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Die
Olympiasiegerin
In den drei Schwarzweißfilmen der
letzten Jahre, in »Das letzte Loch«, »Das Gespenst«
und »Der Depp«, spielte Achternbusch verstörte Wesen, die in
den gesellschaftlichen Verhältnissen verstummten, verkümmerten, erstickten.
Im Farbfilm »Die Olympiasiegerin« ist er nun ein Mensch, an dem
die anderen, vornehmlich die Frauen, zerbrechen, ein gerissener Lebemann und
großspuriger Vorstadtcasanova.
Obwohl die Rolle dieses Adi nicht so angelegt
ist, daß sie unbedingt Sympathie erweckt, so erleichtert sie doch diejenigen,
die die selbstzerstörerische Radikalität in der Logik der letzten
Filme beunruhigt hatte. Der Sturz in den Vulkan, die Flucht von dieser Erde
in den Himmel und das Verstummen drängten die Frage auf, ob ein nächstes
Werk überhaupt noch möglich sei. Der neue Film macht nun deutlich,
was bereits an den älteren zu erkennen gewesen wäre, daß die
oft verwirrende Aggressivität bei Achternbusch Quelle seiner künstlerischen
Energie und unverzichtbarer Schutz gegen den tödlichen Sog seiner moralischen
Empfindlichkeit ist. Diese lebenerhaltende Aggressivität steht auch hinter
den Angriffen auf common sense und guten Geschmack, die ihm so viele nicht verzeihen
können. Nur in dieser Balance aber sind die zarten Empfindungen und das
tiefe Mitleid in seinen Filmen zu haben. Wer das ästhetische Potential
dieser Verbindung bei Achternbusch erkannt hat, wird ihre Notwendigkeit nicht
beklagen.
In »Die Olympiasiegerin« hat
die Balance der beiden Momente eine besonders eigenartige Struktur. Während
in den früheren Filmen hinter den Masken des Komantschen, des 42. Herrgotts
oder des Deppen immer Achternbusch zu erkennen war mit seinem Leiden an der
Welt und mit dem Leid, das er anderen zufügte, so scheint er nun, gleichsam
zum ersten Mal als Schauspieler im traditionellen Sinne, eine Person darzustellen,
die nicht die Komplexität seines Charakters hat. Adi, Achternbuschs Vater,
fehlt die moralische Sensibilität der anderen Figuren.
Aber Achternbusch ist kein professioneller
Schauspieler; die Bravour, mit der er den Aufschneider und Frauenhelden spielt,
verrät mehr als bloß leibliche Verwandtschaft mit dem Vater, nämlich
Sehnsucht nach dieser genußfreudigen Skrupellosigkeit (hier von Anarchismus
zu reden, ist sicher zu hoch gegriffen). Und so bekennt sich auch der ungeborene
Sohn zu ihm: „Papa mir gefällt alles, was du machst. ... Ich will dich
als Vater!"
Aber Achternbusch braucht auch eine Mutter,
die der Ungeborene mit noch größerer Bestimmtheit und Hartnäckigkeit
erwählt hatte. Und diese von Annamirl Bierbichler kraftvoll und verletzlich
gespielte Frau hatte das, was dem Vater fehlte, die Leidensfähigkeit und
eine grenzenlose Sehnsucht nach Glück.
So ist der Film eine Rekonstruktion von
Achternbuschs eigener künstlerischer Identität aus diesem Vater und
dieser Mutter, aus der Sehnsucht nach Leben und der Sehnsucht zum Tode, aus
rücksichtsloser und aus verzweifelter Lebenslust. Achternbusch-Neulinge
verwirrt hierbei aufs höchste, daß der etwa zehnjährige, aber
noch ungezeugte Herbert wie ein Kuppler die Verbindung seiner zukünftigen
Eltern betreibt. Hinter dem scheinbaren Unfug steckt nicht nur das Bekenntnis
zur eigenen Identität, das durch die ausdrückliche Wahl eben dieser
Eltern angezeigt ist, sondern auch der Protest gegen ein großes menschliches
Trauma: Die zufällige Entstehung eines Menschen durch die zufällige
Verbindung der Eltern ist so unerträglich wie der Tod, der die Identität
auslöscht. (Bei Achternbusch ist es sicher nicht abwegig auf die Ähnlichkeit
mit der Empfängnis Mariens, der Auserwählten (! ), hinzuweisen bei
der ganz ähnlich die Identität des zu gebärenden Kindes der Empfängnis
vorausging.)
