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Zwei
Mädchen aus Istanbul
Der Backlash
wächst am Rand der Stadt
Türkischer Alltag: Kutlug Atamans Spielfilm
"Iki genc kiz" ("Zwei Mädchen aus Istanbul") erzählt
von der Freundschaft zweier junger Frauen
Sein Erfolg ist eine Überraschung. In der Türkei
hat Kutlug Atamans Spielfilm "Iki genc kiz" ("Zwei Mädchen
aus Istanbul") so ziemlich alle wichtigen Preise gewonnen: Auf den Festivals
in Antalya und Ankara gab es Auszeichnungen als Bester Film, in Istanbul wurde
Ataman als Bester Regisseur prämiert. Es war auch eine politische Würdigung,
weil der Film problembewusst vom engen religiösen Korsett türkischer
Unterschichtfamilien handelt und davon, dass junge Mädchen der für
sie vorgesehenen Trostlosigkeit als Putzmamsell selbst in der Metropole Istanbul
kaum entfliehen können. Denn Toleranz im Umgang mit Kritik gehört
zum modernen Selbstverständnis der Türkei, die in absehbarer Zeit
voll anerkanntes Mitglied der EU werden will.
Verblüfft wird man viel mehr von der Genauigkeit,
mit der Ataman die gleichnamige Romanvorlage von Perihan Magden in Szene gesetzt
hat. Als Filmemacher, der nach seinem Debüt "Lola und Bilidikid"
durch Video-Installationen etwa auf der letzten documenta bekannt wurde, ist
Ataman vor allem ein Chronist der Gegenwart. Er hat ein achtstündiges Marathon-Porträt
einer alternden Operndiva gedreht, Videos über Transvestiten mit Perückentick
und begeisterte Blumenzüchterinnen. Lauter gestandene Individuen eben.
Der aufgeraute, dokumentarische Stil fügt sich
nun wunderbar ins Geschehen von "Zwei Mädchen aus Istanbul".
Ataman verzichtet auf groß herausgestellte Symbole, auch auf das sonst
so häufige Pathos des türkischen Kinos, und macht dagegen Pop und
Äußerlichkeiten stark. Die eine der beiden jugendlichen Hauptdarstellerinnen
trägt eine ansehnliche Tätowierung auf dem Arm; die andere sieht mit
ihren feuerrot gefärbten Haaren und dem zerrupften Lederjackenlook nach
Punk aus. In der Fußgängerzone von Istanbul würden die Mädchen
nie auffallen, auf der Kinoleinwand sind sie in der Türkei die Ausnahme.
Ataman weiß diese Nische zu nutzen. Vermutlich
hätte auch Fatih Akin, den Ataman als wichtigen Einfluss nennt, genau deshalb
seine Freude an "Zwei Mädchen aus Istanbul": Endlich ein Film,
der nicht unter die Käseglocke zu all den anderen Orientalklischees passt,
sondern der tief durchatmet und mit schlichten Mitteln zeigt, was im türkischen
Alltag längst Realität ist. Zum Beispiel Sex vor der Ehe und Besäufnisse
unter Freundinnen. Aber eben auch das stumpfe, religiös unterfütterte
Patriarchentum immer weiterer Bevölkerungsteile, die in der Boomtown Istanbul
ökonomisch abgehängt werden. Der Backlash wächst am Rand der
Stadt.
Dabei beschäftigt sich Ataman vorrangig gar
nicht mit der sozialen Schieflage, sondern nimmt jeden Konflikt gleich ernst,
egal ob den Machismo der neureichen Jungmänner oder den Clash der verschiedenen
gesellschaftlichen Sphären. Während Behiye (Feride Çetin) in
einem Betonvorort wohnt und auf einen Studienplatz hofft, ist Handan (Vildan
Atasever) ein bürgerliches Prinzesschen, das von ihrer allein erziehenden
Mutter Leman (Hülya Avsar) verhätschelt wird. Wenn es an Schulgeld
fehlt, dient sich die Mutter ihrem Firmenchef an. Auch das zeigt Ataman, gleich
zu Beginn, mit einem ebenso routiniert wie trist abgewickelten Blowjob im Auto.
Zugleich steht dieser Akt überhaupt für
die Zwiespältigkeiten, die bei Ataman in allen Beziehungen nachwirken.
Weil sich Leman für ihre Tochter aufopfert, beansprucht sie auch das Recht,
über deren Lebenszukunft zu entscheiden. Deshalb ist sie gegen die Freundschaft
mit der rebellischen Behiye. Umgekehrt übt Behiye immer stärkeren
Druck auf Handan aus, damit sie sich um ihrer Freundschaft willen von der Mutter
löst.
Zwischen diesen zwei Zwängen bleibt kaum Platz
für eigene Entscheidungen: Als Handan tatsächlich nach Australien
abhaut, überlässt sie Behiye den Fängen ihrer streng islamgläubigen
Familie. Am Ende ist die Enttäuschung, die Behiye empfindet, in gleichem
Maße nach innen und nach außen gerichtet. Auch da ist Ataman bei
aller emotionalen Nähe sehr weitsichtig: Es sind nicht bloß die anderen,
deretwegen man Chancen verpasst. Dieser Wink dürfte in der Türkei
angekommen sein, auch deshalb die vielen Preise.
Harald Fricke
Dieser Text ist
zuerst erschienen in der: taz vom 28.9.2006
Zwei
Mädchen aus Istanbul
Türkei
2005 - Originaltitel: Iki genç kiz - Regie: Kutlug Ataman - Darsteller:
Vildan Atasever, Feride Çetin, Hülya Avsar, Tugçe Tamer,
Sezgi Mengi, Ugur Baltepe, Cengiz Sezici, Gönen Bozbey, Hikmet Körmükçü,
Murat Prosçiler, Ufuk Akkuzu - Länge: 107 min. - Start: 28.9.2006
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