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One
Way Boogie Woogie / 27 Years Later
Überhaupt
die Tonspur!
Gewöhnlich stellt James Benning
seine Kamera an einem Punkt auf und nimmt dann ohne jeden Schnitt auf, was vor
der Linse passiert. So machte er es auch 1977 und 2004 in seiner Heimatstadt
Milwaukee
Es ist das Jahr 1977. Der Filmemacher
James Benning stellt in seiner Geburtsstadt Milwaukee rund sechzigmal seine
Kamera an einen Punkt und lässt sie dort stehen. Das ist seine Methode:
16-Millimeter-Kamera nehmen, hinstellen, stehen lassen, ohne Schnitt aufnehmen,
was geschieht. Seit seinem ersten Film bis heute macht er das in der Regel so.
Zuletzt hat er etwa Seen gefilmt ("Thirteen
Lakes"), hat er den
Himmel gefilmt ("Ten
Skies") und hat er
Züge gefilmt, die durchs Bild fahren ("RR"). Die einzelnen Einstellungen dieser
jüngeren Filme sind meist recht lang, acht, neun, zehn Minuten. Es tut
sich äußerlich wenig. Der Blick und der Geist werden neu justiert
auf das Wenige, das sich im Bildausschnitt tut.
"One Way Boogie Woogie", der
Film von 1977, folgt derselben prinzipiellen Methode. Der Effekt jedoch ist
ein anderer. Die einzelnen Einstellungen sind ziemlich kurz, jeweils rund eine
Minute. Zwar gibt es eine Sequenz, in der ein Schornstein raucht, weiter nichts.
In der eine Leuchtreklame für Dad's Root Beer wirbt, weiter nichts. In
der die amerikanische Flagge weht, weiter nichts. Meist aber passiert etwas.
Ein Mann, der einen Hund Gassi führt, geht von links nach rechts durch
das Bild. Und taucht, kaum ist er aus dem Ausschnitt verschwunden, von links
erneut wieder auf. Dasselbe ein weiteres Mal.
Oder: Zwei Frauen vor einer Tür, die eine raucht, die andere trinkt. Synchron
führen sie, wenn auf der Tonspur ein Signal ertönt, Zigarette wie
Flasche zum Mund.
Das Milwaukee des Jahres 1977 war eine
Stadt im Niedergang. Man sieht Heruntergekommenes, Verfallendes, Vernachlässigtes.
Das fängt Benning in seinen oft grandios komponierten Ausschnitten ein.
Er setzt die Stadt aber meist in Beziehung zu einem Geschehen. Das kann rätselhaft
sein oder alltäglich. Eine junge Frau geht durchs Bild, eine Menge Orangen
im Arm, ein paar davon purzeln zu Boden. Oder ein Kinderwagen, der als Anspielung
auf Eisensteins "Panzerkreuzer Potemkin" nicht die Treppe von Odessa,
sondern eine leicht abschüssige Straße in Milwaukee herunterrollt.
Dazu wird auf der Tonspur Karl Marx zitiert. Überhaupt die Tonspur. Auch
da ist einiges los, und keineswegs nur der in den Straßen der Stadt aufgenommene
Originalton. So bekommt man den titelgebenden Boogie Woogie zum Rauch aus dem
Schornstein zu hören. Unter die stolz wehende US-Flagge ist Text gelegt.
Er ist deutsch, aber mit amerikanischem Akzent, der so heftig ist, dass man
kaum etwas versteht.
Im Jahr 2004, also genau 27 Jahre später,
kehrte James Benning in seine Geburtsstadt zurück. Wieder stellte er seine
16-Millimeter-Kamera hin, ließ sie stehen und nahm ohne Schnitt auf, was
geschah. Nach Möglichkeit sogar an den Orten, an denen die Kamera bereits
im Jahr 1977 stand. Es treten, so sie nicht verschwunden oder gestorben sind,
sogar genau dieselben Leute in den einzelnen Einstellungen wieder auf, die bereits
im ursprünglichen Film zu sehen gewesen waren. Sie tun auch dasselbe, oder
jedenfalls ungefähr.
In diesem absichtsvoll herbeigeführten
Ungefähr liegt schon die erste von vielen erstaunlichen Differenzen zwischen
den beiden Filmen, die nun, mit einem grünen Trennbild dazwischen, hintereinander
wegprojiziert werden. Der Mann zum Beispiel mit dem Hund ist heute, was zu erwarten
war, alt und grau. Statt eines Hunds führt er nun aber ein großes
schwarzes Pferd an der Leine, wiederum dreimal von links nach rechts durch das
Bild. Die beiden Frauen, in ihren Vierzigern jetzt, stehen wieder vor der Tür,
trinken und rauchen nun aber asynchron. Die US-Flagge ist zerschlissen. Vieles,
sehr vieles existiert einfach nicht mehr. Alte Häuser sind abgerissen,
neue wurden gebaut.
Und auch die Bilder selbst sehen anders
aus. Zwar insistiert Benning auf dem klassischen Experimentalfilmer-16-Millimeter-Material.
Aber die Farben sind weniger leuchtend, und viel feinkörniger ist das Bild.
Erneut sind viele der Einstellungen ganz fabelhaft komponiert: Benning hat ein
phänomenales Auge für Bewegungsverläufe, fürs horizontale
und vertikale Verstreben der Stadtlandschaft, für das Ziehen von Rahmen
und für das Widerspiel von Form und Aktion. Aber nicht nur der Raum wird
streng und zugleich offen strukturiert, sondern auch die Zeit. Nicht nur geht
es um ihr Vergehen im starr stehenden Bild und um die Rhythmisierung der Wahrnehmung
des Betrachters.
Mit der variierten Wiederholung nach fast
dreißig Jahren wird sich der erste Film selbst historisch. Geschichte
präsentiert er als das, was zwischen den Bildern von damals und heute geschehen
sein mag, wird oder muss. Benning spielt mit dem Zuschauer Memory, nur dass
die zueinandergehörigen Karten einander oft kaum gleichen: Schuld daran
ist das Vergehen der Zeit als Geschichte. Was das im Einzelnen heißen
kann, davon erzählen hier ein Film und sein Remake auf oft komische, oft
kurzweilige und immer aufschlussreiche Weise.
Ekkehard Knörer
Dieser Text ist zuerst erschienen
in der: taz
One
Way Boogie Woogie / 27 Years Later
USA
2005 - Regie: James Benning - Darsteller: Dokumentation - Fassung: OF - Länge:
121 min. - Start (D): 13.8.2009
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