Die oben angedeutete Verengung im Charakter
des Vaters gibt diesem Film eine selbst für Achternbusch ungewohnte Schärfe,
ja Brutalität in dem typischen Dauerkonflikt zwischen dem Mann, seiner
Frau und der Geliebten, der diesmal nicht durch die Utopie der großen
Liebe versöhnt wird wie in früheren Filmen. Höhepunkt und Schluß
in »Die Olympiasiegerin<, ist ein verzweifelter und haßerfüllter
Monolog, der von Annamirl Bierbichler, der alleingelassenen Geliebten, vor und
während der Geburt ihres Kindes mit fast erschreckender Eindringlichkeit
gesprochen wird.
Noch unversöhnlicher und an der Grenze
des Erträglichen ist der Haß, mit dem sich Adi und seine Frau (von
Gabi Geist gespielt) im Morast versinkend und mit blutroten Hakenkreuzen auf
den geschorenen Köpfen gegenseitig mit Worten zerfleischen. Daran ändert
wenig, daß die Szene als Traum apostrophiert ist.
Die blutigen Hakenkreuze in dieser Traumszene
und die Häftlingskleidung der Eheleute, besonders aber Gruppen von KZ-Häftlingen
in zwei anderen Szenen, die sich in bläulichem Licht wie Schemen bewegen,
fügen dem Film eine Bedeutungsebene hinzu, die im vorliegenden Text zum
Film interessanterweise fehlt. Mir scheint, daß der „Faschismus"
des Ehealltags nicht einer solchen Etikettierung bedarf, die nicht gerade erhellend
ist. Mit anderen Mitteln wird das Elend der Beziehung viel adäquater ausgedrückt.
Die Häftlingsszenen, die in ihrer Kraßheit eher an die Bildsprache
Fassbinders erinnern, erscheinen mir - nach den von Achternbusch selbst gesetzten
Maßstäben - ebenfalls mißlungen. Sie wirken aufgesetzt. Wie
unvergleichlich ausgefeilter und erschütternder war in »Das letzte
Loch« etwa der kurze Bericht der Frau vom „schlürfenden Geräusch"
der Jüdinnen, die nicht mehr gehen konnten und von den anderen mitgeschleppt
wurden, als hier das Vorbeischlurfen der Lemuren.
Auch diese Vergröberung könnte
man verstehen als Preis für die neue Farbigkeit des Films, der nicht nur
den Haß schärfer, sondern auch die Liebe irdischer malt und der zudem
voller Witz und unvergeßlicher Bilder ist.
Aber was heißt überhaupt „verstehen"
bei Achternbuschs Werken? Zu Beginn des Buches »Die Olympiasiegerin«
wehrt er ab: „Das imperiale Gesetz dieser Welt ist Verständnis. Jeder Punkt
der Welt muß von jedem anderen verstanden werden. ... Filme, die von aller
Welt verstanden werden, bringen Geld. Ich möchte aber Filme, die niemand
versteht." Achternbuschs Filme sind wie „schlängelnde Bäche".
Sie verstehen heißt, sich trotzdem nicht abschrecken zu lassen und allen
ihren vertrackten Windungen zu folgen.
Johannes Gawert
Dieser Text ist zuerst erschienen
in: epd Film 2/1984
Die
Olympiasiegerin
Bundesrepublik
Deutschland 1983. Regie: Herbert Achternbusch. Drehbuch: Herbert Achternbusch.
Kamera: Jörg Schmidt-Reitwein. Schnitt: Miki Joanni. Musik: Arnold Schönberg,
Weill, Rasadena. Ton: Heike Pillemann. Ausstattung: Peter Krentz. Kostüme:
Arm Poppel. Produktion: Herbert Achternbusch. Gesamtleitung: Herbert Achternbuseh.
Produzent: Herbert Achternbusch. Verleih: Filmwelt. Länge: 2920 m (107
Min.). FSK.- ab 18, nffr. Kinostart: 4.11.1983. Darsteller: Annamirl Bierbichler
(Ilona), Herbert Achternbusch (Adi), Gabi Geist (Gabi), Tobias Frank (Herbert),
Maite Nahyr (Obergeschäftsführer), Franz Baumgartner (Oberuntergeschäftsführer,
Taxifahrer). Hartmut Riederer (Jude)
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