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Das
Zeichen des Vampirs
Baron
Karell Borotyn wird im Arbeitszimmer seines Schlosses tot aufgefunden. Dr. Doskil,
der am nächsten Morgen den Leichnam untersucht, entdeckt am Hals des Barons
verdächtige Spuren, die auf den Biss eines Vampirs hindeuten. Tatsächlich
ist der Körper völlig blutleer – und für die Dienerschaft des
Schlosses und die Bevölkerung ist klar, dass der Vampirfürst Mora
seine Beisserchen im Spiel haben muss. Der aus dem fernen Prag angereiste Inspektor
Neumann ist da freilich anderer Ansicht: für ihn ist der Täter unter
den Lebenden zu suchen. Leider führen alle Spuren ins Leere, so dass Neumann
und Irena Borotyn, die Tochter des Ermordeten, einen abenteuerlichen Plan aushecken,
um die Identität des wahren Mörders zu entlarven.
Schon
bald spukt es im Schloss, dass sich die Balken biegen. Graf Mora schleicht durch
die dunklen Korridore, während dessen Vampirtochter Luna draussen die Besucher
erschreckt. Zu allem Überfluss steht Borotyn von den Toten auf und leistet
den Schreckgespenstern Gesellschaft! Wie sich herausstellt, ist das nächtliche
Treiben ein geschickt eingefädeltes Schauspiel, um den Mörder Borotyns
zu einem folgenschweren Fehler zu bewegen. Und dieser tappt tatsächlich
in die Falle...
Legenden
ranken sich um Tod Brownings 1927 inszenierten Stummfilm-Horror London
After Midnight,
seitdem dieser Streifen offiziell als verschollen gilt. Trotzdem hielt dieser
Verlust bislang nicht allzu viele Filmkritiker davon ab, den Streifen in höchstem
Maße zu loben... und solange Brownings Werk nicht irgendwann wieder im
Archiv eines Sammlers auftaucht, kann schliesslich niemand an dem Status des
„Meisterwerkes“ kratzen. Man erinnere sich nur an den ebenfalls für mehr
als zwanzig Jahre verloren geglaubten Gruselfilm Das
Geheimnis des Wachsfiguren-Kabinetts,
der vor seiner Wiederentdeckung einen weitaus besseren Ruf genoss als danach!
Acht
Jahre nach London
After Midnight
inszenierte Browning ein Remake, welches sich ebenfalls eng an seiner Vorlage
The
Hypnotist
orientierte. Horrorlegende Lon Chaney, der in der ersten Verfilmung noch in
der Doppelrolle des Inspektors und des bissigen Grafen Mora zu sehen gewesen
war, verstarb im Sommer 1930 und stand für die Neuauflage nicht mehr zur
Verfügung. Stattdessen holte Browning drei prominente Gesichter des Phantastischen
Genres vor die Kamera: Lionel Atwill, Lionel Barrymore und Bela Lugosi. Während
Barrymore (Die
Teufelspuppe)
seinen beiden Kollegen als „Vampirexperte“ Zelen die Schau stiehlt, verkörpert
Atwill (Doctor
X)
den Inspektor, der dem wahren Mörder mit recht unkonventionellen Ermittlungsmethoden
auf die Schliche kommt. Bela Lugosi (Der
Rabe)
muss sich dagegen mit einem winzigen Part zufriedengeben, der seinem damaligen
Bekanntheitsgrad nicht annähernd gerecht wird. Sein Graf Mora wirkt wie
eine billige Karikatur der Dracula-Rolle, die ihn vier Jahre zuvor berühmt
machte. Seine Auftritte beschränken sich hier auf nur wenige Szenen, in
denen er nicht viel mehr machen muss als mit einem geheimnisvollen (besser:
dämlichen) Blick aus dem Schatten finsterer Gänge hervorzutreten.
Carroll Borlands Aufgabengebiet mag als Luna nicht umfangreicher sein, doch
immerhin legt sie mit ihren langen, dunklen Haaren und dem bleichen Gesicht
jenen Typ der Vampirbraut fest, der noch Jahrzehnte später gerne kopiert
wurde – man denke nur an die Morticia der Addams
Family!
Die
stellenweise sehr atmosphärische und auch unheimliche Stimmung des Filmes
wird spätestens zunichte gemacht, wenn sich das Spektakel dem Finale nähert.
