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In
Berlin
„Ich warte“, singen die „Einstürzenden
Neubauten“ zum Finale, „Ich warte auf die Dopamine / die innerlich versprochen
sind / Ich warte auf die Vorstellung / dass der Film endlich beginnt.“ Vielleicht
ist das zu viel erwartet: ein Film über Berlin. Ein Dokumentarfilm, der
die Risse und das Zusammengehörigkeitsgefühl der Stadt aufspürt
und die Menschen, die in diesem Stein gewordenen Widerspruch zuhause sind, die
Alt-Berliner und die Zugezogenen, die Parlamentarier, die Künstler, die
Kleinunternehmer und die „Leute von der Straße“. Michael Ballhaus, als
Kameramann eine Koryphäe, und Ciro Cappellari, der Drehbuch-, Kamera- und
Regieerfahrung einbrachte, haben den Film
gestemmt, der im Presseheft als „Essay“ bezeichnet wird.
Dass letztlich sehr wenige Normalberliner
vorkommen und der Film eher zum Who is Who prominenter Spree-Bewohner geraten
ist, rückt „In Berlin“ in die Nähe zugkräftigen Stadtmarketings.
Insgesamt ist der Film eine erstaunlich unberlinerische, flüssig dahingleitende
Sightseeing-Tour, der (fast) nur in den Momenten überzeugt, in denen die
Kamera Distanz hält und fotografisch wunderschön gelungene Luftbilder
auffängt, zu der melancholisch eingefärbte Musik der Band Terranova
erklingt. Rückt die Kamera an die Protagonisten heran, wird ihnen meistens
„nach dem Mund geredet“; es fehlt jede Distanz zwischen dem O-Ton und seiner
Vermittlung. Die Montage verstärkt den Zug zum Affirmativen. So lobt der
Schriftsteller Peter Schneider die Stadt als einzige, die mental die deutsche
Teilung überwunden habe. Es folgt der Schnitt ins Büro von Klaus Wowereit,
der vom „Mentalitätswechsel“ spricht, den er habe durchsetzen müssen.
Womöglich meint er etwas anderes, aber die Montage impliziert, dass der
Regierende Bürgermeister selbst die Großtat vollbracht habe, die
divergenten Kräfte von Ost und West zusammenzuführen. An Interview-Erfahrung
scheint es Ballhaus und Cappellari zu fehlen. Der Versuch, Wowereit und seinem
Lebensgefährten Jörg Kubicki private Statements zu ihrer Partnerschaft
zu entlocken, mündet in peinliches Schweigen.
Im Fall von Außenminister Frank
Walter Steinmeier dringt noch weniger Persönliches durch die Fassade des
Repräsentanten. Dabei wirkt es nicht ungeschickt, wie zwischen den Einzelporträts
der In-Berliner unablässig hin- und hergesprungen wird. Die Stricktechnik
des Aufnehmens und Fallenlassens schürt Erwartungen nach tiefgreifenden
Berlin-Erkenntnissen, die aber kaum eingelöst werden. Das Verfahren lässt
sich auch als Zappen in Zeitlupe charakterisieren. „Ich erzähl Dir was“,
versprechen die Scheherazaden und Stadtführer im Film, aber nach der nächsten
Kurve warten nur dieselben Plattitüden. Es sind kurzatmige Episoden mit
Maybritt Illner, dem türkischstämmigen Filmstudenten Hakan Savas Mican
oder dem Architektentrio GRAFT (Wolfram Putz, Lars Krückeberg, Thomas Willmeit).
Gerade die Statements zur stadtplanerischen Problematik Berlins sind zu knapp
geraten. Statt eines Kraut-und-Rüben-Films wäre eine konzentrierte
Auseinandersetzung mit dem Dauerbrenner Berlin-Architektur vorzuziehen gewesen.
Mehr Einblicke in die Arbeit der Fotografin Beate Gütschow wären ebenfalls
wünschenswert gewesen. Nur am Rande erfährt man, dass die Künstlerin
aus Fotos von Brachen und Architekturdetails am Computer künstliche, aber
täuschend plausible Stadtlandschaften zusammenbaut. Dieses Verfahren weist
eine innere Verwandtschaft mit dem viel beklagten, viel besungenen Berliner
Architektur-Wildwuchs auf, doch der Zusammenhang verpufft, weil Gütschows
Kunst nur in Sekundenschnipseln vorkommt.
Dafür darf Peter Schneider weit ausholen,
um anlässlich eines Drachenflugs den Charlottenburger Teufelsberg hinunter
die Geschichte von einem tiefkatholischen Bergbauern-Jungen zu erzählen,
deren Berlin-Bezug äußerst mysteriös bleibt. Anrührende
Lichtblicke im Gemischtwarenfilm sind die Auftritte des schwerkranken Christoph
Schlingensief, humorvoll und schlagfertig wie eh und je, sowie Einblicke in
die Mutter-Tochter-Beziehung von Angela und Nele Winkler. Letztere ist mit dem
Down-Syndrom zur Welt gekommen, arbeitet als Schauspielerin und ist inzwischen
an der Volksbühne am Rosa-Luxemburg-Platz engagiert. Der Bassist der „Einstürzenden
Neubauten“, Alexander Hacke, steuert hellsichtige Bemerkungen aus der Perspektive
eines Ex-West-Berliners bei, doch unterm Strich bleibt dieser Versuch über
Berlin fast alles schuldig, was man von einem ungeschönten Porträt
erwarten könnte. Taucht Angela Winkler kurz in der „Dreigroschenoper“ im
Berliner Ensemble auf, fällt einem Brecht ein: „Man siehet die im Lichte,
die im Dunkeln sieht man nicht.“ Oder sind sie aufs Land gezogen, die Obdachlosen
und Junkies, die Punks und Neonazis, die fraglos Risse in diesem offiziösen
Hofgemälde hinterlassen hätten? Kaum hat der 14-jährige Kreuzberger
Jan Reinwein andeutungsweise von den „Ecken, die nicht so fröhlich sind“
gesprochen, flüchtet sich die Kamera in nichtssagende Konzert-Impressionen
der „Neubauten“. Der Film geriert sich als Großstadtsinfonie und müsste
realistischerweise eine Kakofonie sein, kommt aber über das visuelle Pendant
sanfter Fahrstuhlmusik nicht hinaus. So geht „In Berlin“ höchstens als
Warteschleife für den anderen, erträumten Berlin-Film durch.
Jens Hinrichsen
Dieser Text ist zuerst erschienen
in: film-Dienst
In
Berlin
Deutschland 2008 - Regie: Michael Ballhaus, Ciro Cappellari - Mitwirkende: Alexander Hacke, Danielle de Picciotto, Nele Winkler, Angela Winkler, Hakan Savas Mican, Maybrit Illner - FSK: ohne Altersbeschränkung - Länge: 96 min. - Start: 14.5.2009
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