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Die
Queen
Die
Königin lernt fühlen
Eine
böse und sehr britische Farce: In "Die Queen" zeigt Stephen Frears
das Königsdrama um den Tod von Lady Diana und eine frühe Sternstunde
des jungen Tony Blair - als Retter der Monarchie.
So
ganz zu trauen ist diesem Film in keiner Sekunde. Stephen Frears, der einst
mit hinreißenden Arbeiten gegen Maggie Thatcher zu Felde zog, hat seine
Gegner verloren - und damit ein Koordinatensystem, in dem er sich als Filmemacher
eine Zeitlang sicher und kreativ bewegen konnte. Seinem neuen Film "The
Queen" stellt er ein Shakespeare-Zitat voran - "Schwer ruht das Haupt,
das eine Krone drückt ..."
"Heinrich
IV", das scheint ein Königsdrama anzukündigen. Doch wir leben
in anderen Zeiten - eine Tragödie wird hier zum Auslöser einer bösen,
sehr britischen und höchst ambivalenten Farce. Die auch an jenes Hollywood-Genre
erinnert, in dem königliche Majestäten aus der Alten Welt, gefangen
in ihren uralten Traditionen, auf Augenhöhe normalen Sterblichen begegnen,
und nicht selten sich auch verlieben.
Die
Farce beginnt bei Stephen Frears mit der Wahl Tony Blairs zum Premierminister
im Jahr 1997, und dem Bedauern der Königin, dass sie, im Gegensatz zu ihrem
Volk, nicht wählen darf. Sie liegt noch im Bett, als sie von Blairs Sieg
erfährt. Stephen Frears und sein Autor Peter Morgan suchen immer wieder
diese private Perspektive auf die Royals. Elizabeth II im Nachthemd, von Helen
Mirren mit unglaublicher Präzision verkörpert - diese vermeintlich
intimen Blicke wirken lange ein wenig frech, respektlos und damit unterschwellig
ironisch, dazu die bissigen und komischen Dialoge. "Kinder", sagt
die Queen zu Blair, "sind ein Segen!" Ausgerechnet sie. Aber dann
gibt der Film der Monarchin die Chance, sich den Respekt neu zu verdienen. Rund
vier Monate nach dem Amtsantritt Blairs, den die Queen absegnen musste, kommt
Lady Diana ums Leben. Mit den Ursachen des tödlichen Unfalls hält
sich Frears nicht lange auf, er zeigt die Horde Paparazzi, die in Paris der
Limousine hinterherjagen, vor dem Crash kommt der Schnitt. Das Königsdrama
hätte damit seine tote Prinzessin - aber sie ist geschieden, kein König
in Sichtweite.
Also
tritt Blair als Ersatzmann an. Stattete der Premier der Queen seinen Antrittsbesuch
noch voller Nervosität und ein wenig linkisch ab, so sieht er nun die Chance,
sich zu profilieren und beweist dabei einen genialen Instinkt. Er weiß,
dass die Tote vom Volk weit mehr geschätzt wurde als von den Royals - das
Etikett "The People’s Princess" stammt wohl von Blairs engstem Berater
Alastair Campbell. Während die königliche Familie weiterhin Urlaub
macht auf Schloss Balmoral in Schottland und sich in Schweigen hüllt, weiß
man in der Labour-Zentrale, was jetzt opportun ist.
Die
Nr. 10 der Downing Street
"The
Queen" erzählt von den Widersprüchen zwischen dem, was menschlich
richtig, politisch notwendig und der Tradition folgend angemessen wäre.
