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Das
Geheimnis der Flamingos
In
den 1950ern begann der Schotte Leslie Brown sich mit den Zwergflamingos zu befassen,
die noch heute im unwirtlichen Natronsee im Norden Tansanias brüten. In
seinem 1959 veröffentlichten Buch „The Mystery of the Flamingos" beschreibt
Brown das hochalkalische, etwa 60 Kilometer lange Gewässer als „fauligsten
Flecken der Erde" - wohl nicht zuletzt deshalb, weil der Forscher sich
auf dem Weg zu den Nistplätzen der Vögel die Füße lebensgefährlich
verätzte und nur um ein Haar der Amputation entging.
Der
gleichnamige Naturfilm schlägt einen deutlich anderen Ton an. In oft berauschend
schönen Bildern widmet er sich dem seltsamen, für Menschen kaum zugänglichen
Gebiet und seinen vielleicht faszinierendsten Bewohnern. Dabei verschwimmen,
wie schon in der französischen Erfolgsproduktion „Die Reise der Pinguine",
die Grenzen zwischen Dokumentation und Erzählfilm: Eine unbelebte „Naturbühne"
voll rauchender Vulkanschlote und glucksenden Morasts wird zunächst etabliert,
bevor die ausgewachsenen Flamingos in Scharen an den Ort ihrer Geburt zurück
kehren.
Die
ersten Bildfolgen konstruieren einen von kraftvoller Perkussion getragenen Balztanz.
Krummschnäbel zucken nach links und rechts. Ein Wald aus lauter rosa Stengelbeinen
flimmert. Aus dem Gewimmel des Federviehs, das Matthew Aeberhard und Leander
Ward in einer reizvoll choreographierten Sequenz wie eine Ballettformation agieren
lassen, pickt sich die Kamera im Filmverlauf immer wieder Individuen heraus,
um den Zyklus von Geburt und Tod nachzuerzählen. Und: gegen ein bisschen
„Pink Porno" (wie „Green Porno"-Produzentin Isabella Rossellini es
wohl nennen würde) ist auch nichts einzuwenden. Suggeriert wird, dass das
in jenem Akt gezeugte weibliche Küken dasselbe Tier ist, das vom Schlüpfen
aus dem Ei über die ersten wackligen Gehversuche bis zum Jungfernflug über
den See zu einer Art Protagonistin der Geschichte wird.
Trotz
solcher Strategie der Figurenbindung wird der Bogen der Vermenschlichung nicht
überspannt, zudem wird der Fehler des Vorgängerfilms vermieden, in
dem eine ganze Kaiserpinguinfamilie mit menschlichen Stimmen nachvertont wurde.
Die Schallmauer zum Kitsch durchbrechen die Flamingos allein zum emotionalen
Höhepunkt des Films, wenn zur Flugsequenz die Geigen jauchzen, als müsste
gleich Robert Redfords Doppeldecker aus „Jenseits von Afrika" durchs Bild
schweben. Und auch der Kommentartext - der ohnehin allzu oft den Bildinhalt
verdoppelt - läuft hier aus dem Ruder.
Ansonsten
entgeht der übrigens von Disney vertriebene Film der Gefahr, bloß
rosa Revue und daunenweiche Coming-of-Age-Story zu sein: „Das Geheimnis der
Flamingos" unterschlägt die Grausamkeit nicht, mit der die Schwachen
im natürlichen Lebensraum ausgegrenzt und ausgemerzt werden. Noch vor Schakalen
und Fischadlern erfüllen vor allem die Marabus die Schurkenrolle - bucklige
Gestalten mit Schnäbeln wie Schlachtermesser. Da zuckt man automatisch
zusammen, wenn die gedrungenen Jäger sich blitzschnell das eine oder andere
Flamingoküken schnappen.
Ins
Gedächtnis der kleinen Zuschauer dürften sich auch solche Szenen einbrennen,
in denen gezeigt wird, wie sich der nur Zentimeter tiefe Natronsee selbst die
Brut bedroht. Manches Küken irrt zu lange abseits der festen Salzflächen
im alkalischen Wasser herum. Dicke Manschetten aus Salzkristallen wickeln sich
um die Beine; das Tierchen findet aus der mörderischen Brühe nicht
heraus, ist bald über und über mit Salz überzogen und dem Tod
geweiht.
In
diesen Momenten der Agonie wird das abschätzige Urteil des Forschers Leslie
Brown, der See sei „stinkend" und „scheußlich", um einiges verständlicher.
Auf einer weiteren Ebene deutet Browns allzumenschliche Abneigung gegen diese
(filmisch allerdings sehr ergiebige) Landschaft aber an, warum die Zwergflamingos,
die sich von den Blaualgen des Sees ernähren, weitgehend unbehelligt geblieben
sind. Menschen sind ihrem Lebensraum bisher fern geblieben. Der Natronsee ist
das einzige Brutgebiet, das diese Tiere in Ostafrika haben. Wie lange noch?
lautet die Frage, die auch ein Film über „Das Geheimnis der Flamingos"
zwar provozieren, aber nicht beantworten kann.
Jens
Hinrichsen
Dieser
Text ist zuerst erschienen in: film-Dienst
Das
Geheimnis der Flamingos
USA
/ Großbritannien 2008 - Originaltitel: The Crimson Wing - Mystery of the
Flamingos - Regie: Matthew Aeberhard, Leander Ward - Darsteller: Dokumentation
- FSK: ohne Altersbeschränkung - Länge: 75 min. - Start: 3.12.2009
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