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Jud
Süß
In Hamburg wurde
im Februar [1991 – die fz-Redaktion] in einer einmaligen Vorführung
Veit Harlans NS-Film »Jud Süß« gezeigt. Dietrich Kuhlbrodt,
der den Einführungsvortrag hielt, plädiert für weitere öffentliche
Aufführungen.
Das
Revival des Nazifilms
Lesben, Schwule und Justizbehörde
präsentierten in Hamburg Filme von Goebbels’ Starregisseur: Veit Harlans
»Anders als Du und ich« (1957) und sein »Jud Süß«
(1940) wurden im Rahmen der »Lesbisch-schwulen Filmtage« und der
Ausstellung »Justiz und Nationalsozialismus« wieder aufgeführt.
Der Zuspruch des Publikums war so groß, daß weitere Aufführungen
geplant sind. Der Boykott der Harlanfilme, den Erich Lüth, damals Hamburgs
Senatspressesprecher, vor vierzig Jahren ausgerufen hatte, ist vergessen. Die
neue große Einigkeit darüber aber, daß diese Filme heute wieder
öffentlich gezeigt werden sollten, bedarf der Diskussion.
Fortzuführen ist die Debatte, die
sich vor einigen Jahren am Vorhaben einiger Museen und Galerien entzündet
hatte, Adolf Zieglers »Wasser und Erde« (1937), Oskar Martin Amorbachs
»Der Saemann« (1937), Josef Thoraks »Die Kameradschaft«
(1937), gar Arno Brekers »Die Partei« (1939) und andere Nazibildwerke
wieder öffentlich auszustellen. Hintergrund dieser Bestrebungen war, daß
ihr Promotor Ludwig von der Sammlung Ludwig beim damals noch lebenden Naziskulpteur
Breker ein Konterfei für sich und seine
Gattin bestellt hatte. - Die Antwort auf diesen Trend faßte Klaus Staeck
in den Appell: »Keine Nazi-Kunst in unsere Museen«.
Diesem Aufruf folgend zog der Sozialdemokrat
Hilmar Hoffmann, Frankfurts damaliger Kulturdezernent, das Fazit, die Ausstellung
von Nazikunst sei »in hohem Maße verantwortungslos«, denn
es fehle an der erforderlichen Reife des Publikums. Die Frage blieb offen, wie
diese Reife des von der Besichtigung ausgeschlossenen Publikums denn hergestellt
werden soll. Alfred Hrdlicka hatte sich geweigert, Staecks Resolution zu unterschreiben,
weil er mit den »Blockwarten der Moderne, den Museums- und Kunstvereinsbürokraten«
nicht gemeinsame Sache machen wollte.
Die Frage ist auch jetzt wieder, ob derjenige
sich als sozialdemokratischer Blockwart diffamieren lassen muß, der den
alten Boykott von Erich Lüth fortsetzen und in Sorge um das Heil des Publikums
die Aufführung von Veit Harlans Nazifilmen verhindert sehen möchte.
Anders gefragt: Werden durch ein Bilderverbot diejenigen der Zuschauer diffamiert,
die sich keineswegs als potentielle Nazis einschätzen? Die Polemik ist
vorprogrammiert und könnte von selbst weiterlaufen, ohne daß auch
nur eine einzige Filmszene in Augenschein genommen werden müßte.
Doch wie gehabt, geht bei einem Streit, der sich in der Wiederholung gegenseitiger
Verdächtigungen erschöpft, der Gegenstand verloren.
Nach der Vorführung von »Jud
Süß« saßen im Hamburger Metropolis-Kino hunderte Hilmar
Hoffmanns, die über die Veröffentlichung von (Nazi-)Kunst befanden;
der Einsatz von Kunst als erzieherisches Mittel war unbestritten; die Schlußfolgerungen
waren sehr unterschiedlich (Nazifilme dürfen gezeigt werden: ja/nein);
ein Hrdlicka, der sich gegen diese Art der Bevormundung wehrte, war nicht dabei.