Blair, der beim häuslichen Frühstück ein Soccer-Trikot mit der
Nummer 10, dem Zeichen des Spielmachers trägt, ahnt sofort, welchen Anteil
die Öffentlichkeit am Schicksal Dianas nehmen wird. Prinz Charles, der
Schwächling, bringt immerhin genug Zivilcourage auf, um die Tote - "die
Mutter meiner Kinder" - nach Hause zu holen. Doch während weltweit
die Prominenz am Tod der Prinzessin Anteil nimmt, sitzt der gefühlsarme
Prinzgemahl Philip auf seinem Schloss und redet von der Jagd auf Rotwild. Queen
Mum genießt ungerührt ihre Drinks. Die Queen betont, dass Lady Diana
seit der Scheidung nicht mehr zur königlichen Familie gehöre. Blair
dagegen setzt sich öffentlich für ein Staatsbegräbnis ein. Je
mehr sein Ansehen steigt, desto kritischer reagiert das Volk auf das Schweigen
der Royals, die sich weigern, am Buckingham Palace eine Fahne auf halbmast zu
setzen. Der königlichen Familie und ihrem Oberhaupt sind die Untertanen
so fremd geworden, dass eine Krise der Monarchie kaum noch aufzuhalten ist.
Ausgerechnet der Labour-Premier, dessen Frau die Royals voller Zorn als "schnorrende,
emotional verkümmerte Deppen" bezeichnet, wird zum Retter der Monarchie
- er schafft es, die Haltung der Königin aufzuweichen und sie zur Rückkehr
nach London zu überreden.
Liz
lässt abblitzen
Der
Film von Stephen Frears und Peter Morgan, die vor "The Queen" gemeinsam
ein Dokudrama über Blair und seinen unglücklichen Labour-Rivalen Gordon
Brown realisiert hatten, verdankt seine Glaubwürdigkeit den Schauspielern
und den hinreißenden Dialogen ebenso wie den Recherchen - und bleibt noch
in der Fiktion spannender und aufschlussreicher als alle Insider-Berichte der
offiziell akkreditierten Hofschranzen.
Einmal
ist die Queen allein unterwegs im schottischen Hochland; ihr Landrover ist in
einem Flussbett steckengeblieben, sie wartet auf Hilfe. Einen Moment lang wirkt
sie sehr allein und verloren; der Kamera hat sie den Rücken zugewendet.
Sie erinnert an Caspar David Friedrichs einsamen Wanderer. Die Königin
scheint zu weinen. Wie ein Fabelwesen taucht ein kapitaler Hirsch auf, hinter
dem der Prinzgemahl und seine Jäger her sind. Elizabeth, der Jagdszenen
längst überdrüssig, verscheucht das Tier, um es vor den Flinten
ihrer Familie zu retten. Wenigstens für einen Moment ist sie frei vom Verdacht
der Gefühlskälte. Später wird der Hirsch doch noch erlegt, und
die Queen empfindet Mitleid mit dem toten Tier - ganz anders hatte sie auf die
Jagd wenige Tage zuvor reagiert, die Paparazzi und ihr Opfer Diana.
Monate
nach Dianas Begräbnis steht Blair wieder vor seiner Königin. Der Premier
tritt jetzt selbstbewusster auf und fühlt sich als Retter der Monarchie.
Als er ein wenig Dank und Nähe einfordern will, lässt ihn Elizabeth
II abblitzen: "Was können wir von Ihrer Partei erwarten?" Heute,
nicht einmal zehn Jahre später, steht der Premier vor dem Ende seiner politischen
Karriere, die Queen hat ihn überdauert. Und der Rückblick auf die
Ereignisse des Sommers 1997, mit Blairs Aufstieg und der Tragödie der Prinzessin
von Wales, erinnert an ein deutsches Königsdrama, an Schillers "Maria
Stuart" und Burleighs bitteren Vorwurf: "Der starb Euch sehr gelegen..."
Hans
Günther Pflaum
Dieser
Text ist zuerst erschienen in der: Süddeutschen Zeitung
Die
Queen
Großbritannien
/ Frankreich / Italien 2006 - Originaltitel: The Queen - Regie: Stephen Frears
- Buch: Peter Morgan - Kamera: Affonso Beato - Schnitt: Lucia Zucchetti - Musik:
Alexandre Desplat. - Darsteller: Helen Mirren, James Cromwell, Michael Sheen,
Alex Jennings - Prädikat: besonders wertvoll - FSK: ohne Altersbeschränkung
- Länge: 104 min. - Start: 11.1.2007
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