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The Bling Ring
Die roten Schuhe
Die Regisseurin Sofia Coppola ist oft eine Komplizin ihrer Figuren. In ihrem Film „The Bling Ring“ brechen Teenager in die Villen von Hollywoodstars ein.
Was sie sich zum Abschied zuflüstern, wird auf immer ihr Geheimnis
bleiben. Es bleibt allein unserer Vorstellung überlassen, ob es zwischen
Scarlett Johansson und Bill Murray nach ihrem gemeinsam durchlebten Jetlag und
den somnambulen Nächten im befremdlichen Tokio ein Wiedersehen geben wird
oder ob die beiden es bei ihrer kurzen, aber intensiven Begegnung belassen.
Manchmal sollte ein Regisseur seinen Helden und Heldinnen einfach Momente gönnen,
die nur ihnen gehören, in denen sie ganz bei und für sich sind.
Sofia Coppola ist eine Meisterin solcher irritierend-schönen
Momente, und wohl auch deshalb ist „Lost in Translation“
ein Film, der nach seinem Abspann nicht zu Ende scheint. Ohnehin ist diese Regisseurin
mit ihren Figuren durch eine besondere Komplizenschaft verbunden. Sie kennt
sie so gut und fühlt sich ihnen so nahe, dass sie ihnen im Gegenzug stets
eine Art Eigenleben lassen kann. Auch möchte sie nicht einfach nur ihre
Geschichte erzählen, sondern gemeinsam mit ihnen in Situationen eintauchen,
sich Stimmungen überlassen und manchmal darin versinken.
In „Marie Antoinette“ erkundete
Coppola gemeinsam mit der im Luxus schwelgenden Königin ein Dasein im goldenen
Käfig. In „Lost in Translation“ driftete sie mit den Figuren durch ein
übermüdetes Wachsein. In ihrem Regiedebüt „The Virgin Suicides“
wiederum erkundete sie mit ihren halbwüchsigen Heldinnen den merkwürdiger
Zustand zwischen Aufbruch und Melancholie an der Schwelle zum Erwachsenwerden.
Nun folgt sie in „The Bling Ring“ einer Handvoll Teenies, die nachts
in Los Angeles in die Villen von Stars, It-Girls und anderen Berühmtheiten
einbrechen – nicht nur um zu stehlen, sondern um sich wenigstens einen Augenblick
lang selbst wie ein Star zu fühlen. Es ist dieser Celebrity-Augenblick,
dieser adrenalinumspülte Moment glamouröser Illusion, den Sofia Coppola
ihren Figuren mit unvoreingenommenem neugierigem Blick immer und immer wieder
verschafft. In rasanter Schnittfolge, zu cooler Musik, einem Rauschzustand gleich,
folgt Einbruch auf Einbruch, Ekstase auf Ekstase, Hysterie auf Hysterie.
Säuberlich aufgereihte Pumps
In spitze Freudenschreie verfällt die Einbrecherclique angesichts
von gigantischen Umkleidezimmern voller Designerklamotten und Luxushandtaschen.
Gemeinsam mit den Teenagern stürzt sich die Kamera auf säuberlich
aufgereihte Pumps in allen erdenklichen Farben, auf knallige Dessous, überquellende
Schmuckkästchen und brillantenbesetzte Markenuhren. Natürlich lässt
sich auch das ein oder andere Geldbündel oder Drogenbriefchen zwischen
der Edelware finden. Mal im Zeitraffer, mal in Zeitlupe zeigt Coppola zu Songs
wie „Gucci Bag“, „Super Rich Kids“ oder „Power“ die Selbstinszenierung der Kids,
ihre Verwandlung von normalen College-Studenten zu imaginierten Celebritiy-Gestalten.
Sofia Coppolas auf einem realen Fall basierender Film über Markenobsessionen
und jugendlichen Glamourwahn mag nach dem dritten Villeneinbruch redundant wirken,
doch die Wiederholungen des Vorgangs haben auch eine gewisse Logik, weil sie
die Leere des schönen Scheins umkreisen. Da jede Psychologisierung ohnehin
nur in eine Ansammlung banaler Beobachtungen münden würde, folgt Coppola
lieber dem unermüdlichen Drive von Rebecca, Marc, Nicki, Chloe und Emily.
Dennoch scheint sich auch der Film zu fragen, warum die Figuren überhaupt
kein Unrechtsbewusstsein kennen. Wohl deshalb greift er hin und wieder auf die
Perspektive der Überwachungskameras zurück, um sie im fahlen Licht
als Kriminelle kenntlich zu machen. Oder er zeigt sie aus der Ferne als schattenhafte
Wesen, die über Zäune klettern, an Türen rütteln oder in
fremde Autos steigen. Andererseits: Warum sollten sich die fünf auch eines
Verbrechens schuldig fühlen? Sind sie nicht vielmehr zu Gast bei einer
obsessiv öffentlichen Person wie etwa Paris Hilton, die sich überall
präsentiert und allen „gehört“?
Gegen das Harry-Potter-Image antanzen
Sofia Coppola durfte in Hiltons Anwesen drehen. Geradezu grotesk sind
diese Szenen, in denen auf Bettwäsche, Kopfkissen, Wandbildern immer nur
Paris Hilton zu sehen ist. Die Kids nehmen buchstäblich auf und neben diesem
Glamourwesen Platz, streicheln ihren Hund und feiern ausgelassen in Paris’ unterirdischer
mit viel Plüsch und Kitsch eingerichteter Bar.
In aller Selbstverständlichkeit springt Nicki (Emma Watson) auf
eine kleine Bühne, tanzt in wunderbarer anzüglicher Manier gegen ihr
Harry-Potter-Image der ewigen Musterschülerin an. Stolz zeigt sie später
das Handyfoto herum, so als sei sie tatsächlich geladener Besuch gewesen.
Später, wenn der Bling Ring von der Polizei hochgenommen wird, stürzt
sich Nicki ins reale Scheinwerferlicht, mit einer perfekt inszenierten Ich-gelobe-Besserung-Show.
Und da ist er wieder, der eine ganz besondere Coppola-Augenblick! Bei einem
der Raubzüge lässt der milchgesichtige Marc ein Paar rote Stöckelschuhe
mitgehen. Wenn er sich in sein Zimmer zurückzieht, holt er sie wie ein
Fetisch unter dem Bett hervor und übt das Gehen auf Absätzen. Transsexuelle
Performance oder nur ausgelassene Modenschau? Womöglich haben diese Schuhe
für Marc eine ganz eigene Aura, und womöglich bedeuten sie für
ihn mehr, als nur in die Fußstapfen der Celebrities dieser Welt zu treten.
Anke Leweke
Dieser Text ist zuerst erschienen in der: taz
Zu
diesem Film gibt’s im archiv der filmzentrale mehrere
Texte
The Bling Ring
USA 2013 - 90 Minuten - Start(D):15.08.2013 - FSK: ab 12 Jahre - Regie: Sofia Coppola - Drehbuch: Sofia Coppola - Produktion: Roman Coppola, Sofia Coppola, Youree Henley - Kamera: Christopher Blauvelt, Harris Savides - Schnitt: Sarah Flack - Musik: Daniel Lopatin, Brian Reitzell - Darsteller: Emma Watson, Leslie Mann, Taissa Farmiga, Erin Daniels, Israel Broussard, Nina Siemaszko, Halston Sage, Katie Chang, Maika Monroe, Stacy Edwards, Claire Julien, Gavin Rossdale, Brenda Koo, Deidre Arrington, Joe Nieves
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