Nun sind Harlans Filme als Instrument
der Volkserziehung gewiß nicht geeignet. Doch wer die Frage so stellt,
ist sich im Ansatz mit Dr. Goebbels einig, der darin allerdings durchaus das
rechte Mittel sah. - Auch der pädagogisch sicherlich wertvolle Ansatz (Aufklärung
durch ‘Abschreckung’) vermag daher nicht dem Phänomen des neu erwachten
Interesses an Harlans Filmkunst auf die Spur zu kommen. Fassbinder schulte sich
an Harlans Melodram. Schlingensief verfilmte Harlans »Opfergang«
aufs neue (»Mutters
Maske«), Norbert
Grob versucht in dem in Hamburg erscheinenden Filmlexikon »CineGraph«
eine Rehabilitation, Lesben- und Schwulen-Gruppen gebrauchen Harlans »Anders
als Du und ich« zur Selbstfindung, und Hamburger Richter und Staatsanwälte
versuchen, die Nachkriegsjustiz mit Hilfe von Harlans »Jud Süß«
zu bewältigen. Lassen sich diese unterschiedlichen Interessenten immer
noch vom Reichspropagandaminister instrumentalisieren? Sind heimliche Sympathisanten
zu entlarven? Sympathisanten mit wem oder was?
Es ist kein Wunder, daß unsere Intellektuellen
gegenüber der anbrausenden Flut des Irrationalismus’ Schutz und Halt im
vorauseilenden Widerstand finden. Eine solche Verteidigungsprozedur stiftet
Identität, wenn auch im Negativen; sie setzt Ausgrenzung und Abschottung
voraus; dann dürfen Harlans Nazifilme freilich nicht öffentlich gezeigt
werden. Begründen läßt sich dies allerdings nur mit dem Verweis
auf das eigene Seelenheil, also persönlich. Der klassische Fall der Selbstmarginalisierung.
Denn um das Eiland der Vernunft braust und wogt das Meer des Irrationalismus
- vom bürgerlichen Melodram (Harlan) bis zur Ästhetik des Erhabenen
(Lyotard), von der neuen Begeisterung für die deutsche Frühromantik
(Steiner) bis zur neuen Verzückung angesichts von Nazi-Glamour (Syberberg,
Sontag).
Aber bleiben wir bei Veit Harlan und beim
öffentlichen Vorzeigen seiner Werke. Zu seiner Zeit, also zur Nazizeit,
war die Kunst Komplizin des Faschismus. Dem Irrationalismus aber war sie schon
zuvor und auch danach willfährig gewesen; dieses Kontinuum zu begreifen,
gelingt aber nur, wenn die Filme besichtigt werden können und wenn ins
Bewußtsein rückt, daß es, schlimm genug, 1945 keine Zäsur
gegeben hat (und auch 1933 nicht). Wenn sich bürgerliche Ästhetik
tendenziell dem Diskurs entzieht und von der Argumentation ausschaltet (»Kunst
ist apolitisch«), wären wir schlecht beraten, damit zu antworten,
daß wir uns unsererseits dieser Kunst entziehen und damit ebenfalls den
Diskurs verhindern. Bezeichnenderweise schwand die Faszination, die Syberberg
mit seinem Hitler- und Wagnerkult auch auf das linkskunstsinnige Lager ausübte,
als er zur Feder griff und öffentlich zu argumentieren versuchte. Ohne
diesen (Fehl-)Griff hätten wir uns von ihm weiter hitlermythologisch vernebeln
lassen (ausgenommen ich und Du usw., selbstverständlich). Mit ihm fiel
seine Predigerin, Susan Sontag. Vorbei die hoch aufgeschütteten Worthalden.
Aber es bleibt eine Frage - an die Rezipienten. Was hatte Syberberg in uns (ausgenommen
s.o.) angesprochen, daß er der Held des kulturellen Fortschritts geworden
war? Liegt es daran, daß wir nicht genug Nazifilme gesehen haben, »um
uns der Gefährdungen unserer Gesellschaft bewußt zu werden, - um
uns dem Hitler in uns zu stellen und um die Breite und Vielfalt unseres kritischen
Umgangs mit den Künsten zu entwickeln« (Hilmar Hoffmann)?
