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The
Killer
Prolog
Die Kamera schwebt über dem nächtlichen
Hongkong, das Bild ist blaustichig. Ein wenig unbeholfen vielleicht, in der
typischen Art und Weise des Hongkong-Kinos, wird der Titel eingeblendet: THE
KILLER.
Außerdem: John Woo (Buch, Regie),
Tsui Hark (Produzent), Chow Yun-Fat, Danny Lee (Hauptdarsteller) sowie einige
andere große Namen der Hongkonger Filmlandschaft in den Achtzigern. In
einer von Kerzen erhellten Kirche treffen der Killer und der Mittelsmann, der
gleichzeitig der beste Freund des Killers ist, aufeinander. Ein paar Worte werden
gewechselt, ein Foto des Opfers übergeben. Tauben flattern umher; vorne
im Bild: ein Jesus-Kreuz. Eine Pistole wird überreicht. Eine reichlich
pathetische Ballade, vorgetragen von einer zarten Frauenstimme, erklingt und
leitet in die nächste Szene über (ab hier gibt es, ganz multimedial,
ein Youtube-Dokument: http://www.youtube.com/watch?v=x5rCo58XXaA ). Der Killer setzt einen Hut auf (er
sieht jetzt aus wie ein Film Noir-Gangster) und verlässt die Kirche in
Zeitlupe. Die Kirche von außen, blaustichig. Gewitter. Dann der Schnitt
zur nächsten Szene. Der Killer schreitet an einem Plakat vorbei, auf dem
die Sängerin zu sehen ist; immer noch in Zeitlupe. Er betritt einen Nachtclub.
Wir sehen die Frau von dem Plakat, dem Bild im Bild, in einer weich gezeichneten
Großaufnahme wie man sie aus Seifenopern kennt. Sie singt die Ballade.
Und vor allem sehen wir Chow Yun-Fat, diesen Charismaten. Er wirft schwärmende,
schmachtende Blicke auf die hübsche Sängerin; behagliche Zooms und
Überblendungen lassen eine gewisse Romantik entstehen. Als die Tonspur
plötzlich verstummt (wie bei der Racheszene aus „A better Tomorrow“) und
er an eine Tür klopft (mit dem Pistolengriff!), ahnt man es schon: Jetzt
kracht es. Und das tut es auch. „The Killer“ entlädt sich zum ersten Mal
– es gibt eine Kugel in den Kopf, Möbelsplitter wirbeln in Zeitlupe durch
die Luft. Die pathetische Ballade wird abgelöst von einem Soundtrack, der
sich anhört wie die Titelmelodie von „Jaws“ auf Elektro. Die Montage findet einen
Rhythmus zwischen verlangsamten und schnellen Bildern, Nah- und Western-Einstellungen,
heftigen Schusswechseln und kurzen Ruhepausen, der bezwingend ist. Eine Katastrophe
passiert. Und dann sind wir wieder in der von Kerzen erleuchteten Kirche. Der
Freund des Killers zieht ihm Kugeln aus dem Rücken. Schuss und Gegenschuss
parallelisieren den Protagonisten und das Jesus-Kreuz. Und die Tauben fliegen
wieder durchs Bild.
Räuber
und Gendarm
Die Geschichte von „The Killer“ ist eine
ganz klassische, die sehr gradlinig in drei Akten erzählt wird: Chow Yun-Fat
spielt den Auftragsmörder Jeff, der den berüchtigten „letzten Auftrag“
annimmt. Er will von dem Kopfgeld die Augenoperation der Sängerin finanzieren,
die er liebt und die durch sein Verschulden erblindet ist (und im Film eine
sehr untergeordnete Rolle spielt; „The Killer“ ist ein Männerfilm). Natürlich
läuft etwas schief: Jeff wird verraten. Und zwar nicht nur von seinem anonymen
Auftraggeber, sondern auch von seinem besten Freund. Gleichzeitig heftet sich
Inspektor Li (Danny Lee), ein unorthodoxer Polizist, ein hardboiled
detective in der Tradition
von, sagen wir, „Dirty
Harry“, an Jeffs Fersen.
Zwischen beiden entspinnt sich ein Katz- und Mausspiel. Schließlich entdecken
sie charakterliche Parallelen (die der Film in unzähligen Spiegelungen
mehr als deutlich macht) und werden so etwas wie Freunde. Beim finalen Feuergefecht
kämpfen sie Seite an Seite, innig vereint in einer bedingungslosen (beinahe
homoerotischen) Bruderschaft.
Der
Rhythmus und das Blut
Die oben nacherzählte Eingangsszene
enthält zahlreiche Elemente, die für die Inszenierung des gesamten
Films konstitutiv sind. So werden die wichtigsten Motive eingeführt: die
Freundschaft und die Liebe, der Blick, die Gewalt, das Pathos und religiöse
Symbolik. In der Tradition des Western-Genres (und hier vor allem von John Ford)
findet „The Killer“ einen Rhythmus zwischen explosiven Entladungen und Ruhepausen.
Wie das Lied in der Eingangsszene zeichnen die ruhigeren Passagen einen immer
deutlicher zutage tretenden melodramatischen Tonfall. Die Actionsequenzen im
Gegenzug, werden zunehmend heftiger. So schaukelt „The Killer“ sich immer weiter
hoch, comichaft überzeichnet, immer kurz vorm Umkippen ins Lächerliche
und Parodistische. Doch er kippt nicht. Auf eine ganz eigentümliche Art
und Weise funktioniert das Mäandern zwischen Kitsch und Action, Meldodrama
und Blutoper.
