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Nightmare
Detective
Fiebriger
Grenzverkehr zwischen Traum und Realität
Nichts
ist zu sehen als nur das Entsetzen. Eine junge Frau, erst auf der verlassenen
Straße in der Großstadt, dann in ihrem Bett attackiert, wie es scheint,
von einer rasend gewordenen Handkamera. Auf der Tonspur ist ein Hasten, ein
eilendes Tapsen und Rumpeln zu hören, wie von einem jagenden Tier.
Dann
spritzt Blut, die Frau liegt im Bett, sie wird attackiert, von etwas, das wir
nicht sehen, sie wird attackiert von der Kamera, sie wird attackiert von den
Schnitten, die mühelos zwischen Traum und Wirklichkeit wechseln, die uns
den Alptraum der Frau als Wirklichkeit präsentieren.
Dann
ist es Tag, die Polizei trifft ein, und bei Licht besehen scheint es ein eindeutiger
Fall von Selbstmord zu sein. Die Polizistin Keiko aber (gespielt vom japanischen
Popstar Hitomi) hat ihre Zweifel, sie steht, wie sich im Weiteren zeigt, selbst
an der Grenze zwischen Lebensdurst und Todestrieb, an der Shinya Tsukamotos
Film "Nightmare Detective" angesiedelt ist. Der fiebrige Grenzverkehr,
das Durcheinander der Ebenen, von Traum und Realität, setzen sich fort,
ja, verstärken sich noch im weiteren Verlauf der Geschichte. Mit Industrial-Soundscapes,
fließenden Überblendungen und brutalen Schnitten evoziert der Film
virtuos das Ineinander von innen und außen, von Wirklichkeitsresten und
Albtraumszenarien.
Dem
Zuschauerblick, der Traum und Wirklichkeit säuberlich trennen, die geträumte
Attacke und den wirklichen Selbstmord auseinanderhalten will, gibt der Film
mit seinen kontrolliert-frenetischen Bildern wenig Anhalt. Wie stets bei Tsukamoto
- sein bis heute berühmtester Film ist der Cyberpunk-Kracher "Tetsuo:
The Iron Man" von 1989 - ist die rationale Erklärung und Auflösung
des Gezeigten eine unzulässige Reduktion. Wer im Nachhinein die Bilder,
die der Film ineinander mischt, wieder auseinandersortieren will, muss der Evidenz
des reinen Bildgeschehens seinerseits Gewalt antun - eine tückische List
eben der unterbewussten Unvernunft, auf die der Schrecken von Tsukamotos Filmen
zielt.
Und
deshalb passt der Film nur für den oberflächlichen Blick in die Nachfolge
des Riesenerfolgs "Ringu"
(1998), der die auch im Ausland viel beachtete - und in Hollywood mit mehreren
"Ringu"-Remakes und -Variationen gewürdigte - "J-Horror"-Welle
initiierte. Gewiss, Tsukamoto variiert hier das Grundmotiv vom Schrecken, der
aus dem neuen Medium heraus wie ein Virus in die Alltagswirklichkeit dringt.
In "Ringu" sind es ein seltsames Video, ein Telefonklingeln und Schweigen
am anderen Ende der Leitung, die zum Tod derjenigen führen, die sich das
Videoband angesehen haben. In "Nightmare Detective" werden erst der
jungen Frau, später sogar einem im ersten Fall ermittelnden Polizisten
Handytelefonate mit einem Selbstmordverführer zum Verhängnis.
Tsukamoto
spekulierte - in Japan übrigens mit großem Erfolg - auf die Kassentauglichkeit
seines Horror-Plots, zerstört aber sehr zielsicher die analytische Kausalität,
die den Schrecken oft so banal, weil rational erklärbar macht. Bei ihm
geht es nicht einfach um die Auflösung früherer Traumata. Besonders
deutlich wird das in der Figur des titelgebenden Albtraumdetektivs (Ryuhei Matsuda),
der sich zwischen Traum und Wirklichkeit bewegt und dennoch nicht als klassische
Instanz der eingreifenden Aufklärung ins Spiel kommt. Vielmehr verkörpert
er, psychisch wie physisch höchst gefährdet, genau das Nicht-Stillstellbare
des Zwischenreichs, in dem sich Reales und Irreales überlagern. Am Ende
ist das Monster, das der Regisseur da, wo es menschliche Formen annimmt, selbst
spielt, getötet. Die Lage aber ist zum Schein nur befriedet. An einer Fortsetzung
von "Nightmare Detective" wird gerade gearbeitet. Es ist einer der
wenigen Fälle, in denen das nicht nur kommerzielles Kalkül, sondern
auch konzeptionell plausibel zu sein scheint.
Die
DVD ist ab rund 13 Euro allgemein im Handel erhältlich. Als Extra enthält
sie unter anderem ein Interview mit Regisseur Tsukamoto.
Ekkehard
Knörer
Dieser
Text ist zuerst erschienen in der: taz
Nightmare
Detective
Japan
2006
102
Minuten
Altersfreigabe:
FSK keine Jugendfreigabe
Stab:
Regie:
Shinya Tsukamoto
Drehbuch:
Shinya Tsukamoto
Produktion:
Shin-Ichi Kawahara, Yumiko Takebe, Shinya Tsukamoto
Musik:
Chu Ishikawa, Tadashi Ishikawa
Kamera:
Shinya Tsukamoto
Schnitt:
Shinya Tsukamoto
Besetzung:
Ryuhei
Matsuda: Nightmare Detective
hitomi:
Keiko Kirishima
Masanobu
Ando: Wakamiya
Ren
Osugi: Shinya Tsukamoto: „O“
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