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Herzensbrecher
Die Unvernunft der Liebe
Was die Leute so erzählen, wenn es um die Liebe geht! Jedenfalls
nicht das, was in ›Soap Operas‹ und ›Romantic Comedies‹ in den Dialogen steht.
Von den Verrücktheiten der (unerwiderten) Liebe erzählen einige von
ihnen zu Beginn von Xavier Dolans »Herzensbrecher« oder genauer
gesagt von den Liebschaften der Phantasie, auf die der Originaltitel »Les
amours imaginaires« weist.
Beiläufig wird uns in diesem Vorspann auch erklärt, dass dieser Film
nur eine Geschichte erzählt von unendlich vielen möglichen Geschichten,
die alle halb verrückt, halb poetisch und vollkommen wahr geträumt
wären. Und Dolan »perforiert« seine Handlung im Weiteren mit
solchen inszenierten Interview-Clips (komplett mit »spontanen« Zoom-Sprüngen)
und bietet damit unter anderem hübsche rhythmische Intervall-Sprünge.
Überhaupt ist das ganze Unternehmen »Herzensbrecher« vor allem
ein grandioses formales Spiel. Man hat schon lange nicht mehr ein so reines
Vergnügen am Spiel mit kinematografischen Kunst-Stücken gesehen wie
bei diesem jungen Regisseur. Nicht dass es ansonsten egal wäre, was in
seinem Film vorkommt.
Jedenfalls tritt mit dem blondgelockten Nicolas eine Art erotischer Donatello-Engel in das Leben von Francis und Marie, das klassische Freundespaar von junger Frau und schwulem Freund, und der seiner Wirkung auf beiderlei Geschlecht wohl bewusste Verführer bringt das Gefühlsleben der beiden erheblich durcheinander. (Die herzförmige Sonnenbrille sollte uns schon einen Hinweis geben auf die »literarische« Natur dieser Erscheinung, zumal uns das Motto, das vor dem Film steht, einen weiteren Hinweis gibt. Es stammt von Alfred de Musset und lautet: »Nichts ist wahrer als die Unvernunft der Liebe«. Und dann ist da noch die – italienische – Fassung des Nancy-Sinatra-Songs »Bang Bang« von Dalida, die auf das Brechen der Herzen vorausdeutet. Natürlich leidet die Freundschaft von Francis und Marie, es entwickelt sich ein klassisches Liebesduell, bei dem sie erst vergleichsweise spät erkennen, dass sie nur beide verlieren können. Zuvor regnet es buchstäblich Marshmallows.
Eine homo-/heterosexuelle »Dreiecksgeschichte«, mit der Eleganz, Leichtigkeit und visuellen Präzision erzählt, als hätte sich endgültig die Erbschaft der ›Nouvelle Vague‹ mit dem ›Cinéma du look‹ aus den achtziger Jahren verbunden. Oder doch ein »Kunstmärchen« über all das, was in so einem ewigen Stoff steckt, das Eintauchen in ein virtuelles Museum des Begehrens. Und schließlich: die Idee einer filmischen Entschlüsselung der »Sprache der Liebe«. Jedenfalls geht es sehr vorwiegend um Zeichen und ihre Deutung, oder aber, schlimmer für die Menschen, besser für das Kino, ihre Fehldeutung. Eine Einstellung auf die telefonierende Marie, in der vom Hintergrund über Kleidung und Lippenstift bis zum Telefon alle erdenklichen Übergänge von rosa zu rot vorkommen, läßt sich als lebendes Pop-Art-Gemälde ebenso verstehen wie als tiefenpsychologische Analyse. Es ist ein Spiel mit Farben, Formen und Phantasmen, »Teorema« als Traumstück und auf den Kopf gestellt. »Ich habe ein weißes Kaninchen gesehen«, sagt Francis bei dem ersten erotischen ›Encontre‹, natürlich einem Versteckspiel. Das Kino gelangt in das Wunderland, das sich im Kopf von Verliebten auftut. Es ist voller kindischer Pracht, aber auch voller Schrecken. Wer abgewiesen wird, der muss, ganz direkt einen langen, einsamen, engen Weg zurück in die Wirklichkeit gehen.
Alles was gesprochen wird in diesem Film, ist falsches Spiel, mindestens. Was es zu erkennen gibt, zeigt das Kino mit seinen eigenen Mitteln. Sollen wir sagen, es ist »Kino für Fortgeschrittene«? Ja und nein. Natürlich offenbart sich der Reichtum eines solchen Films, wenn man »etwas von Kunst und Kino versteht«. Aber zugleich findet Dolan für das Glück und den Schmerz der Liebe so radikal einfache und wuchtige Bilder, wie sie in jedem Menschen abgespeichert sind (und nur das Kino sie gelegentlich für einen Augenblick nach draußen bringen kann).
Xavier Dolan erfindet das Kino nicht neu. Aber er spielt virtuos mit den Elementen des postmodernen Films, überspringt spielend die Grenzen zwischen »künstlich« und »natürlich«, »ironisch« und »ernst«, »Zitat« und »Original«. Und er hat ein paar stilistische Eigenheiten, die schon etwas mehr sind als eine »Handschrift«. Es gibt diese »Dolan-Einstellungen«: Wir sehen von hinten auf die Rücken von Leuten, die etwas scheinbar Triviales tun (Kochen, ein Kleid aussuchen etc.) und sich dabei unterhalten. Selbst da sind die Körper immer schon viel weiter als die Worte. Schwarzblenden trennen of die einzelnen Szenen, um das Fragmentarische des Ganzen und die Autonomie der einzelnen Szenen zu betonen. Das Setting der Szenen erscheint als inszeniertes Gemälde, seine Farben kommen direkt aus dem Seelenleben der Protagonisten und sogar der ›Plot‹ weist in seinen Brüchen und Überraschungen eine zauberhafte Komposition aus. Wenn ich einmal erklären sollte, was Kunst und Liebe miteinander zu tun haben, dann würde ich auf diesen Film verweisen.
Xavier Dolan ist in diesem Film als »totaler Filmemacher« präsent. Als Produzent, Regisseur, Autor und Darsteller. Daraus entsteht ein weiteres schönes Paradoxon: Die Sprache der Liebe, die »Herzensbrecher« analysiert, ist genau jene, die der Analysierende selber spricht. Dolan kann so allgemein von der Liebe sprechen, weil es seine eigene ist.
Note: 2
Georg Seeßlen
Dieser Text ist zuerst erschienen in: www.strandgut.de
Herzensbrecher
Kanada 2010 - Originaltitel: Les amours imaginaires - Regie: Xavier Dolan -
Darsteller: Monia Chokri, Niels Schneider, Xavier Dolan, Anne Dorval, Anne-Élisabeth
Bossé, Magalie Lépine-Blondeau, Olivier Morin, Éric Bruneau
- FSK: ab 12 - Länge: 95 min. - Start: 7.7.2011
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