Apropos Blutoper. Immer wieder werden
derlei Metaphern im Zusammenhang mit der Ästhetik John Woos bemüht.
„Mozart der Zerstörung“ wird er zum Beispiel gerne genannt, von „Balletten
aus Blei und Blut“ ist die Rede. Und das nicht ohne Grund. Die Actionszenen,
und die machen einen John Woo-Film ja zu einem Gutteil aus, wirken tatsächlich
opernhaft. Der Einsatz von Zeitlupen, den John Woo von Sam Peckinpah übernommen
hat, die teils sehr pathetische Figurenzeichnung (auch und gerade während
der Feuergefechte) und die oft klassische oder sakral angehauchte Musik erzeugen
diese Stimmung. Natürlich auch die Choreographie (Stuntkoordinator: Ching
Siu-Tung), die nichts dem Zufall überlässt und die Gegner tatsächlich
umeinander tanzen lässt wie in einem Musical. Letztlich tragen auch die
christlichen Motive zu einer Überhöhung der Schießereien bei:
die Tauben, Jesuskreuze, zersplitternde Madonnenfiguren. Die Frage, ob man denn
an Gott glaube. Und natürlich das Kirchengebäude, in dem der Film
anfängt, Zwischenstationen nimmt und endet.
Die
Liebe zu den Figuren
John Woo wollte als Junge Pfarrer werden.
Dieser frühe Berufswunsch gibt einen Hinweis auf etwas, das fast jeden
seiner Filme und auch „The Killer“ auszeichnet: seine Liebe zu den Figuren,
zu den rechtschaffenen zumindest. Oft wird John Woo eine Verherrlichung von
Gewalt, die eigentlich eine Stilisierung, eine Erhöhung ins Allegorische
ist, vorgeworfen. In diesem Kontext stehen auch die Themen, die zum Einen aus
dem Westerngenre und zum anderen aus japanischen Samurai- und Kung-Fu-Filmen
(Mentor: Chang Che) adaptiert sind und bei John Woo auf eine religiöse
Ebene erhöht werden: Männerfreundschaften, Ehre, Treue auf der einen,
Ehrlosigkeit und Verrat auf der anderen Seite. In der Art und Weise wie John
Woo die daraus entstehenden Konflikte inszeniert, nämlich fast völlig
ohne Ironie, ist deutlich spürbar, dass er seine Figuren ernst nimmt und
durchaus mit ihnen leidet. Beim Schnitt von „The Killer“, so eine Anekdote,
hat John Woo angeblich geweint; vorstellen kann man sich das auf jeden Fall.
In einem gewissen Sinne sind seine Filme biblische Gleichnisse – wenngleich
sie keine Bibel-Epen sind.
West
trifft Ost (im Waffenladen)
Was den Stil der Heroic Bloodshed-Filme
Johns Woos auszeichnet (und auch den von „The Killer“), ist neben allem erwähnten,
dass er als Regisseur amerikanische und asiatische Erzähl- und Inszenierungsmuster,
Themen und Bilder vereint. Damit ist er auch prototypisch für das gesamte
Hongkong-Kino (was natürlich der langjährigen Okkupation durch Großbritannien
geschuldet ist, die erst 1997 endete). Er vereint – wie oben teilweise schon
angesprochen – John Ford und Chang Che, Sam Peckinpah und Akira Kurosawa, Krimi
und Drama, Western und Kung Fu, Comics und die Bibel. Und erschafft daraus etwas
ganz Neues, mit einer unglaublich homogenen, eindeutigen Handschrift, die wiederum
viele andere Regisseure beeinflusst hat, etwa die Wachowskis oder Quentin Tarantino.
Abspann
Mir scheint, die vorliegende Kritik kommt
nicht wirklich zu einem Urteil, sondern umkreist den Film eher; setzt hier und
dort an, packt aber nie mit einer klaren Wertung zu, nur indirekt oder im Tonfall.
Als ich Jugendlicher war, habe
ich eine recht nerdige Fan-Seite über John Woo ins Netz gestellt. Dort
habe ich auch einige Kurzkritiken geschrieben und „The Killer“ mit einem Wort
bezeichnet, das man als reflektierter Kritiker tunlichst meidet. Aber was soll's?
Schließlich meidet man ja normalerweise auch die Subjektive und ist sich
darüber bewusst, dass ein szenischer Einstieg mitunter abgedroschen ist.
Egal, bei „The Killer“ mache ich gerne eine Ausnahme. Das Wort war: Meisterwerk.
Christian Horn
The
Killer
DIEXUE
SHUANGXIONG
THE
KILLER
Blast
Killer
Hongkong
- 1989 - 110 (Video fr. 104/118) min. - Verleih: Rapid Eye Movies, New Vision
(frühe Version/Highlight (Director's Cut) (DVD) - Erstaufführung:
13.8.1990 Video/13.2.1997 Kino/13.2.1997 Video (Director's Cut)
Produktionsfirma:
Film Workshop - Produktion: Tsui Hark
Regie:
John Woo
Buch:
John Woo
Kamera:
Wong Wing-Hang, Peter Pao
Musik:
Schnitt:
Fan Kung-ming
Darsteller:
Chow
Yun-Fat (Jeff)
Sally
Yeh (Jenny)
Danny
Lee (Inspektor Li)
Chu
Kong (Sidney Fung)
Kenneth
Tsang (Sergeant Chang)
Shing
Fui-on (Johnny Wenig)
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