zur
startseite
zum
archiv
Die
Zeit mit Monika
Szenen einer jungen
Ehe
Die späten 40er und frühen 50er Jahre bilden
im Œuvre Ingmar Bergmans so etwas wie eine Ausnahme-Epoche. Die 15 zwischen
1946 und 1955 gedrehten Filme haben die Hoffnung auf das Gute und die Liebe
noch nicht vollständig aufgegeben. Im Zentrum von Werken wie "Hafenstadt"
(1948) oder "Die Sehnsucht der Frauen" (1952) steht zwar auch schon
jene Strindberg'sche Hoffnungslosigkeit, für die Bergmans Filme ab den
1960er Jahren bekannt werden - doch übernimmt das Motiv der Liebe in ihnen
die Aufgabe, sich den Fairnissen der modernen Lebenswelt entgegenzustellen.
Der gescheiterte Suizid des von den Zwängen des Stadtlebens bedrängten
Mädchens in "Hafenstadt" wird durch die beginnende Liebe zu einer
anderen hoffnungslosen Gestalt, den Seemann Gösta, erzählerisch abgefangen.
Eine Variation auf diese Flucht-Erzählung bildet das wohl beeindruckendste
Werk dieser Epoche: "Die Zeit mit Monika" von 1953.
Die 17jährige Monika und der 19jährige
Harry haben es satt, von allen herumgeschubst zu werden: Die Eltern kümmern
sich wie in Harrys Fall entweder gar nicht oder, wie bei Monika, zu viel um
die Angelegenheiten ihrer Kinder. Bei ihrer Arbeit gelten die Berufsanfänger
nichts und sind Schikanen und sexuellen Übergriffen ausgesetzt, die Gleichaltrigen
verspotten das ungleiche Paar, weil sie sich ihnen nicht anschließen.
Doch Monika und Harry treibt der Gedanke an eine gemeinsame, unbeschwerte Zukunft
voran. Als die Drangsal jedoch zu schwer zu bürden ist, schmeißen
beide ihre Jobs hin, stehlen das Boot von Harrys mittlerweile im Krankenhaus
liegenden Vaters und verlassen die Stadt. Ihre Reise dauert einen Sommer, in
dem sie sich zum ersten Mal auch körperlich näherkommen, in dem sie
lernen, füreinander zu sorgen (erst recht, als Monika Harry offenbart,
daß sie ein Kind von ihm erwartet) und sich bedrängenden Konflikten
erfolgreich gemeinsam entgegenstellen. Doch irgendwann holt die Notwendigkeit
die beiden ein, und sie entscheiden, zurück nach Göteborg zu kehren
und dort ein bürgerliches Leben zu führen. Während Harry tagsüber
Geld für seine junge Familie verdient und nachts für eine Ingenieurskarriere
lernt, wird Monika immer unzufriedener mit der Armut und der Langeweile. Schließlich
betrügt sie Harry, und beide trennen sich voneinander.
"Die Zeit mit Monika" ist ein Film voller
Lebensfreude, die sich gerade deshalb so ungezwungen entfalten kann, weil sie
ihr Gegenstück, die Lebensmühe, im Gepäck trägt. Die Geschichte
von Monika und Harry ist zunächst eine typische Adoleszenz-Erzählung:
Ein junges Pärchen stellt sich gegen die Übermacht der Konventionen
und versucht einen Ausbruch. Fast bildungsromanhaft wirkt die Quintessenz aus
diesem Erlebnis, denn als Monika und Harry zurück in die Zivilisation kehren,
sehen sie das Leben dort mit anderen, scheinbar reiferen Augen. Doch der Blick,
der die Freiheit einmal gekostet hat, ist nun für immer von dieser "getrübt".
Sowohl Harry als auch Monika wollen dieses Leben nicht. Das läßt
der Soundtrack (jene jetzt wiederkehrende repetitive, düstere Ton-Kollage
vom Beginn) hören und das zeigt der Film mehr als es die Protagonisten
sagen.