Natürlich wird man sich auch gegen
diejenigen wehren müssen, die die Nazizeit zum Nostalgiejahrdutzend umwidmen
möchten. Keine Nazifilme für Jubelfeiern! Aber was ist mit den Nazifilmen,
die total normale bürgerliche Ästhetik transportieren? Wir sind beim
völlig normalen Sozialdemokraten Veit Harlan (in der SPD war er, nie in
der NSDAP); er hatte 1923 eine Jüdin geehelicht, eine deutsche Variante
des Melodrams entwickelt, ein Häusle gebaut, seinen Besitzstand gewahrt
und sich politisch mit Fleiß naiv gehalten. Eine Besichtigung des »Jud
Süß«, des antisemitischen Paradefilms, zeigt ein Monstrum der
Normalität. Die Judenhetze, gar der Holocaust erscheinen darin als Gebot
bürgerlicher Wohlanständigkeit und Reinlichkeit. Goebbels, der sich
bekanntlich als Filmtycoon gerierte, hatte das bürgerliche Melodram mit
äußerster Perfektion und Raffinesse dafür instrumentalisiert.
Das Melodram, vor zweihundert Jahren am
bürgerlichen Theater entstanden, hatte sich zur Aufgabe gemacht, Historie
und Zeitgeschehen, Widersprüche und Konflikte in die Innenwelt der handelnden
Personen zu verlagern und durch Simplifizierung und Emotionalisierung sich der
unmittelbaren Erfahrungswelt der Zuschauer anzunähern. »Das Leben
selbst wird auf eine Ebene gehoben, wo die Leidenschaften nur noch maßlos
sein können, Begierde und Wünsche tabu, die Strafe blutig, der Tod
sublim« (Michel Leiris). Mit dem Aufkommen des Films überwand das
Melodram seinen schlechten Ruf. Als Filmmelodram wurde es künstlerisch
hoffähig - nicht zuletzt, weil die neuen Regisseure Spiel und Ambivalenz
in diese Gattung zu bringen wußten (von Griffiths »The
Birth of a Nation«,
1915, bis zu Detlef Sierck = Douglas Sirk’s »Duell in den Wolken«,
1957). Harlans »deutschnationales Melodram« (Norbert Grob) blieb
dagegen unzweideutig und unspielerisch. Todernst und verbissen, aber durchaus
kunstvoll-filmisch, trieb es die ursprüngliche Simplizität ins Extrem.
Lebenslust und Liebenswertes ist vom Schicksal sowie vom Regisseur vorbestimmt,
in nichts anderem als in Fluch und Verderben zu münden. Jenseits aller
Psychologie und jeder gesellschaftlichen Erkenntnis läßt »Mystiker
Harlan« (Grafe/Patalas) die Filmhelden von dunklen Trieben gesteuert werden.
Ziel ist die Vollendung des geheimnisvollen Geschicks, Nacht und Tod.
Doch der größte Schrecken ist
der der Nähe; die Abgründe, die sich im behüteten Heim öffnen,
und der Hitler in uns. Hitchcock hat den Horror der Normalität herausgekitzelt.
Wenn sich Jungstarregisseure wie Fassbinder (damals) und Schlingensief (heute)
an Harlan schulten, dann, um ihrerseits eine Kunstgattung zu instrumentalisieren,
die sich, sich unpolitisch wähnend, dazu anbietet. Leute wie Fassbinder
und Schlingensief brauchen die von Harlans Melodram vorgegebene bürgerliche
Ordnung, um sich an ihr versündigen zu können. Nicht der Nazifilm,
sondern der stockbürgerliche Film, sein unbekümmertes Kontinuum erfreut
sich der Aufmerksamkeit der neuen Interessenten - jedenfalls der Lesben, Schwulen,
Richter und Staatsanwälte, die sich »Jud Süß« und
»Anders als Du und ich« jetzt in Hamburg beguckt haben. Gewiß
mag jemand ungesehen die Hand zum Gruß gereckt haben, auch mögen
die unverständigsten Wortmeldungen zu registrieren sein. Wie aber soll
man das Faszinosum der Normalität in Worte fassen? Je absurder die Reaktionen
waren, desto zwingender ist es, das Kontinuum des deutschen Melodrams auf die
Leinwand zu bringen. Schließlich wollen wir uns nicht damit begnügen,
recht zu haben, sondern auf etwas Einfluß
nehmen. Die guten alten Ufa-Filme, Kunstlichtspiele der Nazis, laufen, durchaus
ohne unser Zutun, auf allen Fernsehkanälen. Die neue alte Normalität.
Aber zu erkennen ist sie dort, wo die Instrumentalisierung des Genres offenbar
wird: im Fall »Jud Süß«.
Goebbels nahm in jeder Einzelheit auf
Planung und Produktion, auf Besetzung, Buch und Regie des Films Einfluß.