Der Freund des Phantastischen Genres muss erkennen, dass Browning ihn zum Narren
gehalten und dem vermeintlichen Vampirfilm ein Krimi-Ende verpasst hat, welches
in jeder Hinsicht unglaubwürdig ist. Kann man sich noch damit abfinden,
dass Lugosi und die anderen Nachtgestalten bloss bezahlte Darsteller einer Gruselschau
sind, so fragt man sich doch, wie es den Blutsaugern gelingt, in Gestalt einer
Fledermaus zu erscheinen, um sich dann in einer Nebelwolke in die menschliche
Gestalt zu verwandeln. Wieso kann Luna fliegen? Warum hinterlassen unsere „Vampire“
keine Spuren im zentimeterdicken Staub des alten Gemäuers? Aus welchem
Grund spielen die „Vampire“ ihre Rollen weiter, auch wenn sonst niemand in der
Nähe ist? Ausserdem wird Browning die Antwort auf die Frage, wieso die
Vampirmaskerade überhaupt inszeniert wurde, obwohl der Mörder letztlich
unter Hypnose (!) seine Tat gesteht, gleichfalls mit ins Grab genommen haben...
Auch wenn man bei einem Horrorfilm nicht allzuviel Wert auf Logik und Glaubwürdigkeit
legen sollte, so bleiben in Das
Zeichen des Vampirs
einfach zu viele Fragen ungeklärt. Die Darsteller trifft dabei keine Schuld,
da sie selbst während der Dreharbeiten davon ausgingen, in einem waschechten
Vampirstreifen mitzuwirken. Die Verantwortlichen für diesen misslungenen
Film dürften in den Chefetagen der MGM zu finden sein, die von jeher Probleme
mit Werken dieses Genres hatten. MGM war eine Produktionsstätte für
harmlose Familienunterhaltung und Horrorstreifen konnte man deshalb nicht in
Einklang mit dem sonstigen Angebot des Studios in Einklang bringen. Ausserdem
war den Produzenten das Desaster um Tod Brownings Freaks
noch in sehr guter Erinnerung. Aus diesen Gründen wurde Das
Zeichen des Vampirs
um mindestens zwanzig Minuten zurechtgestutzt, was die kurze Laufzeit von einer
knappen Stunde erklärt. Die nur wenige Sekunden dauernde Flugszene von
Luna mit zwei grossen Flügeln auf dem Rücken war ursprünglich
weitaus länger, fiel jedoch zum grössten Teil der Schere zum Opfer.
Ausserdem liefert Das
Zeichen des Vampirs
keinerlei Erklärung für die blutende Wunde an Lugosis Schläfe.
Tatsächlich hatte Mora ein inzestuöses Verhältnis mit seiner
Tochter Luna, worauf er sich selbst mit einer Pistole hinrichtete... und daraufhin
ebenso wie das Mädchen zu Geschöpfen der Nacht wurden! Diese pikanten
Details aus der Vergangenheit des Grafen werden dem Publikum verschwiegen.
Was
übrig bleibt, kann man weder eindeutig dem Horror- noch dem Kriminalfilm
zuordnen. Auf der einen Seite bietet Das
Zeichen des Vampirs wirklich
sehenswerte und gruselige Einlagen, tolle Kulissen und selbst die gut sichtbaren
Fäden der herumfliegenden Fledermaus-Attrappen wirken irgendwie charmant.
Die plötzliche Lenkung des Geschehens in weniger phantastische Regionen
lässt das Werk später jedoch ziemlich lächerlich wirken. Von
den Gruselfilmen dieser Ära, welche die Jahrzehnte bis heute überdauert
haben, ist Das
Zeichen des Vampirs
auf jeden Fall eines der enttäuschendsten Werke. Bela, da hast Du Besseres
fabriziert!
Christian
Lorenz
Diese
Kritik ist zuerst erschienen bei:
Das
Zeichen des Vampirs
Mark
of the Vampire
USA,
1935
60
Minuten, schwarz/weiss
Regie:
Tod Browning
Drehbuch:
Guy Endore, Bernard Schubert
Kamera:
James Qong Howe
Musik:
Herbert Stothart, Edward Ward
Schnitt:
Ben Lewis
Effekte:
Warren Newcombe (Matte Paintings), Tom Tutwiler (Visuelle Effekte)
Produktion:
Tod Browning, E.J. Mannix
Darsteller:
Lionel
Barrymore: Professor Zelen
Lionel
Atwill: Inspektor Neumann
Bela
Lugosi: Graf Mora
Elizabeth
Allan: Irena Borotyn
Jean
Hersholt: Baron von Zinden
Carroll
Borland: Luna, Moras Tochter
Donald
Meek: Dr. Doskil
Holmes
Herbert: Sir Karell Borotyn
Henry
Wadsworth: Fedor Vincenté
Ivan
F. Simpson: Jan, der Butler
Franklyn
Ardell : Chauffeur
Leila
Bennett : Maria
June
Gittelson: Annie
Michael
Visaroff: Wirt
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