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Der
Generalmanager
oder How to sell a Tit Wonder
Lektionen
in Demütigung
Zumindest im Genre der Pseudo-Dokumentation
à la Stromberg oder Der
Wald vor lauter Bäumen
ist man die konstante Demütigung erbärmlicher Filmfiguren ja inzwischen
gewohnt. Aber in der authentischen Welt der Dokumentation? Auch Regisseur Steffen
Jürgens hat anno 2004 mit seiner schrillen Kurzfilm-Parodie Stuhlberg – Der jüngste Manager
Europas schon einmal die
Fremdscham spielen lassen, als er (in verzerrter Form) die Geschichte des jungen
Busenwunder-Managers Martin Luigi Baldauf erzählen wollte. Damals spielte
Baldauf sich selbst und Jürgens selbst Baldaufs Spiegelbild Daniel Luigi
Stuhlberg. Was ereignete sich während dieser Zeit zwischen Regisseur und
Forschungsobjekt – Freundschaft, Aneignung, Parasitentum? Die krawalligen Ausschnitte
jenes Kurzfilms, die in Der
Generalmanager noch einmal
zu sehen sind, geben keinen endgültigen Aufschluss darüber. Fest steht,
dass Jürgens sich noch lange nicht sattgesehen hatte an Baldauf, ihn stattdessen
weitere Monate und Jahre mit der Kamera verfolgte und schnell feststellte, dass
die Realität unendlich viel grausamer sein kann als jede Fiktion. Vor allem
seine Kameraführung offenbart dabei einen Filmemacher, der immer tiefer
in einen Strudel der Zerstörung hineingezogen wird; der einen grässlichen
Autounfall kommen sieht und nichts weiter zu tun weiß, als gnadenlos draufzuhalten.
Es bedarf eines ganz besonderen Objektes
der Begierde, um den eher eitlen Schauspieler, Selbstinszenierer und Regisseur
Steffens mal aus dem eigenen Blickfeld zu drängen – aber Martin Baldauf
kann gar nicht anders, als den Fokus auf sich zu ziehen. Er ist der Alptraum
der deutschen Kulturnation, ein kaum rasierfähiger Anzugschleimer, ein
schmieriger Trash-Talkshow-Gast, ein sich ständig im eigenen Lügengeflecht
windender Blender. Mit erstaunlicher Selbstvergessenheit flunkert und schleimt
er sich durch die C-Prominenz der Republik: Er versteht instinktiv, dass die
Reichen und Schönen des Boulevards (und das ist für ihn beispielsweise
schon Jürgen Drews) ihn spätestens nach der dritten zappeligen Stalking-Attacke
in einem Anfall von amüsiertem Stockholm-Syndrom in ihr Herz schließen,
wie man ein trotziges Kind als Maskottchen mitnimmt. Baldaufs Sündenfall
ist es, daraus eine Profession machen zu wollen: Nachdem die gutmütige
Lolo Ferrari ihn ein bisschen mitgenommen hat auf ihrem Weg, der sie zu immer
absurderen Körperformen, immer groteskeren Auftritten und schließlich
in ein frühes Grab brachte, spielte sich Baldauf als großer Manager-Zampano
auf und will nachfolgende Busenwunder erst unter Vertrag und schließlich
unters Volk bringen. Sein ebenso haarsträubender wie dilettantischer Versuch,
das britische Oberweitenmodell Ashley Bond in Deutschland zu vermarkten, scheitert
in einer Reihe nicht enden wollender Demütigungen. Das Busenwunder, die
mit Abstand klügste und sympathischste Person im Raum, ist die einzige
Person, die einem dabei wirklich Leid tut.
Inszenatorisch hangelt sich Jürgens
auf einen schmalen Grat entlang, und oft scheint es, als habe er längst
jegliches Gleichgewicht verloren: Die langen Auszüge aus dem eigenen Vorgängerfilm
wirken ebenso egozentrisch wie die langen Erläuterungen seiner persönlichen
Verstrickungen mit Baldauf. Doch letztlich dient diese vermeintliche Nabelschau
einem ebenso faszinierenden wie makaberen Experiment: Jürgens, der den
Blöffer jahrelang mit der Kamera verfolgte, erkennt und bestraft nicht
nur die Erbärmlichkeit des Managers Baldauf, sondern auch seine eigene,
die ihn diesen widerlichen Wicht jahrelang hat verfolgen lassen. Durch diese
Erkenntnis ist es dann auch mit der klassischen Nichteinmischung des Filmemachers
vorbei: In einer grandiosen, grausamen Klimax zerstört der Dokumentarist
sein Subjekt und damit auch sich selbst. »Jetzt hör’ doch endlich
auf zu filmen«, droht Baldauf in dem Moment, als sein gesamtes Berufs-
und Privatleben in einem tristen Hotelzimmer zerplatzt und Jürgens immer
noch weiterdreht. Baldauf schimpft, schreit ihn an, windet sich, fleht schließlich.
Es hat keinen Zweck: Jürgens schaut nicht mehr weg, und im Niedergang des
Gegenüber verglüht auch seine eigene Egozentrik zugunsten einer schonungslosen
und mutigen Selbsterkenntnis. Die grauenhafte Amour fou aus dem vermeintlichen
Opfer, das sich vor lauter Kamerageilheit selbst noch beim Versagen filmen lässt,
und dem vermeintlichen Täter, der so fixiert ist auf sein schillerndes
Opfer, dass er mit seiner Kamera teilweise sogar körperlich aufdringlich
wird, ist endlich vorbei. Man atmet durch, aber genau wie der Regisseur bleibt
man tagelang voller Zweifel, ob man selbst nicht manchmal ein echter Baldauf
ist.
Daniel Bickermann
Dieser Text ist zuerst erschienen im: schnitt
Zu
diesem Film gibt’s im archiv der filmzentrale mehrere
Texte
Der Generalmanager oder How to sell a Tit Wonder
Deutschland 2007 - Regie: Steffen C. Jürgens, Rüdiger Heinze - Darsteller: (Mitwirkende) Martin Baldauf, Lolo Ferrari, Ashley Bond, Jürgen Drews, Eric Vigne, Lucie Krcova, Udo Lindenberg - Länge: 87 min. - Start: 13.11.2008
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