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Zatoichi
– Der blinde Samurai
Musik
und Kampf passen gut zusammen. Die bildgewaltigen Konfrontationen von Schwertkämpfern
in Filmen wie Hero
oder Tiger
and Dragon
wurden oft und zu Recht mit den Choreografien des Balletts verglichen, die Inszenierung
der Körper, ihre Bewegungen in der Luft waren weit wichtiger für die
Bilder der jeweiligen Filme, als der kriegerische Inhalt. Takeshi Kitanos Zatoichi
entzerrt die beiden Ebenen wieder: Die körperliche Auseinandersetzung und
die Musik bekommen ihre eigenen Sequenzen zurück, Kämpfe stehen neben
Musiknummern wie in einem indischen Actionfilm. So entstehen wunderbare Szenen
bei Kitano, Szenen wie jene, in denen die Schritte oder die Hark-Geräusche
der Feldarbeiter den Takt angeben für die Filmmusik. Die Figuren bekommen
eine Selbstständigkeit zurück auf diesem Wege, die sie in vielen Filmen
verlassen hat. Wo oftmals die Musik unbemerkt Stimmung und Emotion der Figuren
kommentiert und den Zuschauer zu beeinflussen versucht, sind es hier die Charaktere
des Films, die zur Quelle des Musikalischen werden. Lange steht die Kamera still
und beobachtet die Arbeiter auf ihrem Feld, meditativ beinahe und sehr ruhig,
verglichen mit den blutigen Actionsequenzen.
Es
sind jene Gegensätze, die Kitanos Film seine vollendete Struktur verleihen
- die Gegensätze zwischen der Gewalt und der Meditation, zwischen der Musik
für den Film und jener, die in der Geschichte selbst entsteht, und die
Gegensätze ziehen sich von der Form des Filmes hinein in seine Narration:
Um einen blinden Masseur mit erstaunlichen Geschick beim Schwertkampf geht es
da (dargestellt von Kitano selbst), einen unerkannten Samurai, der trotz oder
wegen seines mangelnden Augenlichtes mehr sieht als alle anderen. Er wandert
durch die Lande und landet in einem Dorf, das unter der Herrschaft der Ginzo-Gang,
einer brutalen Bande von Schutzgelderpressern, zu leiden hat. Was folgt, hätte
genauso gut im modernen Japan angesiedelt sein können, statt im 19. Jahrhundert,
in der die Legende um Zatoichi
angesiedelt ist. Zwei Schwestern tauchen auf, die die Ermordung ihrer Familie
rächen wollen und seit 10 Jahren auf der Suche nach den Tätern sind,
eine Spielhölle gibt es, in der die Würfel nicht immer ganz zufällig
fallen und einen Samurai, dessen Schwertkampfkünste im Dienste der Ginzo-Gang
deren Alleinherrschaft brutal zu sichern wissen. Es ist wohl gerade die Zeitlosigkeit
dieser Themen um Rache, Erpressung und Macht, die das historische Setting von
Zatoichi
reichlich unbedeutend erscheinen lassen - vor den Kulissen des präindustriellen
Japan spielen sich die gleichen Konflikte ab, die auch das in der Gegenwart
angesiedelte Kino durchziehen.
Ganz
wunderbar anzusehen ist Zatoichi,
und man begreift langsam, aus welchem Bildreservoir Tarantino schöpfen
konnte, als er das Blut spritzen ließ (in der asiatischen Fassung von
Kill
Bill
übrigens noch weit mehr als in der hierzulande gezeigten). Die Blutfontänen,
die aus den Stümpfen der abgehackten Arme und Beine sprudeln, die grotesken
Mengen an Körpersäften, die die Samurai und Gangmitglieder vergießen,
geben den Kämpfern ihre Vitalität, sie verleihen ihnen noch im Augenblick
des Todes etwas ungemein Körperliches, beinahe Sexuelles. Auch in diesem
sexuellen Element zeigen sich die Gegensätze, die Widersprüche, die
Zatoichi
thematisiert: Eine Frau stellt sich im Laufe der Handlung als Mann heraus, und
selbst als die Zeit vorbei ist, da diese Travestie der Verkleidung diente, bleibt
der Mann seinem Make-Up und den Frauenkleidern treu. Es verschönere ihn,
sagt er, und er hat Recht. Die Faszination mit den blinden Sehenden und den
femininen Männern, den Kämpfen und den Liedern, der Geschwindigkeit
und der Ruhe verleihen Zatoichi
seine Kraft.
Der
plakativste Gegensatz freilich in einem Film wie diesem sind seine beiden Helden:
Der blinde Masseur und der Samurai der Ginzo Gang. Lange werden die beiden Gestalten
als unbesiegbare Kämpfer aufgebaut - nur ein einziges Mal ziehen sie dabei
schon vor dem Showdown ihre Schwerter gegeneinander. "Der Raum ist zu klein,
um ein Schwert zu ziehen", sagt Zatoichi,
als seine Klinge und die seines Kontrahenten unbewegt im Raum zu stehen scheinen,
in jenem fragilen Gleichgewicht, das erst spät im Film entschieden wird.
Der Balanceakt, den die Machtverhältnisse in Zatoichi
gehen, stets schwankend zwischen böser Unterdrückung und dem Sieg
der Guten, der Balanceakt zwischen den Genres der Musik und des Kampfes und
zwischen den Geschlechtern, er gelingt Takeshi Kitano auf bewundernswerte Weise:
immer im richtigen Augenblick wechselt das Erzähltempo, und auch, was hier
eigentlich erzählt wird, überrascht. Bis in die allerletzte Filmsekunde
hinein versorgt uns Zatoichi
mit überraschenden Wendungen des Plots. Und wenn die fremden japanischen
Zeichen dann im Abspann über die Leinwand laufen, dann ist es, als würden
schließlich sie den Takt angeben für die Musik der Stepptänzer,
die noch immer läuft. Gegensätze haben selten ein so harmonisches
Bild geschaffen wie hier.
Benjamin
Happel
Diese
Kritik ist zuerst erschienen in:
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Zatoichi
- Der blinde Samurai
Japan
2003 - Originaltitel: Zatôichi - Regie: Takeshi Kitano - Darsteller: Beat
Takeshi, Tadanobu Asano, Michiyo Ogusu, Yui Natsukawa, Guadalcanal Taka, Daigorô
Tachibana, Yûko Daike, Ittoku Kishibe, Saburô Ishikura - FSK: ab
16 - Länge: 116 min. - Start: 24.6.2004
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