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Mahler auf der Couch
Trash vom Feinsten!
Der falsch adressierte Brief von Walter erreicht Gustav
im Sommer 1910 nun wirklich zur Unzeit: Mahlers Arbeit an der 10. Sinfonie geht
nicht recht voran und um die Ehe mit der viel jüngeren und vitaleren Alma
steht es nicht zum Besten. Kein Wunder, hat sie doch, der Brief ist der Beweis,
ein Verhältnis mit Walter Gropius. In seiner Not macht sich das egozentrische
Genie Mahler auf ins niederländische Leyden, um
sich dort beim Psychoanalytiker Sigmund Freud auf die titelgebende Couch zu
legen. Diese Begegnung soll tatsächlich stattgefunden haben, allerdings
weiß man nichts Genaues, weshalb die Filmemacher Percy und Felix Adlon
sich alle Freiheiten der Fiktion genommen haben.
Punktgenau zum 150. Geburtstag haben sie ihre Szenen
einer Künstler-Ehe ausgeliefert, aber abgesehen von dieser logistischen
Glanzleistung gibt es wenig, was man diesem kunterbunten Reigen von Künstlermythen
nachrühmen mag. Ehrlich gesagt: man bleibt ratlos, was die Adlons geritten haben mag. Das teilweise groteske Over-Acting von
Mahler-Darsteller Silberschneider und Freud-Darsteller Markovics mag als Indiz
herhalten, dass Ironie im Spiel gewesen sein könnte. Aber dann scheinen
die Filmemacher Angst vor ihrer eigenen Courage bekommen zu haben, denn immer
wieder rufen die alpinen Szenarien von Kameramann Benedikt Neuenfels unmissverständlich:
„Hier gilt´s der Kunst!“ Und: „Titanen!“ Und weil die Zeit um 1910
nun wirklich Blüten trieb, hängen Bilder von Klimt an den Wänden
herum und modernes Design möbliert die Räume.
Dazu erklingt Mahlers Musik - der erste Satz der 10.
Symphonie, Ausschnitte aus der 5., der 8., dirigiert von Esa-Pekka Salonen - und erzählt auch von der Differenz zwischen künstlerisch
noch im 19. Jahrhundert wurzelnder Moderne und dem modern lifestyle der
hochbegabten und sehr sinnlichen Alma, die lange als wechselfreudiges Künstlergroupie
mit den Stationen Zemlinski, Mahler, Gropius, Kokoschka, Werfel galt, und hier ganz
modern (Theweleit!) als Opfer von Mahlers chauvinistischem Künstler-Selbstverständnis
rehabilitiert wird. Die Adlons packen all ihre widerstrebenden Ideen und Haltungen
in einen Film und rühren daraus eine Melange aus bildungsbürgerlicher
Resterampe und deren Satire, Soap Opera-Dialogen („Alma, Alma, die Sechste ist
fertig!“), Schulfernsehen und dessen Parodie. Teile von „Mahler auf der Couch“
fügten sich bestens ins Programm von „BRalpha“, der
Rest schmückte „Switch reloaded“ und „Verbotene Liebe“. Gleichzeitig!
Ulrich Kriest
Dieser Text ist zuerst erschienen in der: Stuttgarter
Zeitung
Mahler auf der Couch
Deutschland / Österreich 2010 - Regie: Percy Adlon,
Felix Adlon - Darsteller: Johannes Silberschneider, Karl Markovics, Barbara
Romaner, Friedrich Mücke, Eva Mattes, Lena Stolze, Nina
Berten, Michael Dangl - FSK: ab 12 - Länge:
101 min. - Start: 7.7.2010
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