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Der
Generalmanager
oder How to sell a Tit Wonder
„Make
the Kamera out!"
Folgende Konstellation muss man sich einmal
vorzustellen versuchen: Per Zufall lernt der Ex-UNO-Polizist Martin Baldauf
Ende der 90er Jahre das Busenwunder Lollo „130cm“ Ferrari kennen, wird erst
ihr Fahrer, dann ihr Manager. Als echt schräges Trio ziehen Lollo Ferrari,
ihr Ehemann Eric Vigne und Martin Baldauf durch die einschlägigen Nachmittags-Talk-Shows
und tristen Großraum-Discos. Weil der hyperaktive und redselige Baldauf
sich quasi nebenher noch als tougher Geschäftsmann und „jüngster Manager
Europas“ inszeniert, werden die Ludwigsburger Filmstudenten Steffen C. Jürgens
und Rüdiger Heinze auf ihn aufmerksam und beschließen, seinen schrägen
Business-Alltag zu verfilmen – mit Lollo Ferrari als Lollo Ferrari, Jürgens
als Baldauf und Baldauf selbst in einer kleinen Nebenrolle. Es entsteht der
trashige Biopic-Kurzspielfilm „Stuhlberg – der jüngste Manager Europas“,
ein hysterisches Monstrum zwischen Drogendämmerung und Speed-Selbstermächtigung,
an dessen Ende der (fiktive) Unfalltod Lollo Ferraris steht. Ein Film wie aus
der Hexenküche von Christoph Schlingensief („Tod
eines Weltstars“) und
Helge Schneider („Jazzclub
– Der frühe Vogel fängt den Wurm“).
2000 ist Lollo Ferrari wirklich tot. Kurzerhand und aus der Not heraus beschließt
Martin Baldauf ein neues „tit wonder“ am Markt zu etablieren; Jürgens und
ein Kameramann begleiten ihn dabei im Stil von Reality TV, stellen Fragen, feuern
ihren Protagonisten an, verspotten ihn, dokumentieren aber auch dessen skrupellosen
Kampf um Anerkennung und Liebe.
Schnell ist klar, dass die Realität
unendlich demütigender ist als jede Fiktion. Ein kleiner Mann will ganz
nach oben! Baldauf ist ein Selfmade-Man mit Realitätstrübung, ein
Maverick, ein Trickser, der sich als professional geriert, dabei aber fortwährend
die Spielregeln des schmierigen Business verletzt und dabei „in bester Absicht“
auch seine Klienten betrügt. Mit Erstaunen und Entsetzen blickt man in
den Abgrund der B- und C-Promis, ist hautnah dabei, wenn Baldauf den Global
Player mimt („Du, ich habe Channel Four auf der anderen Leitung!“), während
es de facto nur zu kurzen Begegnungen mit leicht irritierten bis angewiderten
Medienprofis wie Jürgen Drews auf einer (realen) Autobahnraststätte
bei Pforzheim kommt. Hübsch auch die Szene, wenn sich Baldauf in Hamburg
an Udo Lindenberg heranwanzt – und von diesem souverän auf Distanz gehalten
wird. Baldaufs neuer Star heißt Ashley Bond, kommt aus Manchester, ist
in England bereits eine bekannte Größe für Ballon-Fotos auf
Seite 3 der einschlägigen Tabloids – und ihrem Manager an Intelligenz,
Durchblick, Bildung und Professionalität meilenweit überlegen. Andererseits
könnte Ashley es sich auch vorstellen, ihre Brustvergrößerungsimplantate
von aktuell 95 auf 107cm »hoch« zu tunen. Man schließt Vorverträge,
trifft sich mit Musikproduzenten, die in abgedunkelten Wohnungen leben, diskutiert
die nächste Brustvergrößerung und scheut sich nicht, vor laufender
Kamera von Empathie und „inneren Werten“ zu schwadronieren. Motto: Ich präsentiere
euch ein Busenwunder, aber finde es abstoßend und moralisch verwerflich,
wenn ihr die Frau nur wegen ihrer Titten zum »Star« macht.
„Der Generalmanager“ geht nah an sein
Objekt heran, das klassische Dokumentaristenethos würde sagen: zu nah!
Dafür ist der Film kritisiert worden, weil der Film zum Teil dessen wird,
was er dokumentiert, sich nicht heraushält, das Vorgeführte nicht
explizit kritisiert, sondern sich dem Gezeigtem mit vampirischer Gier nähert
- mit Lustekel am Spektakel. Der Filmemacher Jürgens und sein Objekt Baldauf
sind derart miteinander verstrickt, aufeinander fixiert, dass sie auch den Absturz
gemeinsam erleiden. Als Baldaufs Kartenhaus zusammenstürzt, fordert der vormals so Kamerageile plötzlich Privatsphäre
ein, die der Filmemacher jetzt nicht mehr gewährt. Mit dem Ethos eines
Paparazzos erschleicht sich Jürgens jetzt die Bilder, die er braucht, mit
fast körperlicher Gewalt – und muss schmerzhaft erkennen, dass die Geilheit
der Subkultur, die er dokumentiert, ihn längst kontaminiert hat. Es gibt
kein Zurück.
Ulrich Kriest
Dieser Text ist zuerst erschienen im Musikmagazin „Notes“
Zu
diesem Film gibt’s im archiv der filmzentrale mehrere
Texte
Der Generalmanager oder How to sell a Tit Wonder
Deutschland 2007 - Regie: Steffen C. Jürgens, Rüdiger Heinze - Darsteller: (Mitwirkende) Martin Baldauf, Lolo Ferrari, Ashley Bond, Jürgen Drews, Eric Vigne, Lucie Krcova, Udo Lindenberg - Länge: 87 min. - Start: 13.11.2008
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