jennings - FSK: ab 16 - Länge: 111 min. - Start: 7.10.2010
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