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The Look of Love
Vor etwas mehr als einem Jahrzehnt rekonstruierte Michael Winterbottom
mit „24 Hour Party People“ (fd 38 837) ein Stück britischer Pop-Geschichte,
indem er den Sound of Manchester zwischen Punk und Rave-o-lution, zwischen 1976
und 1992, melancholisch um die Figur des Impresarios Tony Wilson (gespielt von
Steve Coogan) zentrierte.
Die Moden kamen und gingen, von Wilson selbstironisch, aber selbstbewusst kommentiert.
Vergleichbares hat Winterbottom nun mit „The Look of Love“ erneut versucht.
Die von Tragik nicht freie Geschichte des „Königs von Soho“, erneut gespielt
von Steve Coogan, erstreckt sich von 1958 bis 1992 und widmet sich einer anderen
Spielart der Popkultur: dem Milieu der Stripclubs und Herren- und Porno-Magazine.
Paul Raymond ist ein Entrepreneur reinsten Wassers, ein Mann des Show-Business,
dessen Visionen sich entlang des strafrechtlich gerade noch Erlaubten bewegen.
Insofern ist die Geschichte seines Aufstiegs vom Vaudeville-Akteur (zu Beginn
seiner Karriere ist er ein Gedankenleser) zum Rotlicht-Impresario, Verleger
und Immobilienhai, dessen Name in den 1990er-Jahren in den Listen der reichsten
Männer Großbritanniens auftauchte.
„The Look of Love“ entwirft ein schwungvolles, erst champagnergeschwängertes, später kokainbefeuertes Zeitkolorit über die Liberalisierung eines Alltagssegments, erzählt von Heuchelei, Zensur-Auseinandersetzungen und Pornografie-Debatten, untermalt von allerlei dokumentarischem und pseudo-dokumentarischem Material wie Wochenschauen und Nachrichtensendungen, Popsongs, Mode, Frisuren und Set Designs. Raymond erscheint in Coogans Darstellung als Lebemann, halb instinktiver Emporkömmling, halb Eulenspiegel, der einer bigotten Gesellschaft instinktiv, ohne Hintersinn den Spiegel vorhält.
Zugleich versucht der „König von Soho“ gleichzeitig ein Playboy-Leben
mit einem Sinn für die Familie zu kombinieren, indem er zwischen Sex und
Liebe differenziert – ein Spiel, dass seine Ehefrau Jean etwas zu lange
mitspielt, um dann umso entschiedener dagegen zu Felde zu ziehen, als sich Raymond
„ernsthaft“ in eine andere Frau verliebt und die Familie verlässt.
Solche privaten Krisen fungieren zwar als Retardationen, aber letztlich
ist „The Look of Love“ eine König-Midas-Geschichte. „Nicht alles, was ich
anfasse, verwandelt sich in Gold, aber immerhin genug!“, gibt Raymond einmal
hintersinnig zu Protokoll. Doch ausgerechnet Tochter Debbie, der der „Look of
Love“ des Vaters gilt, erweist sich als zu schwach für dessen flamboyanten
Lifestyle. Zu wenig talentiert für eine künstlerische Karriere, wirkt
sie gleichzeitig unsicher und gerissen und verliert sich in einer Drogenkarriere
mit letalem Ausgang.
Obwohl der Film auf Tatsachen beruht, erscheint „The Look of Love“ mitunter wie ein aufreizend oberflächliches Remake von „Citizen Kane“ (fd 10 261). Vielleicht ist es das Material, das das Zeug zu einer klassischen Tragödie hätte, das Winterbottom an diesem Stoff gereizt hat. Allerdings fand er keine produktive Haltung dazu, weshalb der Film wenig mehr als ein bunter Bilderbogen über eine Zeit geworden ist, deren Skandale heute nur noch schmunzeln machen. Vielleicht ist auch die „Unschuld“, die Coogan seiner Figur verliehen hat, die Crux. Denn Raymond scheint instinktsicher als Geschäftsmann, aber kindlich-spontan als Privatmensch. Wenn er schließlich mit seiner Enkelin durch Soho fährt und ihr seine Immobilien präsentiert, wirkt er wie ein Kind, das davon erzählt, was es alles zum Geburtstag geschenkt bekommen hat. Hinter der Gier nach Bewunderung liegt eine große Einsamkeit verborgen, die Winterbottom nur am Rande streift, die seinem Film aber ein Herz geschenkt hätte. So bleibt nur die grell geschminkte Oberfläche eines erstaunlich matt gescheiterten Films.
Ulrich Kriest
Dieser Text ist zuerst erschienen in: film-Dienst 18/2013
Zu
diesem Film gibt’s im archiv der filmzentrale mehrere
Texte
The Look of Love
(The Look of Love) Großbritannien/USA, 2013 - Produktion:
Revolution Films/Baby Cow Prod./FIlm4/StudioCanal - Produzent: Melissa Parmenter,
Alice Dawson, Josh Hyams - Regie: Michael Winterbottom - Buch: Matt Greenhalgh
- Kamera: Hubert Taczanowksi - Musik: Antony Genn, Martin Slattery - Schnitt:
Mags Arnold - Darsteller: Steve Coogan (Paul Raymond), Anna Friel (Jean Raymond),
Tamsin Egerton (Fiona Richmond), Imogen Poots (Debbie Raymond), Chris Addison
(Tony Power), James Lance (Carl Snitcher), Matthew Beard (Howard Raymond), Simon
Bird (Jonathan Hodge), Liam Boyle (Derry) - Länge: 99 Minuten - Verleih:
Alpenrepublik - Start(D): 29.08.2013
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