1940 ließ er ihn auf der Biennale in Venedig uraufführen. 19 Millionen
Zuschauer ließen sich auf den unmittelbar bevorstehenden Holocaust einstimmen.
Doch was sie gesehen hatten, war keine Ungeheuerlichkeit, sondern ein biederer
gepflegter Unterhaltungsfilm, in dem populäre Schauspielgrößen
ihre Kunst entfalteten (»Ufa-Stil«); zudem handelte es sich um eine
Literaturverfilmung; freilich war der Name des Autors, der den Bestseller »Jud
Süß« geschrieben hatte (Brecht-Freund Feuchtwanger), unterschlagen
worden. Der Fall war historisch: In den dreißiger Jahren des 18. Jahrhunderts
möchte Herzog Karl Alexander von Württemberg (Heinrich George) mit
der luxuriösen Hofhaltung der Nachbarstaaten konkurrieren. Nachdem die
Landstände seine finanziellen Forderungen abgelehnt hatten, wendet er sich
an den Frankfurter Juden Süß-Oppenheimer (Ferdinand Marian). Bald
ist dieser Geheimer Finanzrat des Stuttgarter Hofs; mit Hilfe seines Sekretärs
Levy und des Rabbi Loew (beide Rollen: Werner Krauss) setzt er die Aufhebung
der Judensperre für Stuttgart durch und erhebt Steuern auf Straßen,
Brücken und Lebensmittel. Zum Aufruhr kommt es, nachdem Jud Süß
Dorothea Sturm (Kristina Söderbaum), die Tochter des
Landschaftskonsulenten, geschändet und in den Tod getrieben hat.
Sorgsam hatte Goebbels alles entfernt,
was den Filmgenuß stören konnte. Die in der ersten Drehbuchfassung
vorgesehenen Zwischentitel (»Der Jud saugt das Land aus«) waren
gestrichen. Antisemitische Reden waren als historische Zitate eingefügt
(»Luther hat gesagt ...«). Die von Harlan gedrehte Schlußsequenz
(Jud Süß stirbt mit einem wahrhaft biblischen Fluch auf den Lippen)
ließ er durch eine Szene ersetzen, in der das Hinrichtungsopfer einen
winselnden, erbärmlichen Eindruck macht. Um den Unterhaltungswert des Films
nicht zu schmälern, ersparte er dem Zuschauer alles, was ihn belästigen
und auf Distanz bringen könnte. So wird, durchaus den Gesetzen des Melodrams
gehorchend, weder die Schändung selbst gezeigt noch das Ertrinken der Söderbaum
noch der Eintritt des Todes am 4.2.1738, dem Hinrichtungstag. Auch das folgende
Pogrom wird nur behauptet, nebenher. Die drastischen Schächtungsszenen,
die für diesen Film aufgenommen worden waren, verwendete er anderweitig
(»Der ewige Jude«). Große Mühe gab er sich, Spitzenschauspieler
zu verpflichten. Ferdinand Marian will bei den Probeaufnahmen absichtlich schlecht
gespielt haben (Goebbels gab ihm die Hauptrolle). Werner Krauss will mit der
Forderung, eine Doppelrolle zu spielen, auf Ablehnung spekuliert haben (er bekam
alle übrigen Judenrollen zugleich). Kristina Söderbaum will remonstriert
haben, sie habe eben erst entbunden (Goebbels stellte ihr eine Amme). Harlan
selbst behauptete, er habe sich an die Front gemeldet (er konnte diesen und
weitere Großfilme drehen).
Goebbels sparte aber vor allem die historischen
Dimensionen aus. Hintergrund des historischen Falls war die Auseinandersetzung
zwischen aufstrebenden Katholiken und bäuerlichen Protestanten gewesen,
zwischen expandierender, merkantilistischer Manufaktur und dem reinen Agrarland
Württemberg. - Um seinen Zweck nur desto sicherer zu erreichen, wies er
schließlich in der geheimen »Vertraulichen Mitteilung«vom
18.1.1940 die Presse an, den Film »Jud Süß« nicht als
antisemitischen Film zu bezeichnen: »Eine derartige Charakterisierung
ist deshalb nicht richtig, weil er durch die Wirkung auf das Publikum seinen
Zweck von selbst erfüllen wird.«
Daß dieser Zweck die sog. Endlösung der Judenfrage war, ist unschwer
den Erlassen des Reichsführers-SS, Himmler, zu entnehmen. Noch im Monat
der Uraufführung ersuchte er, »Vorsorge zu treffen, daß die
gesamte SS und Polizei im Laufe des Winters den Film ‘Jud Süß’ zu
sehen bekommt«. Der arischen Bevölkerung wurde der Film immer dann
vorgeführt, wenn »Aussiedlungen« in die Vernichtungslager bevorstanden.
