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Zeugin der Anklage (1957)
Ich sah den Film im Jahr nach
seiner Entstehung, 1958, wir schrieben gerade für den zweiten Jahrgang
der Zeitschrift Filmkritik, und wir fanden Wilders Film reichlich daneben, ziemlich
unerlaubt und daher wieder attraktiv um die Ecke herum. Immerhin hatten wir
die "soziologische Filmkritik" proklamiert; der Sozialkritiker Wilder
("Lost Weekend", "Sunset Boulevard", "Reporter des Satans") war unser Mann, aber
nun ein Bühnenstück von Agatha Christie verfilmt, leerer Krimidenksport?!
Ein klassisches Kammerspiel im tristen Prozessgericht dazu?!
Aber ich bekam's dann doch heraus,
wie man den Reiz an der Sache entdeckt, die sich nach außen scheinbar
geordnet, gesittet und langweilig-vorhersehbar abgeschottet hat. Ich war sowieso
beim Krimilesen immer zu faul gewesen, mitzudenken; es gab genug anderes als
das "Wer war's"?. Allerdings war ich schon bei Dashiell Hammett angelangt. Billy
Wilder ging in "Zeugin der Anklage" mit der biederen Agatha Christie
dann allerdings spielerisch-ironisch, frivol-liebevoll und wenig respektvoll
um. Der Plot wurde zum Fummel, den die Titelfigur, die weich gezeichnete und
sonst auch blasse Marlene Dietrich, trägt. Dabei hat sie gar nicht die
Hauptrolle, ebenso wenig - so wie es sich doch gehört hätte - der
Täter oder gar der Angeklagte. Fokussiert ist der Verteidiger, Charles
Laughton, und der ist wiederum im Clinch weniger mit dem Staatsanwalt als mit
seiner Betreuerin, der penetrant-neckischen Elsa Lanchester, die die Dietrich
glatt in den Hintergrund spielt. Selbst im Gerichtssaal versucht sie noch, ihren
Pflegefall von ganzem Herzen medikamentös zu versorgen und ins Bett zu
kriegen.
Wilders lockere Extravaganz war
auf den zweiten, aber wie immer den entscheidenden Blick Krimitravestie und
glamouröses Gefummel mit der Genre-Ordnung. 1958 hatten wir es nicht im
Kopf, dass es etwas wie eine emotionale Bereitschaft geben kann, die von Wilders
"Zeugin der Anklage" bedient wird: mit der Ordnung, welcher auch immer,
sein eigenes Spiel zu spielen.
Dietrich Kuhlbrodt
Dieser Text
ist zuerst erschienen in der taz
Zeugin der Anklage (1957)
WITNESS FOR THE PROSECUTION
USA - 1957 - 114 min. – schwarzweiß - Literaturverfilmung,
Gerichtsfilm, Kriminalfilm - FSK: ab 12; feiertagsfrei - Prädikat: besonders
wertvoll - Verleih: United Artists - Erstaufführung: 28.2.1958/28.8.1964
Kino DDR/11.12.1978 DFF - Fd-Nummer: 6751 - Produktionsfirma: Theme/United Artists
- Produktion: Arthur Hornblow jr.
Regie: Billy Wilder
Buch: Billy Wilder, Harry Kurnitz
Vorlage: nach dem gleichnamigen Bühnenstück von Agatha
Christie
Kamera: Russell Harlan
Musik: Matty Malneck
Schnitt: Daniel Mandell
Darsteller:
Tyrone Power (Leonard Stephen Vole)
Charles Laughton (RA Sir Wilfrid Robarts)
Marlene Dietrich (Christine Vole)
John Williams (Brogan-Moore)
Elsa Lanchester (Ms. Plimsoll)
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