Denn der Ausbruch der beiden ist auch ein optischer:
Sind die Bilder zu Beginn noch bestimmt von der Dunkelheit und Enge städtischer
Behausungen, so lichtet sich, schon als die beiden den Fluchtplan schmieden,
die Atmosphäre deutlich. Bilder vom Meer, von den Wolken und der Sonne,
Panoramaeinstellungen dominieren nun das Bild. Die Freiheit, die Arme auszubreiten,
sich lang, diagonal durch das gesamte Bild zu strecken - diese Freiheit haben
die nahen Einstellungen des ersten Teils den Filmkörpern nicht gewährt.
Die Befreiung des Blicks, die also gleichzeitig eine der Körper und des
Geistes ist, bildet eine emblematische Verdopplung des adoleszenten Ausbruchversuchs.
Die Lebensfreude, die die Protagonisten während dieses Sommers empfinden,
wird in jeder Einstellung spürbar und ist fast einzigartig im Werk Bergmans.
Erst nach der Rückkehr bekommt der Film eine
Handschrift, die an spätere Filme erinnert. Das Ehedrama, das sich schon
gleich mit der Einfahrt in den Hafen andeutet und fortwährend zuspitzt,
ist ein Thema, das der schwedische Regisseur in allen Facetten ausgeleuchtet
hat. Doch anstatt die Probleme (end- und ergebnislos) zu diskutieren wie dies
in "Szenen einer Ehe" (1973) (ein Ehegespräch, das 30 Jahre später
in "Saraband" immer noch nicht geendet hat) geschieht, findet in "Die
Zeit mit Monika" ein erneuter Befreiungsschlag statt. Harry verläßt
Monika und schlägt sich mit seinem Töchterchen allein durch. Die letzte
Einstellung des Films zeigt dasselbe Bild wie die erste: Ein Gesicht im Spiegel,
in dem sich die Wünsche, Hoffnungen und Erfahrungen des Hineinblickenden
widerspiegeln. Doch jetzt ist es nicht mehr Monika (die zu Beginn des Films
darin ihr Aussehen geprüft hat), sondern Harry, der aus seinem Bild neue
Kraft zu schöpfen scheint, während sich hinter ihm die immergleichen
Szenen der Straße abspielen.
"Die Zeit mit Monika" hat noch ein weiteres,
wesentlich eindringlicheres "Motiv": Der Film ist - gerade aus der
Distanz von nunmehr über 50 Jahren - eine Huldigung an die Schauspielerin
Harriet Andersson. Zu jener Zeit dürfte es nur wenige ähnlich unverbrauchte,
natürliche und zugleich erhabene Erscheinungen im europäischen Autorenkino
gegeben haben. Mit jeder Einstellung, die uns Andersson vorführt, fangen
Bergman und sein Kameramann Gunnar Fischer die Schönheit und Leichtigkeit
der jungen Frau ein. In eine der frühesten Nacktszenen des europäischen
Kinos betonen sie die Natürlichkeit und die Naturverbundenheit der Protagonistin
wie die Fähigkeit der Schauspielerin, solche Charaktere mit Authentizität
zu füllen. Der Naturalismus ist auch künftig Anderssons Stärke
- man denke nur an jene Sterbeszenen in "Schreie und Flüstern"
(1972) oder an den Wahnsinn der Viveka Burmann in ihrer bislang letzten Zusammenarbeit
mit Bergman, "Die Gesegneten" von 1986. In mittlerweile 90 Filmen
hat die Schwedin bis heute mitgespielt und ist mit Mitte 70 immer noch aktiv.
Ihr Gesicht, ihre ganze Erscheinung steht neben der Liv Ullmans und Bibi Anderssons
für ein halbes Jahrhundert schwedische Filmschauspieler-Geschichte.
Stefan Höltgen
Dieser Text ist zuerst erschienen im: Schnitt
Die
Zeit mit Monika
Sommaren
med Monika. S 1952. R, B: Ingmar Bergman. K: Gunnar Fischer. S: Tage Holmberg
& Kösta Lewin. M: Erik Nordgren. P: Svensk Filmindustri, AB. D: Harriet
Andersson, Lars Ekborg, Dagmar Ebbesen u.a. 96 Min.
DVD bei: Kinowelt/Arthaus
Sprachen:
Deutsch, Schwedisch (mit opt. Dt. UT)
1:1,33,
DD 1.0
96
Min.
DVD-Erscheinungstermin:
7. 4. 2006
zur
startseite
zum
archiv