- »Ein antisemitischer Film, wie wir ihn uns nur wünschen können«,
vertraute Goebbels am 18.8.1940 seinem Tagebuch an.
Harlan hat davon profitiert, daß
Ende 1939 in Polen die ersten Ghettos eingerichtet worden waren. Er studierte
dort das »Urjudentum«, um ihm in seinem Film den »getarnten
Juden«, den »eleganten Finanzberater des Hofes Jud Süß
Oppenheimer« gegenüberzustellen. Das Reichssicherheitshauptamt -
Zentralstelle für jüdische Auswanderung - besorgte ihm für die
Filmaufnahmen in Prag, das die Kulisse für Stuttgart abgab, »rassereine
jüdische Komparsen«.
Nach 1945 wurde Harlan Hamburger. Er hatte
sich hier vor dem Schwurgericht wegen Verbrechens gegen die Menschlichkeit (Verfolgung
aus rassischen Gründen) zu verantworten. Vorsitzender war Dr. Tyrolf, der
eine von ihm freigesprochene Euthanasieärztin (»Rechtsirrtum«)
geheiratet hatte. Harlan wurde zunächst mit der Begründung freigesprochen,
es sei nicht zu beweisen, daß aufgrund des Films einem Juden Leid geschehen
sei; um welchen oder welche sollte es sich denn handeln? Hierzu sei nichts Näheres
bekanntgeworden; es fehle am Nachweis eines Kausalzusammenhangs (Urteil vom
23.4.1949). Nachdem das Urteil kassiert worden war, sprach er Harlan am 29.4.1950
frei, weil Befehlsnotstand vorgelegen habe (»Dr. Goebbels«). Nicht
einmal wegen Beleidigung der Juden vermochte er zum Spruch zu kommen. Begründung:
Die Juden hätten eventuell die Antragsfrist versäumt. Hätten
sie nicht schon damals, 1940/41, ins Kino gehen und Strafantrag stellen können?
- Während der Nazizeit mit dem gelben Judenstern in die Kinovorstellung
eines antisemitischen Films gehen und sich anschließend bei der Polizei
über den Film beschweren - das Gericht ging den sich aufdrängenden
Fragen nicht nach. Auch die Staatsanwaltschaft verzichtete auf Revision.
Ein »normales« bürgerliches
Strafverfahren. Alle Vorschriften sind beachtet; die Akte sieht aus wie alle
anderen; sie gibt es heute noch. Ein Justizkontinuum. Um die Ungeheurlichkeit
der Kontinuität der bürgerlichen Justiz und des bürgerlichen
Melodrams zu entdecken, braucht es die öffentliche Vorführung des
Films »Jud Süß«. Die Kopie gibt es ebenfalls heute noch.
Und natürlich nutzt die Vorführung für Eingeweihte nichts, die
es sowieso schon wissen. Aber wenn es Zuschauer gibt, die der Normalität
immer noch erliegen, dann ist dies erst recht ein Grund, Öffentlichkeit
herzustellen. Die Vorführung des Films tut not, um dem Revival des Nazifilms,
das von Nostalgikern und den Redakteuren der Fernsehanstalten gegenwärtig
betrieben wird, zu begegnen. Der »Jud Süß«-Film ist das
Instrument dazu. Heraus aus dem Giftschrank des Bundesarchivs!
Dietrich Kuhlbrodt
Dieser Text ist zuerst erschienen in: Konkret 04/1991
Zu
diesem Film gibt’s im archiv der filmzentrale mehrere
Texte
Jud
Süß
Deutschland
1940. Produktion: Terra Film. Regie: Veit Harlan. Drehbuch: Ludwig Metzger,
E.W. Möller, Veit Harlan. Kamera:
Bruno Mondi. Musik:
Wolfgang Zeller. Mit: Ferdinand Marian, Kristina Söderbaum, Heinrich George,
Werner Krauß u.a.
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