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O’Horten
Album
der Sonderbarkeiten
Eine Hommage an Baard Owe, einen der
profiliertesten Schauspieler Norwegens, ist Bent Hamers Film "O’Horten"
über einen Lokomotivführer.
In den Kabinen der Zugführer dürfen
keine Fahrgäste mitfahren. So lautet die Vorschrift. Vermutlich hat sich
Odd Horten (Baard Owe) im fast gleichnamigen Film "O’Horten" deshalb
nach mehr als vierzig Jahren in Diensten der norwegischen Eisenbahn den Umgang
mit anderen Menschen abgewöhnt. Ein Singvogel hinter Käfigstäben
ist sein einziger Mitbewohner. An freien Tagen besucht er seine greise Mutter
im Pflegeheim, die schon lange alle Beziehungen zur Außenwelt abgebrochen
hat.
Ein bisschen wundert man sich schon, wie
dieser seltsame Horten zu seiner ledernen
Lokomotivführer-Jacke gekommen ist. An gemeinsamen Trinkabenden mit Eisenbahner-Kollegen
wirkt er nicht abweisend, aber deutlich abwesend. Die silberne Trophäe
zur Pensionierung drückt er rasch einem anderen in die Hand. Statt Konversation
zu betreiben oder am Pfeifton den Eisenbahntyp zu erkennen, steckt er sich lieber
noch ein Pfeifchen an.
"Ich bin nur nüchtern, wenn
ich trinke", gesteht im Lauf des Films einer, der sich als pensionierter
Afrika-Diplomat vorstellt, in Wahrheit jedoch wohl der durchgeknallte Erfinder
einer Maschine ist, die Menschen miteinander vernähen kann. Beides könnte
als Motto über dem gesamten Film stehen. Das mit dem klaren Trunkensein
und das mit den Menschen, die man manchmal dazu zwingen muss, einander über
die sie trennende Leere in die Arme zu nehmen. Mit nüchternen Augen wird
eine Abfolge mal skurriler, mal melancholischer Begegnungen erzählt, die
sich wie von selbst einstellen, als Horten in Rente geht.
Er ist dabei, anders als sich das Klischee
einen altgedienten Eisenbahner vorstellen mag, kein in die Freiheit entlassener
Pedant. Kein Pappa ante Portas, der die Bürovorschriften mit nach Hause
nimmt. Schon deshalb, weil sein Zuhause das eines Junggesellen ist, der gelernt
hat, seine Hosen und Hemden selbst zu bügeln. Regisseur Bent Hamer inszeniert
und Baard Owe spielt diesen Odd Horten mit einer Mischung aus altersweiser Abgeklärtheit
und jugendlich-linkischem Ungeschick. Es steckt etwas von einem Monsieur Hulot
in ihm, und das nicht nur, weil er wie jener ebenfalls ein passionierter Pfeifenraucher
ist.
Wie Tatis Figur hat
Horten ein Talent dafür, in absonderliche Situationen zu geraten, ganz
alleine dadurch, dass er anwesend ist. Und wie Hulot bleibt er dabei in allen
Umständen von geradezu stoischer Gelassenheit. Selbst in roten Stöckelschuhen
auf dem eisglattem Straßenpflaster Oslos rutscht
Horten nicht aus, sondern kann einem helfen, der gestürzt ist. Auf dem
Flughafen, nach einer Odyssee durch Gänge, Sicherheitsschleusen und quer
übers Rollfeld, verliert Horten seine Fassung auch dann nicht, als ein
übereifriger Sicherheitsmann ihn zur Rektaluntersuchung bittet.
"O'Horten" ist bis an den Leinwandrand
voll von solch locker aneinandergehäkelten Beinahe-Plots, Anekdoten, Begegnungen
und szenischen Umwegen. Weniger ein Film als ein Album der Sonderbarkeiten in
klirrender skandinavischer Winterkälte. Solche episodische Dramaturgie
liefe leicht Gefahr, auseinanderzufallen, würde sich all das nicht um ein
Zentrum gruppieren: um das Gesicht von Baard Owe.
Geboren 1936 in Norwegen, ist er schon
lange einer der profiliertesten Schauspieler des Landes. 1964 spielt er in Carl
Theodor Dreyers "Gertrud" Erland Jansson, den jugendlichen Liebhaber
der Titelheldin. Dreimal stand er für Lars von Trier vor der Kamera. "Horten"
ist mehr als ein Film, der einem alternden Schauspieler eine Hauptrolle zuteilt.
Es ist eine Liebeserklärung an Owe. Immer wieder zeigt die Kamera ihn in
Großaufnahme, dann können wir in seinem Gesicht, das transparent
und undurchdringlich zugleich ist, eine wache Neugierde lesen, auf seine Umwelt,
aber auch auf sich selbst. Als würde er sich in all die absurden Situationen
absichtsvoll deshalb versetzen, um etwas über sich selbst herauszufinden.
Horten, der in seinem Leben so viel gereist
ist, hat Norwegen nie verlassen und ist mit seinen Einwohnern nie wirklich zusammengekommen.
Aus der Isolation seiner Führerkabine entlassen, entwickelt er einen Hunger
nach Begegnung, der ihm fremder ist als alles, was ihm widerfährt. Und
am Ende wird er die Begegnung finden und die Reise antreten, die er immer gewollt
hat. Ohne Lokomotivführer-Uniform.
Dietmar Kammerer
Dieser Text ist zuerst erschienen
in der: taz
O'Horten
Norwegen / Deutschland 2007 - Regie: Bent Hamer - Darsteller: Bård Owe, Bjarte Hjelmeland, Henny Moan, Gard Eidsvold, Bjørn Floberg, Ghita Nørby, Espen Skjønberg, Trond Viggo Torgersen - FSK: ohne Altersbeschränkung - Länge: 89 min. - Start: 18.12.2008
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