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Der
Junge im gestreiften Pyjama
Eine gepflegte Literaturverfilmung im
gehobenen englischen Stil, verantwortet von der Henry-Potter-Produktionsfirma
Heyday Films, inszeniert von Mark Herman („Brassed of“) und verliehen von Walt
Disney Germany. Die Filmästhetik ist makellos, die Montage elegant, der
Dialog hält sich zurück, dem Bild gebührt der Vortritt, und schon
werden wir überwältigt von einer großen Ouvertüre. Das
alles steht in merkwürdigem Kontrast zum Plot. David Thewlis, Star diverser
Harry-Potter-Filme, spielt einen schneidigen KZ-Kommandanten, aber auch einen
liebevollen Vater und Gatten. Wir entdecken die Gaskammern aus der Perspektive der ahnungslosen deutschen Kommandantenfamilie
und vor allem aus der Brunos, des achtjährigen Sohnes, der am Lagerzaun
sitzt und sich mit dem gleichaltrigen Shmuel anfreundet, dem in der gestreiften
Lagerkleidung. Gern spielen sie durch den Draht hindurch Mühle. Bruno ist
auf verbotener Erkundung. Aufklären kann sein Vater weder ihn noch die
Familie. Leider. Denn was in der „Siedlung“ wirklich los ist, ist Dienstgeheimnis.
Der schwarze Rauch, der ab und an den Himmel verdüstert: Müllverbrennung!
Sollte es noch Zweifel am lieben Vater geben, werden sie vom Medium Film weggewischt.
Denn der kleine Bruno sieht Aufnahmen vom komfortablen geselligen Lagerleben
in der zynischen Nazipropaganda „Der Führer schenkt den Juden eine Stadt“.
Das ist schiere Großmut, lernt Bruno vom Hauslehrer. Denn Juden sind böse.
Alle. Sie sind schuld daran, dass Deutschland 1918 den Krieg verloren hat. Klar,
dass der Führer einer Wiederholung vorbeugen muss.
Der Film läßt das so stehen
und folgt dem Kommandantensohn auf dem verbotenen Pfad zum Zaun. Mindestens
ein
Jude kann nicht böse sein: Shmuel, sein Freund. Schon bringt dieser für
die Privatrecherche einen zweiten Satz gestreifter Kleidung mit, dann schnell
ein Loch unter den Zaun gegraben und hinein in das doch nicht gesellige Lagerleben.
Oh Gott! Was geschieht? Großes Drama! Blitz und Donner! Die Kommandantenfamilie
zerbricht. Das ist das Strafgericht. Die Gattin wird schwer depressiv, die Oma,
die immer schon dagegen war, von einer Bombe getroffen, die Tochter wendet sich
vom Vater ab, David Thewlis geht auf die Knie und schreit seine Verzweiflung
gen Himmel. Es liegt kein Segen auf der Vergasung von Juden. Auch nicht auf
diesem Holocaustmelodram, in welchem die Täterfamilie zum Opfer wird.
Dietrich Kuhlbrodt
Dieser Text ist zuerst erschienen
in: Konkret 5/2009
Der
Junge im gestreiften Pyjama
Großbritannien / USA 2008 - Originaltitel: The Boy in the Striped Pyjamas - Regie: Mark Herman - Darsteller: Asa Butterfield, Jack Scanlon, Amber Beattie, David Thewlis, Vera Farmiga - Prädikat: besonders wertvoll - FSK: ab 12 - Länge: 94 min. - Start: 7.5.2009
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